Wie kam der Katholik ins reformierte Grab?

Brauchtum & Geschichte

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Vom einstigen Friedhof um die reformierte Kirche in Baar sind nur noch einige wenige Grabmäler erhalten geblieben. Eines davon trägt das steinerne Antlitz einer illustren, wirtschaftlich und politisch verdienten Zuger Persönlichkeit.

  •   Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar.Bilder: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)  Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar. Bild: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)
    Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar.Bilder: Stefan Kaiser (26. 4. 2024) Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar. Bild: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)
  •   Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar.Bilder: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)  Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar. Bild: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)
    Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar.Bilder: Stefan Kaiser (26. 4. 2024) Das Grab von Wolfgang Henggeler und seiner Frau auf dem ehemaligen im Friedhof der reformierten Kirche Baar. Bild: Stefan Kaiser (26. 4. 2024)

Baar – Als im Jahre 1867 in Baar die erste reformierte Kirche im Kanton fertiggestellt wurde, legte man nach traditioneller Manier den Friedhof um das Gebäude an. Über 100 Jahre lang fanden die Reformierten hier ihre letzte Ruhe. Aus Platzgründen wurden sie ab 1974 auf dem vormaligen katholischen Friedhof an der Asylstrasse bestattet, ab 1980 schliesslich auf dem neuen Friedhof Chilematt.

Als 1994 die vorgeschriebene Grabesruhe für die Grabstellen auf dem alten Friedhof bei der Kirche abgelaufen war, wurden sie aufgelassen – bis auf einige Familiengräber nördlich der Kirche. Diese wenigen übrig gebliebenen Grabsteine erinnern an die einstige letzte Ruhestätte der Baarer Reformierten.

Eines dieser Grabmäler – eine nach oben hin sich verjüngende Sandsteinstele in Obeliskenform – fällt besonders ins Auge. An seiner Front prangt eine aufwendige bildhauerische Arbeit: das detailliert ausgearbeitete Porträtrelief eines bärtigen Herrn. Die Inschrift darüber verrät, dass es Wolfgang Henggeler zeigt, bedeutender Zuger Industrie-Pionier aus katholischem Hause. Warum also liegt er in «reformierter Erde» bestattet? Henggeler war eine schillernde, ja sicher bewundernswerte Persönlichkeit, zumal er quasi per «Tellerwäscherkarriere» zum vermögenden Industriellen aufge­stiegen ist, der letztlich als angesehener Politiker wesentlichen Einfluss nahm.

Anfänglich der Müllerei zugetan

Henggeler wurde 1814 in Unterägeri geboren. Ab 1829 liess er sich zum Mühlenbauer ausbilden. Nach seiner Lehre war er ab 1831 kurzzeitig als Mühlenmechaniker beim Gattiker Dorfmüller Hans Jakob Schmid – dessen Familie mit derjenigen von Henggelers Mutter befreundet war – tätig, ehe er sich zunächst als Autodidakt weiterbildete und schliesslich in Langnau als Fabrikarbeiter der dortigen, damals hochmodernen Spinnerei sein technisches Wissen vertiefte.

1834 gründete Wolfgang Henggeler gemeinsam mit seinen zwei Brüdern, seinem Onkel und seinem Schwager die Spinnerei Unterägeri. Ein Pionierstreich: Es war der erste Fabrikbetrieb im Kanton Zug. Henggelers Betrieb florierte und wurde mehrfach erweitert. Heinrich Schmid, Sohn von Henggelers früherem Arbeitgeber in Gattikon, wurde 1838 Teilhaber der Spinnerei Unterägeri. Gemeinsam beteiligten sie sich erfolgreich an weiteren Spinnerei- und Webereibetrieben in den Kantonen Zug, Zürich und Bern. Darunter auch an der Spinnerei Baar. Nebenbei besetzte Henggeler diverse Zuger Ratsämter, ab 1860 war er sieben Jahre lang Nationalrat.

1844 ehelichte Wolfgang Henggeler Barbara Schmid, Tochter des reformierten Thalwiler Müllers Jakob Schmid und somit Enkelin von Henggelers einstigem Beschäftiger, dem Gattiker Dorfmüller. Da in Henggelers Betrieben immer mehr reformierte Leute von auswärts arbeiteten, wuchs der Wunsch nach einem entsprechenden Seelsorgeangebot im bislang «rein» katholischen Kanton Zug. Henggeler und seine Frau setzten sich um 1861 für eine solche Dienstleistung ein, was ihnen dank des Einflusses des Fabrikanten und Politikers gelang.

Im Dienste der Reformierten

Diese Errungenschaft des Ehepaars Henggeler-Schmid war faktisch die entscheidende Vorarbeit, der «Grundstein» für die wenige Jahre in direkter Nachbarschaft zur Spinnerei Baar erbauten reformierten Kirche nach Plänen des angesehenen Zürcher Architekten Ferdinand Stadler (1813-1870). Sie war fortan spirituelle Heimstätte der stark angewachsenen reformierten Gemeinde in Baar und Umgebung.

Der katholische Industrielle und Wirtschaftspionier Henggeler liess sich nach seinem Ableben 1877 auf dem Friedhof der reformierten Kirche bestatten, um die er sich gemeinsam mit seiner Frau so stark verdient gemacht hatte. Barbara Henggeler-Schmid überlebte ihren Mann um 20 Jahre. 1897 wurde sie neben ihrem Mann beigesetzt. Und so erinnert noch heute der stehengelassene Grabstein an das illustre Ehepaar. (Text von Andreas Faessler)