Ein Meisterwerk in ungewohnter Form

Musik

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Der Chor Cantori Contenti interpretierte das Mozart-Requiem. Zu hören war eine eindrückliche Gesamtleistung von Chor, Orchester und Solisten.

  • Der Chor Cantori Contenti überzeugte durch eine eindrückliche Aufführung (Bild Stefan Kaiser)
    Der Chor Cantori Contenti überzeugte durch eine eindrückliche Aufführung (Bild Stefan Kaiser)

Baar – Zwanzig Minuten vor Konzertbeginn hatte sich der grosse Raum der Kirche St. Martin in Baar bis auf den letzten Platz gefüllt. Die «Stimmen seit 30 Jahren» - Zitat auf dem Programmheft - haben sich durch zahlreiche hochstehende Aufführungen in dieser Zeit jenen Ruf geschaffen, der ihnen das Publikum aus weitesten Kreisen zuträgt. In Baar erlebte man unter der Leitung von Katharina Jud die vielen Qualitäten, welche einen Laienchor von hohem Niveau ausmachen: Der über weite Strecken sehr anspruchsvolle Notentext wurde sicher beherrscht, und unabhängig von der dynamischen Abstufung gelang die Intonation durchwegs tadellos. Anerkennung verdiente auch der gute Augenkontakt, was ein präzises und doch nie pedantisch wirkendes Zusammengehen mit dem Orchester ermöglichte.

Veränderungen im Sanctus

Das Requiem in d-Moll, KV 626, ist das letzte Werk von Wolfgang Amadeus Mozart; er ist während der Niederschrift des Notentextes gestorben. Sein Schüler Franz Xaver Süssmayr (1766-1803) vervollständigte und ergänzte das Fragment aufgrund der vorgefundenen Notizen, die er wahrscheinlich aber anschliessend teilweise vernichtete. So weiss die Forschung bis heute nicht genau, was von Mozart und was von Süssmayr stammt. Bei neueren Bearbeitungen wie der heute häufigen und auch vom Chor Cantori Contenti verwendeten Fassung von Raphy Levin zwingt dies zu grösster Vorsicht. Gegenüber dem gewohnten Hörerlebnis gab es vor allem Veränderungen im Sanctus, Benedictus und Agnus Dei, wo vermutlich praktisch nichts von Mozart stammt, so wie bei der Überleitung in die Reprise des Originals. Als Schwerpunkt beeindruckte in der vorgetragenen Fassung die stark subjektive Grundstimmung, welche in scharfem Kontrast zu den früheren geistlichen Werken des gleichen Komponisten steht. Neben der Leistung des Chores sorgten auch die anderen Beteiligten für ein in sich geschlossenes und abgerundetes Gesamterlebnis. Stimmungsvolle solistische Einsätze verschiedener Bläser dokumentierten die Qualitäten des Bündner Orchesters Le Phénix am besten. Relativ undankbar war teilweise die Aufgabe für die Streicher: Die technisch sehr anspruchsvollen Einsätze im Dies Irae etwa mussten trotz ihrer Virtuosität stets im Hintergrund bleiben.

In der richtigen Mitte zwischen persönlichem Ausdruck und Homogenität präsentierte sich das Solistenquartett. Der hier nicht mehr so dominante Sopran von Maria Schmid - man spürte die Abkühlung der Liebe des Komponisten gegenüber Konstanze - überzeugte in allen Lagen durch lebendige Gestaltung. Die voluminöse und doch nie forcierte Tongebung der Altistin Barbara Erni machte aus ihrem Part viel mehr als eine blosse Füllstimme. Der Tenor Nino Aurelio Gmünder beeindruckte vor allem durch ein weites dynamisches Spektrum von ausdrucksstarken Akzenten bis in ein auch in hohen Lagen sehr intonationssicheres Piano. Mit mehr baritonal gefärbtem Bass sorgte Fabrice Hayoz für das harmonische Fundament.

Dem Mozart-Requiem wurde ein wenig bekanntes «Miserere» vorangestellt. Das offiziell Jan Dismas Zelenka (1679-1745) zugeschriebene Werk übernimmt einen grossen Teil der Thematik und auch der stimmlichen Durchführung des ersten Teils aus einem ziemlich genau 100 Jahre älteren Orgelwerk von Girolamo Frescobaldi (1583-1643). Die zweimalige Uraufführung in verschiedenen Fassungen war laut Zeitzeugen ein totaler Misserfolg, und so ist die Komposition für über 200 Jahre in Vergessenheit geraten.

Abgerundete Gesamtleistung

Es fehlte nicht an den Interpreten: Das hier von den Streichern dominierte Orchester zeigte eine abgerundete Gesamtleistung. Neben dem manchmal etwas zu starr vorgetragenen Ostinato-Ruf «Miserere» des Chorbasses hatten die drei Oberstimmen den komplexen Satz intonationssicher und mit grossem Fleiss einstudiert. Die Kompositionsstruktur verhinderte eine ausreichende Textverständlichkeit. Diese blieb der Sopranistin vorbehalten mit einer eingeschobenen Arie «Gloria Patri», welche viele Eigenheiten des Kompositionsstils von Mozart vorausnahm. Schade, wollte auch der letzte Chorsatz nicht zu einer abgerundeten Gesamtform führen. (Jürg Röthlisberger)