Mobbing hinter Kirchenmauern?

Musik

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Per Ende August muss der Kirchenmusiker der katholischen Gemeinde St. Michael gehen – nach 18 Jahren im Amt. Nun gehen die Chor­mitglieder auf die Barrikaden.

Zug – «Für uns ist es sehr schmerzhaft, dass ein fähiger Dirigent nach 18 Jahren einfach weggefegt worden ist», so bringt ein Kirchenchormitglied seinen Protest über die Entlassung des Kirchenmusikers Marco Brandazza zum Ausdruck. Der 55-Jährige muss per Ende des Monats gehen – wegen Unstimmigkeiten zwischen ihm und der Gemeindeleiterin Sibylle Hardegger.

Doch nun schlagen drei Personen – Ursula Abicht, Hansjörg Flury und Monika Leuthard – im Namen der Chöre und des Kirchenorchesters mittels einer Medienmitteilung Alarm und protestieren gegen die Entscheidung, die schon seit Monaten bekannt ist (Ausgabe vom 12. März). Ihre Botschaft ist klar: «Wir wollen unseren Dirigenten behalten», fordern sie. Das ist nachvollziehbar. Denn gemäss einer Umfrage seien nur noch sehr wenige Chormitglieder «motiviert, weiterhin zu singen, weil sie ein solch ungebührliches Vorgehen des Kirchenrats, der Kirchenschreiberin und der Pfarrleitung nicht goutieren», heisst es in der Medienmitteilung. Und das nicht ohne Grund. Die 60 Chormitglieder, die dem inzwischen altehrwürdigen 127 Jahre alten Cäcilienverein angehören und einen Altersdurchschnitt von 70 Jahren aufweisen, haben sich an Marco Bran­dazza gewöhnt, ja sind begeistert von ihm – werden sie doch «kompetent, menschlich und humorvoll von ihm geleitet».

«Entsetzt und enttäuscht»

Erinnern wir uns. Marco Brandazza ist gebürtiger Mailänder und arbeitet seit 1987 als Kirchenmusiker in der Zentralschweiz. Seit 1998 ist er Verantwortlicher in der Pfarrei St. Michael in Zug. Seit 2006 wirkt er als Leiter des Orgeldokumentationszentrums an der Uni Luzern. Ein absoluter Experte also. Und doch sind Brandazza und Gemeindeleiterin Sibylle Hardegger aneinandergeraten: Grund: Unstimmigkeiten über die Kirchenlieder, die im Gottesdienst gesungen werden. Die 49-jährige Theologin und Kunsthistorikerin ist ad interim eingestellt worden – bis der neue Pfarrer Reto Kaufmann im November seinen Dienst antritt.

Die Chormitglieder, die nun auf die Barrikaden gehen, sind aber auch «entsetzt und enttäuscht» über die «Art von Mobbing», die da seitens der Kirchenleitung gegenüber dem Kirchenmusiker ausgeübt worden sei. «Denn für uns ist es nach wie vor unerklärlich, mit welcher Begründung Marco Brandazza gekündigt worden ist. In Verhandlungen wurde allen Beteiligten in Aussicht gestellt, Marco Brandazza könne nach einer Aus- und Probezeit mit dem neuen Pfarrer erneut die Leitung der Kirchenmusik übernehmen.» Doch vier Tage nach der Kirchgemeindeversammlung im Juni sei von diesem Angebot keine Rede mehr gewesen, heisst es in dem Schreiben weiter. Vielmehr sei die definitive Kündigung erfolgt. «Wir kommen uns verschaukelt und respektlos behandelt vor», sagen die Chormitglieder. Und sie stellen eine grundsätzliche Frage: «Die Pflege christlicher Werte lässt schwer zu wünschen übrig. Ist dies der Stil der Personalführung in unserer Kirchgemeinde?»

Zurück zu Marco Brandazza. Dieser nimmt erstmals Stellung zu seiner Kündigung. «Die genauen und echten Gründe dafür sind mir leider unbekannt», versichert der Kirchenmusiker. Der Kirchenrat behaupte einfach, er werde vom Pfarreiteam St. Michael nicht mehr akzeptiert. Und das, ohne ihm jemals genau zu sagen, warum. «Das empfinde ich tatsächlich als ungerecht. Nach 18 Jahren erfolgreicher Tätigkeit als Organist, Dirigent und Choralschola-Leiter kann ich mir dies nicht erklären», so Brandazza. In der Sache habe er sich stets konsequent auf die liturgischen und kirchenmusikalischen Vorgaben gestützt. «Darüber konnte ich mich mit der Gemeindeleiterin und ihrem priesterlichen Mitarbeiter leider nicht finden.»

Differenzen

Kirchenratspräsident Patrice Riedo bestätigt, dass es im Herbst 2015 zwischen der Pfarreileitung und dem verantwortlichen Kirchenmusiker zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sei. «Diese drehten sich hauptsächlich um Fragen der musikalischen Gestaltung von Gottesdiensten und um Verantwortlichkeiten in der Planung», so Riedo. Die Differenzen um die musikalische Gestaltung der Gottesdienste habe man jedoch nicht lösen können. «Es ist generell darum gegangen, welche Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz der Gemeindeleitung und welche dem verantwortlichen Kirchenmusiker zukommen», sagt Riedo. Der Kirchenrat habe dazu von Beginn an die klare und einstimmig gefasste Haltung vertreten, dass die abschliessende Kompetenz für die Gestaltung der Gottesdienste bei der Gemeindeleitung liegt.» Nach eingehenden Diskussionen und reiflicher Überlegung habe der Kirchenrat dann beschlossen, so Riedo, den Arbeitsvertrag Brandazzas als Organist und verantwortlicher Kirchenmusiker zu kündigen.

Eigentlich Opfer von Sparpolitik?

Nicht betroffen davon sei Brandazzas Tätigkeit als Chorleiter des Kirchenchors, der Choralschola und der Kantoren. Riedo: «Das Anstellungsverhältnis sollte fortgesetzt werden, jedoch auf Basis des neuen Anstellungs- und Besoldungsreg­lements der Katholischen Kirchgemeinde Zug. Dazu wurde ein neuer Arbeitsvertrag erstellt.» Zu keiner Zeit sei Bran­dazzas hohe musikalische Kompetenz in Frage gestellt worden. «Dieses angepasste Arbeitsangebot hat Herr Bran­dazza ausgeschlagen, weil er auf seine Tätigkeit als Organist nicht verzichten wollte.» Dem Kirchenrat sei bewusst gewesen, dass der Chor mit den Leistungen Brandazzas zufrieden war. Riedo: «Der Kirchenrat muss jedoch feststellen, dass die Fixierung des Chors auf Herrn Brandazza als Chorleiter und Organist eine Lösungsfindung enorm erschwert.» (Wolfgang Holz)