Dem Zytturm fehlen die Zifferblätter
Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte
Zug – In 50 Metern Höhe stehen sie auf den schmalen Gerüstbalken am Zytturm – kein Ort für Menschen mit Höhenangst. Hinter den knapp hüfthohen Geländern ist ein Grossteil des Kantons zu sehen. Regen prasselt auf die Schutzhelme von Christian Weber, Leiter der Abteilung Immobilien, Urs Raschle, Stadtrat und Vorsteher Finanzdepartement und Bauleiter Mauro Vogel. Ende Juli begann die Gesamtsanierung der Fassade. Nun präsentiert die Bauherrschaft die fortschreitenden Arbeiten unserer Zeitung.
«Die ganze Fassade wird saniert», sagt Weber durch den Regen hindurch. Denn der Sandstein weise Risse und Alterserscheinungen auf. Teile könnten sich lösen – und herunterfallen. Ausserdem seien Wappen und Malereien durch die Witterung verblasst.
Er zeigt auf den goldenen Turmkopf: «Der wird abgenommen, Spitze und Kugel werden instand gesetzt und vergoldet», sagt er. Vor Wiederaufsetzen werde die Kugel mit Zeitdokumenten gefüllt – etwa einer aktuellen Zeitung. Eine Art Zeitkapsel für die Nachwelt.
Vorsichtig steigen wir die Stufen der Gerüstleiter hinab, vorbei an den Dachgiebeln. «Die werden gereinigt und, wo nötig, erneuert», so Weber. Das gelte ebenso für die blau-weissen Ziegel, die streng genommen erst seit etwa 1557 das Bild des rund 300 Jahre älteren Turms prägen.
Die Turmuhren haben keine Zeiger
Die genauen Kosten der Sanierung seien schwer abzuschätzen, erklärt der Zuger Finanzvorsteher Urs Raschle. Am teuersten war ihm zufolge der Aufbau des Baugerüsts – was gut vier Wochen dauerte. Insgesamt dürfte die Sanierung 380 000 Franken kosten. Dabei handle es sich aber um ungefähre Ausgaben, betont Raschle. «Solche Sanierungen sind voller Überraschungen.»
Da ist zum Beispiel die Turmglocke, die nicht mehr funktioniert. Früher standen auf dem Wachturm die Feuerwehrmänner. «Wenn es stürmte, brannte oder eine andere Gefahr drohte, läuteten sie die Glocke – um die Bevölkerung zu warnen», erklärt Weber.
Vor einigen Monaten sei die Glocke, die nur noch symbolisch läutete, plötzlich verstummt. Eine Anwohnerin habe das sofort gemeldet. «Sie konnte nicht schlafen, weil die Glocke nicht läutete – und rief uns am darauffolgenden Tag an», schmunzelt Weber. Die Ursache sei noch unbekannt. Aber daran werde gearbeitet. Je tiefer wir kommen, desto stärker wird der Regen. Eine zerdrückte Cola-Dose klebt am Gerüstboden. Nach einer Weile fällt auf: Den riesigen Uhren fehlen die Zifferblätter. Bauleiter Mauro Vogel erklärt. «Jeder der fast 1,8 Meter langen Zeiger hat ein Gewicht und ein Gegengewicht. Wir balancieren sie aus – damit sie rund laufen.» Die Zeiger werden auch frisch vergoldet. Zum Schluss werden die Uhrwerke repariert, damit sie möglichst lange wartungsfrei bleiben.
Weber lüftet die Legende der Turmratte
Auf die Frage, wann die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein werden, antwortet Vogel: «Voraussichtlich Anfang Dezember». Christian Weber fügt schnell hinzu: «Aber es dauert so lange, wie es dauert.»
Ziel sei es, den historischen Charakter des Turms zu erhalten. Bei jedem Schritt arbeite die Bauherrschaft eng mit der Denkmalpflege zusammen. «Da schauen wir zum Beispiel, ob wir den Sandstein flicken können oder ob er komplett erneuert werden muss.» Das sei ein ebenso sorgfältiger wie zeitaufwendiger Prozess.
Kurz vor Ende der Führung stehen wir vor dem Gerüstaufzug, der uns die letzten 30 Meter in die Tiefe befördern wird – zurück auf sicheren Boden. Zum Abschluss zeigt Raschle auf eine grossformatige Ratte, die an den Turm gemalt wurde.
«Der Legende nach hat ein Unbekannter vor vielen Jahren vorgeschlagen, sie an den Turm zu malen», sagt Raschle. Um die vielen Ratten zu verscheuchen, die sich an den Vorräten der Feuerschauer zu schaffen machten. «Aber das ist nicht gesichert», sagt Raschle. «Und gebracht hat es auch nichts.» (Text: Felix Ertle)