Lichtspieltheater auf Leinwand
Film & Multimedia
Ein Blick zurück und ein Blick nach vorn: über die Geschichte der Filmclubs, den Zuger FLIZ und über ein einzigartiges Oktoberprogramm im Kino.
Zug – Dieser Artikel erschien in der Oktober-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Wo muss man ansetzen, um die Geschichte des Zuger Kinoclubs FLIZ erzählen zu können? Ein guter Startpunkt wäre der Juni 1999, als der FLIZ im Theater im Burgbachkeller in Anwesenheit von 17 Personen offiziell gegründet wurde. Seither funktioniert der Filmclub als ordentlicher Verein, mit Mitgliedern, GVs und Jahresberichten, und veranstaltet in der Regel am zweiten Montag jedes Monats einen Filmabend mit ausgewähltem Programm im Kino Gotthard.
Von Super-8 zu 35 mm zum DCP
Das Verlangen nach gemeinsamen Kinoabenden kam aber schon eher auf, in den frühen 90er-Jahren, als zunächst unter der Leitung Annelies Ursins, dann unter Roman Schlumpf im Burgbachkeller in der Sankt-Oswalds-Gasse Dokumentarfilme im 16mm-Format gezeigt wurden. Der Projektor wurde damals angeschafft, um dem Publikum zu präsentieren, was im Kino-Mainstream sonst unterging. Etwa die früheren Dokumentarfilme des Zuger Filmemachers Erich Langjahr hätten eine neue Kopie, ein sogenanntes «Blow-up» gebraucht, um durchs reguläre Programm zirkulieren zu können. Dank der Ausstattung im Burgbach konnten seine Produktionen im Originalformat projiziert werden. Sonst wären sie ausgerechnet in der Heimat des wohl bekanntesten Zuger Filmemachers nicht zu sehen gewesen. Als Erich Langjahr in den 60er-Jahren seine erste Super-8-Kamera in den Händen hielt, begann nämlich das, was wir heute als die mehr als fünf Dekaden überspannende, einzigartige Karriere eines Schweizer Dokumentaristen kennen.
Über seine Filme, die Langjahr seit den 90er-Jahren oft Seite an Seite mit seiner Frau Silvia Haselbeck inszeniert, schrieb der Filmkritiker Martin Walder, dass sie ganz der innerschweizerischen Landschaft entsprechen würden. Denn wortkarg wie Bergler seien sie. «Und bildstark wie Berge», wie Walder für eine Langjahr-Retrospektive im Stadtkino Basel kürzlich notierte. Langjahrs Dokumentarfilme, die sich oft mit Heimat, mit dem Reiben von Tradition und Moderne in der Schweiz auseinandersetzen, gehören gesehen – und auch diskutiert. Dafür sind Filmclubs wie der FLIZ da.
Erich Langjahr war damals selbst einer der treibenden Kräfte, als es um die Anschaffung des Projektors für das Theater im Burgbachkeller ging. Und im Juni 1999 unter jenen zu finden, die an dieser ersten Orientierungsversammlung in der Zuger Altstadt den FLIZ gründeten. Solche Filmclubs sind in der Schweiz mittlerweile rar, verfügen aber über eine lange Tradition. Besonders in der Zeit zwischen den Weltkriegen, so schreibt der Filmhistoriker Martin Girod für «Filmbulletin», seien Liebhaber*innen zusammengekommen, um gemeinsam ihre Begeisterung für den «guten» Film pflegen zu können. Denn in den Clubs ging es um die gekonnte Filmauswahl: Aus dem Verleihangebot seien von den Verantwortlichen die «qualitativen Spitzen» ausgewählt worden, um sie, gerahmt von Referaten und Publikumsdiskussionen, im Kreis der Cineast*innen geniessen zu können.
Beim FLIZ ist das nicht anders. Doch das Setting im Burgbach in den 90er-Jahren liess für die künftigen FLIZ-Mitglieder auf die Dauer zu wünschen übrig. Der Projektor war laut, es musste ein Schallschutzkasten um den Projektor installiert werden. Geräte für noch grössere Filmformate hätte man im Burgbachkeller darum nicht einbauen können. Der technische Fortschritt verlangte eine Veränderung: Der offiziellen Gründung des Filmclubs 1999 folgte daher im Januar 2000 das erste FLIZ-Screening im Kino Gotthard.
Im Gotthard nach Havanna und um die Welt
In dieser Form trug der FLIZ die Filmclub-Mission in die Gegenwart. Sorgfältig kuratiert, ohne Werbung und Unterbrechung werden noch heute Schweizer Dokumentarfilme und weitere interessante Werke im Originalformat gezeigt, denn «das Eintauchen in einen Film, in eine andere Welt sozusagen, ist ein Erlebnis, das nicht unnötig unterbrochen werden sollte», so FLIZ- Co-Präsidentin Elke Mangelsdorff. Begleitet werden die Screenings jeweils von Diskussionen mit Filmemacher*innen oder Expert*innen. «Wir möchten eine Atmosphäre kreieren, wie man das von Filmfestivals kennt, auch wenn es nur ein Abend und kein mehrtägiges Ereignis ist», meint Mark Hofstetter, Co-Präsident und Gründungsmitglied des Clubs.
Und ihr nächstes Kinoereignis ist schon geplant. Denn in den Zuger Kinos startete gerade das Programm «Im Gotthard um die Welt» – noch bis zum 4. November werden an ausgewählten Abenden ungewöhnliche Werke aus unerwarteten Ecken gezeigt. Aus der Mongolei «City of Wind» am 7. Oktober oder dem Sudan «Goodbye Giulia» am 28. Oktober etwa. Als Teil des Programms wird der FLIZ-Kinoclub am 14. Oktober das Screening von «Landrián» begleiten, einem bewegenden Dokumentarfilm über den afrokubanischen Filmemacher Nicolás Guillén Landrián. Dieser zählte einst zu den wichtigsten Filmemachern Kubas, als Gegner Fidel Castros geriet er aber in Ungnade und darum beinahe in Vergessenheit. Regisseur Ernesto Daranas holt für «Landrián» dessen 17 Dokumentarfilme aus dem Archiv, darunter eindrückliche Ansichten aus dem Havanna der 60er-Jahre. Im Film ist es Landriáns damaliger Kameramann Livio Delgado, der im Vorführraum Platz nimmt und die Filme von einst nochmals voller Rührung betrachtet. Am FLIZ-Event Mitte Oktober wird wiederum der in Kuba lebende Journalist Niels Walter anwesend sein, um im Saalgespräch nach dem Film mit dem Publikum über das Screening zu diskutieren.
«Die Tabubrecherin»
Noch mindestens ein weiteres Kinoereignis erwartet das Publikum diesen Monat: Ende Oktober wird Erich Langjahrs und Silvia Haselbecks neuester Film, «Die Tabubrecherin», anlaufen. Das Tabu, um das es darin geht, ist der Tod, der in unserer Gesellschaft nur selten zur Sprache kommen darf. Wenn man schwer erkrankt ist und unmittelbar mit dem Tod konfrontiert wird, ist die Flucht vor ihm aber nicht mehr so leicht. Das wusste Michèle Bowley, die an Krebs erkrankt war und im Zentrum von Langjahrs und Haselbecks geduldigem, einfühlsamen Porträt steht. Die gebürtige Baslerin, die auch in Zug beim kantonalen Amt für Gesundheit arbeitete, blieb angesichts ihres Endes überraschend optimistisch. Auch weil sie sich als spirituell Interessierte stets ein «Danach» ausmalen konnte. Zu den spannendsten Szenen des Dokumentarfilms gehört deshalb jene, in der Bowley mit einem Arzt diskutiert, der sich über die vorübergehenden Erfolge der Strahlentherapie freut, um von der charmanten Patientin in eine Diskussion darüber, ob nicht auch ihre mentale Haltung zur Besserung geführt habe, verwickelt zu werden. «Es ist ein Glücksfall, dass wir Michèle kennen lernen und mit ihr diesen Film machen durften», meint Haselbeck.
Da ist es wieder, das Thema, das sich wie ein roter Faden durch ihr Schaffen zieht: Ursprüngliches und Modernes stehen oft nebeneinander. In gewissem Sinne gehen auch die Filmclubs und die Kinos heute diesen schmalen Grat zwischen Tradition und Moderne – sie müssen den Sprung vom Vergangenen ins Gegenwärtige wagen, um der aktuellen Kinokrise zu trotzen. Auch Erich Langjahr wünscht sich, dass wieder mehr Menschen ins Kino gehen, anstatt Filme zu Hause auf den kleineren Screens zu schauen. Ihm gefällt deshalb die Bezeichnung «Lichtspieltheater», ein älterer Begriff fürs Kino, nach wie vor sehr gut. Denn «das Erlebnis auf der Leinwand, zusammen mit den anderen Zuschauenden und den technischen Möglichkeiten der heutigen Kinos ist eine grossartige Theatersituation», erzählt der Regisseur.
Vielversprechendes Modell
Die Präsident*innen des FLIZ zeigen sich optimistisch, dass dank der Filmclubs, die diesen Event-Charakter zurück ins Kino bringen, die öffentliche Filmkultur belebt wird: «Das Konzept hat sich bisher bewährt. Nach der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie kommen die Zuschauer*innen wieder vermehrt in die Kinos und zu unseren Veranstaltungen, worüber wir uns sehr freuen», meint Elke Mangelsdorff. Mit ungefähr 280 Mitgliedern erscheint das Modell tatsächlich vielversprechend. Und: Ein guter Kino-Herbst ist bei diesem Programm ohnehin gesichert.
Text: Selina Hangartner