Wer hat die Zuger Kirschtorte wirklich erfunden?
Brauchtum & Geschichte
Zur Erfindungsgeschichte des Zuger Kirschgebäcks kursieren diverse, teilweise recht abenteuerliche Anekdoten. Experimentiert wurde in einer kleinen Backstube im Herzen des Neustadt-Quartiers. Mit Kirschwasser.
Zug – Der junge Konditor Heinrich Höhn (18891957) eröffnete 1913 zusammen mit seiner Frau ein Konditoreigeschäft an der Alpenstrasse 7, mitten im aufstrebenden Neustadt-Quartier. Höhn stammte ursprünglich aus dem benachbarten Hirzel im Kanton Zürich und wuchs in Herisau in Appenzell-Ausserrhoden auf. Seine Geschäfte liefen anfänglich nicht gut, und der Beginn des Ersten Weltkrieges stand kurz bevor. Höhn musste sich dringend etwas einfallen lassen.
Laut Nacherzählung soll der damalige Zuger Kirsch-Destillateur Johann Etter dem jungen Höhn geraten haben, doch einmal Kirsch statt Punsch in die englische Punschtorte zu träufeln. Tatsächlich weist das damalige Punschgebäck bezüglich Struktur und Machart Ähnlichkeiten mit der späteren Kirschtorte auf. Auch die damalige Besitzerin des Ladenlokals, Damenschneiderin Emma Leibacher, soll Höhn geraten haben, dringend eine Zuger Spezialität zu fertigen. Höhns spätere Konkurrenten behaupteten, er hätte die Kirschtorte aus Holland importiert, andere sagten, er hätte sie in Italien entdeckt.
Tüfteln in der Backstube
Am besten belegt ist jedoch die Anekdote, wonach Heiri Höhn die Kirschtorte auf Anregung von Anna Stadler-Christen, Wirtin vom benachbarten Hotel Zugerhof, und Carl Föry-Doswald, Stadtrat und Hotelier vom «Central», erfunden hat. Die beiden Gastronomen seien mit der ausdrücklichen Bitte an Konditor Höhn herangetreten, er solle für ihre zahlungskräftige Kundschaft ein feines Dessert mit Kirsch kreieren. So kam es, dass sie bei Höhn in der Backstube sassen und diverse Prototypen der Kirschtorte verkosteten, bis die Kreation endlich perfekt war. Bereits am 23. Dezember 1915 publizierte Höhn in den «Zuger Nachrichten» ein Inserat, in welchem er sein neues Produkt als «Zuger-Kirschtorten, Spezialität» anpries. Bis 1921 wurde die Erfindung weiterentwickelt und verfeinert. Höhn liess sich durch die leichte Verfügbarkeit an hervorragenden Kirschwassern in der Stadt Zug inspirieren.
Zürcher Kirschtorte?
Und dann gibt es noch die Geschichte einer «Kirschwasser Torte» aus den Küchen-Protokollen des Zürcher Bürgermeisters und Landammanns Hans von Reinhard aus dem Jahr 1819. Darin ist vermerkt, dass den 34 geladenen Gästen in Zürich «bey anlass der Reformations Feyer» nebst anderen Dessertspeisen auch eine «Kirschwasser Torte» aufgetischt wurde. Der Kirsch war schon damals ein beliebtes Destillat, um Nachspeisen zu aromatisieren. Das Zürcher Kirschgebäck besass indes kaum eine Ähnlichkeit mit der Raffinesse der späteren Zuger Kirschtorte. Denn Höhns Verdienst war es, die Torte so zu strukturieren, damit das Biscuit mit Buttercrème versiegelt und mit Japonaisböden ergänzt werden konnte, um das Auslaufen des Kirschsirups zu verhindern.
Übrigens ...
Auch die «Schwarzwälder Kirschtorte» feiert heuer ihr 100-Jahr-Jubiläum. 1915 soll die mit Kirsch aromatisierte Rahmtorte von Konditor Josef Keller in Bad Godesberg bei Bonn (D) erfunden worden sein, bevor er sein Rezept an August Schäfer im schwarzwälderischen Triberg (D) weitergab. Auch bei der Schwarzwäldertorte gibt es Mitstreiter, die anderes behaupten. So sei die berühmte Torte 1930 in Tübingen erfunden und 1934 erstmals erwähnt worden. Damals wurde das Gebäck vor allem in Berlin sowie in deutschen, österreichischen und schweizerischen Grossstädten verkauft. Die «Schwarzwälder Kirschtorte» ist heute die bekannteste und beliebteste Torte Deutschlands und weltweit gefragt. Im Schwarzwald gibt es ein wiederkehrendes Festival, bei dem Amateure und Profis mit selbst gemachten Kirschtorten kulinarisch gegeneinander antreten. (Ueli Kleeb)
Lesen Sie im nächsten Teil der Serie, wie der Zuger Kirsch aus dem Neustadt-Quartier weltbekannt wurde. Und warum das Stadtviertel zum Epizentrum der Zuger Kirschtorte geworden ist. Zusammen mit einem Team von Historikern hat der Zuger Ueli Kleeb die Kirschenkultur in der Region Zug-Rigi erforscht und seit 2007 ein umfangreiches Archiv angelegt. Ende Jahr erscheint das Buch dazu. Viele der erwähnten Exponate sind im «Zuger Kirschtorten Museum» bei Treichler ausgestellt.