Zwischen Arthouse und Mainstream
Film & Multimedia
Werden Ein- und Zweisaalkinos bald der Vergangenheit angehören? Wir nehmen diese Frage zum Anlass, die Zentralschweizer Kinolandschaft etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Zug – Das grosse Kinosterben, wie es die aktuelle Ausgabe des NZZ-Kinomagazins «Frame» für die Städte Bern oder Zürich prognostiziert, hat zumindest in der Stadt Luzern längst stattgefunden. Wie aber wird sich die Zentralschweizer Kinolandschaft verändern, wenn die Kinokette Pathé im Herbst 2017 in der Mall of Switzerland in Ebikon ein neues Multiplex-Kino eröffnet? Wir haben bei den Zentralschweizer Akteuren nachgefragt.
Der grösste Anbieter im Mainstream-Bereich ist die Kitag AG, welche die Kinos Maxx, Capitol und Moderne betreibt. «Es findet ein Verdrängungskampf statt, in dessen Folge wir einen gewissen Teil unserer Kundschaft verlieren werden», sagt Philippe Täschler, Geschäftsführer der Kinogruppe. Dass der Standort Emmenbrücke ausgebaut werden soll, sei jedoch schon lange vorher beschlossen worden, so Täschler weiter: «Es sind sechs weitere Kinos geplant.» Voraussichtliche Eröffnung: 2019/20. Damit reagiert man auf die Entwicklung, dass immer mehr Filme den Markt regelrecht überschwemmen. Momentan herrscht Sommerflaute, und es ist EM, Ende Juli wird es dann aber wieder eng. Mehr Säle, das bedeutet auch, dass die Filme länger gespielt werden können. Im Kino Capitol in der Stadt Luzern ist ausserdem seit langem ein siebter Saal auf dem Zwischenstockwerk geplant; ein kleines Kino mit Luxussesseln. Man wartet immer noch auf Baufreigabe.
Pathé schweigt
Momentan scheint die Lage auf dem Zentralschweizer Kinomarkt relativ stabil zu sein. Täschler bestätigt das: «Die Situation wurde im Jahr 2000 bereinigt, als in Emmenbrücke die acht Säle eröffnet wurden. Damals sind die Einnahmen in der Stadt um 50 Prozent eingebrochen.» Seither ist die Entwicklung absehbar: Es gibt eine Zweiteilung in Mainstream- und Arthouse-Kino.
Frank Braun von der Neugass Kino AG in Zürich, die das Miniplex-Kino Bourbaki mit vier Sälen betreibt, sieht dem Multiplex in Ebikon denn auch ziemlich gelassen entgegen: «Das ist ein Kampf zwischen Titanen; Emmenbrücke gegen Ebikon.» Auswirkungen auf die Innenstadt werde das erst in einem zweiten Schritt haben, und zwar auf das Kino Capitol am Bundesplatz. Und auf das Moderne an der Pilatusstrasse, das letzte Einzelkino in der Stadt. «Die Kitag AG setzt zu 100 Prozent auf Blockbuster.» Es gibt wenig Filme, die sowohl ein Mainstream- als auch ein Arthouse-Publikum ansprechen. Schweizer Filme wie «Schellen-Ursli» und «Heidi» sind Beispiele dafür.
Wird er den zweiten Teil der neuen «Star Wars»-Trilogie auch im Bourbaki programmieren, wie er das mit dem ersten im neueren Zürcher Miniplex Houdini gemacht hat? Er betreibe keine Kraut-und-Rüben-Politik. «Mainstream-Filme im Arthouse-Kino, das beisst sich.» Doch gibt es Crossover-Filme wie «The Revenant», der ursprünglich für das Bourbaki vorgesehen, dann aber im Moderne zu sehen war. «Ich möchte das nicht ausschliessen, aber es hat überhaupt nicht Priorität.» Wenn die Kitag irgendwann einmal die Filme nur noch auf Deutsch zeige, könne man sich überlegen, die Originalversion zu spielen, sagt Braun.
Pathé schweigt sich zur ganzen Entwicklung mehrheitlich aus. «Bezüglich der Fragen zur Kinolandschaft, zur Konkurrenzsituation und zum möglichen Einfluss von Pathé Ebikon möchte man zurzeit keinen Kommentar geben», heisst es. Bestätigt wird von CEO Thierry Hatier lediglich, dass es zwölf Leinwände geben wird, darunter einen Imax-Saal.
Für die Zukunft gerüstet
Neben den zwei, bald drei grossen Anbietern gibt es in der Zentralschweiz mehrere Ein- und Zweisaal-Kinos, die sich für die Zukunft gerüstet haben und wohl auch so bald nicht von der Landkarte verschwinden werden. Sie alle machen den Spagat zwischen Mainstream- und Arthouse-Kino.
Thomas Ulrich hatte bereits im Jahr 2000, als er die Leitung der Zuger Kinos übernahm und die Wiedereröffnung des neuen Duplexkinos Seehof bevorstand, die Strategie, eine möglichst klare Alternative zum Maxx zu sein. «Ich war schon damals der Meinung: Die sind stärker, wir können keine Konkurrenz, sondern müssen anders sein. Dies funktionierte jahrelang gut, denn es gab damals noch genügend Kinogänger, die es schätzten, ohne Popcorn einen Film zu sehen, und dies allenfalls auch in der Originalversion.»
Gastgeberqualitäten
Das Kino Sins im nahen Freiamt mit seinen drei Sälen ist durchaus eine Konkurrenz für den Kinostandort Zug, den weitaus grösseren Anteil von Gästen verliert Zug jedoch an Emmenbrücke und Zürich-Brunau. Für Ulrich ist entscheidend: «Im Bereich des Kommerzfilms können sich Einzelkinos nicht behaupten – egal ob in Zug oder Luzern.» Und: «Arthouse ist ausserhalb von Zürich tot. Und auch dort sieht es nicht mehr rosig aus. Das Kino Gotthard wird bei uns schon seit Jahren zu Gunsten der Vielfalt auf einem Monopolplatz mit hauseigenen Mitteln quersubventioniert.»
Auch in Luzern machen Schweizer Grossproduktionen («Heidi» oder «Schellen-Ursli»), regionale Titel («Die Kinder vom Napf», «Die Wiesenberger») oder Überraschungshits («Intouchables») künstlerisch anspruchsvollere Filme möglich. Derart dramatisch wie Thomas Ulrich sieht Frank Braun die Situation des Arthouse-Kinos jedoch nicht: «Das Kino unterliegt einem zyklischen Verhalten. Für dieses Auf und Ab muss man ein Bewusstsein haben. Der Erfolg steht und fällt mit der Attraktivität von Filmen im Angebot.» Und er weist auf die Diskrepanz hin, dass das Medium Film noch nie in seiner verhältnismässig jungen Geschichte in diesem Ausmass konsumiert worden sei – dank der Digitalisierung auf Knopfdruck immer und überall abrufbar. Gleichzeitig wird der Kinobesuch zur Ausnahme. «Es findet ein Strukturwandel statt hin zu einer Konzentration an einem Ort, was von den Kinobetreibern auch Gastgeberqualitäten verlangt.» Man geht nicht einfach nur ins Kino, sondern will in angenehmem Ambiente einen schönen Abend verbringen.
Schwarz sieht er erst, wenn der Primeurstatus der Kinos, dass neue Filme zuerst im Kino zu sehen sind, auch noch fallen sollte. Hat die Neugass Kino AG vor, auf das angesprochene Filmüberangebot zu reagieren? Ist im Raum Luzern ein Ausbau geplant? Ein solcher käme für Frank Braun nur in Frage, wenn ein weiterer Saal zu den bestehenden vier im gleichen Gebäude im Bourbaki-Panorama möglich wäre. «Einen weiteren Saal zu betreiben, wäre kein Problem», sagt er. Konkrete Pläne gäbe es aber nicht, betont Braun.
Anders sieht es in Zug aus. Wurden die beiden Seehof-Säle nach dreiwöchigem Umbau eben erst wiedereröffnet – mit erneuerter Bestuhlung und Deluxe-Kategorie –, droht den Einzelkinos Gotthard in Zug sowie Lux in Baar die Schliessung (siehe Ausgabe vom 30. Juni). Die Zuger Kino Hürlimann AG plant ein Multiplex-Kino, voraussichtlich auf dem Siemens-Areal.
In der Zentralschweizer Kinoszene begegnet man Menschen, die sich aufopfernd für den Film einsetzen und dabei nicht die Gewinnmaximierung im Kopf haben – doch rote Zahlen schreibt niemand gerne.
So gibt Thomas Ulrich in Zug nicht auf, junge Menschen wieder vermehrt in Filme in der Originalsprache zu locken – obwohl diese Bestrebungen einer Sisyphusarbeit gleichkommen. «Der Siegeszug der Synchronversion basiert eindeutig auf Nachfrage», meint Ulrich. «Es ist traurig.»
Nische regionaler Film
Auch Kurt Hasler in Engelberg ist ein unermüdlicher Kämpfer. Seit zwei Jahren führt er als Besitzer der Liegenschaft und der Druckerei auch das Kino: «Wir wollen ein Familienkino sein mit zahlbaren Preisen», sagt er. Um zu überleben – oder erst einmal auf einen grünen Zweig zu kommen wie in seinem Fall –, sind ein vielseitiges Angebot und regelmässige Investitionen unabdingbar; das und eine erweiterte Nutzung für Geschäftsessen an Weihnachten z. B., wo für das Catering auch gleich selber gesorgt wird. «Weniger ‹schnore›, mehr machen», ist die Devise.
Marianne Hegi ist im Besitz des Cinema Leuzinger in Altdorf und leitet es auch. Sie ergänzt: «Eine der Nischen, die dem Cinema Leuzinger das Überleben ermöglichen, sind regionale Filme. Es sind Filme über altes Handwerk, lokale Traditionen und Sagen, bei denen die Menschen aus den Dörfern mitreden können.»
Wie bleibt man als Kinobetreiber erfolgreich? Indem man «innovativ bleibt, auf die Kunden hört und ihnen bietet, was sie suchen», meint Benno Camenzind vom Mythen-Forum in Schwyz. «Eine Gefahr sind Filme, die beim Publikum durchfallen, da man mit weniger Leinwänden auch weniger Filme zeigen kann.» In dieser Hinsicht geht es den Innerschweizer Landkinos, wozu auch die Cinéboxx in Einsiedeln mit zwei Sälen und das Seefeld in Sarnen gehören, ähnlich. Einen nicht regelmässigen Kinobetrieb haben die Cinebar Willisau und das Kino Muotathal.
Ein Glücksfall
Unsere Kinolandschaft ist noch um ein Einzelkino reicher: Das Stattkino Luzern ist das einzige Programmkino und zeigt Filme ausschliesslich in Originalversion. Retrospektiven und Filmreihen finden nur dort statt. Dabei profitiert das Stattkino vom Standort am Löwenplatz: einem umtriebigen Umfeld mit dem Kino Bourbaki als unmittelbarem Nachbarn. Die Arthouse-/Studiofilm-Stadtvariante zum Blockbuster-Multiplex in der Peripherie ist ein Glücksfall. (Regina Grüter)