Der «Krumme Heiland» von Unterägeri

Dies & Das, Brauchtum & Geschichte

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Die drittälteste Skulptur im Kanton Zug stammt aus dem späten 13. Jahrhundert. Wir finden sie in der Pfarrkirche von Unterägeri. Sie gilt als Seltenheit, ist einem noch älteren Vorbild im Luzernischen nachempfunden und diente den Menzingern einst als spöttisches Vergleichsobjekt.

  • eschunden und gemartert: der Kruzifixus in Unterägeri aus dem späten 13. Jahrhundert. Bilder: Andreas Faessler (16. 5. 2024)
    eschunden und gemartert: der Kruzifixus in Unterägeri aus dem späten 13. Jahrhundert. Bilder: Andreas Faessler (16. 5. 2024)
  • eschunden und gemartert: der Kruzifixus in Unterägeri aus dem späten 13. Jahrhundert. Bilder: Andreas Faessler (16. 5. 2024)
    eschunden und gemartert: der Kruzifixus in Unterägeri aus dem späten 13. Jahrhundert. Bilder: Andreas Faessler (16. 5. 2024)

Unterägeri – Kaum eine andere biblische Szene kommt im kirchlichen Kontext bildlich so häufig vor wie Jesus Christus am Kreuz. Je nach Epoche ist die Darstellungsweise ganz unterschiedlich aufgeladen und umgesetzt. In der Pfarrkirche zur Heiligen Familie in Unterägeri finden wir ein aussergewöhnliches und zugleich seltenes Beispiel eines gotischen Gekreuzigten, wie man sich ihn in ländlichen Gegenden des 13. Jahrhunderts vorgestellt haben mag.

Das Kreuz hängt heute an der Frontwand des rechten Seitenschiffes. Der hölzerne Korpus ist von bemerkenswerter Ausführung: Jesus erscheint ausgemergelt bis auf die Knochen, seine dünnen, sehnigen Arme und Beine sind lang, die Füsse übereinanderliegend und von einem einzigen Nagel durchbohrt. Der geschundene, blutige Körper ist s-förmig gebogen, der Kopf hängt vornüber. Der Lendenschurz ist auffallend lang und reicht fast bis auf die Knie hinunter. Der Ägerer Christus ist im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden und gilt als drittälteste Skulptur im Kanton Zug – nach dem Oberägerer Lamm Gottes und der Madonna in St. Michael.

Der Korpus dürfte nach einem Vorbild gestaltet worden sein, das in der einstigen Klosterkirche von Rathausen bei Luzern gehangen hat und sich heute in der Nachfolge-Abtei in Thyrnau bei Passau befindet. Diesem «Rathauser-Kreuz» von zirka 1260 wurden in den folgenden Jahrzehnten Kruzifixe nachempfunden, von denen zwei bekannte die Zeit überdauert haben: zum einen unser Exemplar in Unterägeri und zum anderen ein weiteres im Kloster Muotathal. Letzteres ist um 1340 entstanden und weist eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Christus in Ägeri auf. Somit ist denkbar, dass das Kreuz in Muotathal eher dasjenige in Unterägeri zum Vorbild hatte und nicht direkt das «Rathauser-Kreuz».

Der aufmerksame Pfarrer

Dass wir den kunsthistorisch bedeutenden Christus aus der Hochgotik heute so wohlerhalten in der Pfarrkirche sehen können, ist vor allem der Aufmerksamkeit Robert Andermatts (1920–2009), von 1955 bis 1982 Pfarrer in Unterägeri, zu verdanken. Eines Tages entdeckte er den Gekreuzigten zufällig im Geräteschuppen des Friedhofsgärtners. Die Skulptur war auf einem schlichten schwarzen Kreuz befestigt.

Glücklicherweise hatte Pfarrer Andermatt ein Auge für Kunst und erkannte gleich, dass es sich um eine Kostbarkeit handelt. Nicht auszudenken, wenn das Objekt irgendwann achtlos entsorgt worden wäre. Andermatt nahm Kontakt mit dem renommierten Schweizer Kunsthistoriker und Konservator Adolf Reinle (1920–2006) auf. Dieser datierte den Kruzifixus auf die Zeit um 1280. Reinle empfahl dem Pfarrer, den gotischen Korpus mit einem Astkreuz zu ergänzen, ein Typus, wie er zur Entstehungszeit der Skulptur vielerorts verbreitet war. Andermatt befolgte den Rat.

«Mager wie der Ägeri-Heiland»

Seither hängt das Kruzifix in der Unterägerer Pfarrkirche und soll im Volksmund als «krummer Heiland» bekannt sein. So wird auch derjenige in Muotathal von den Einheimischen genannt. In «Die Kunstdenkmäler des Kantons Zug» von Josef Grünenfelder ist weiter zu lesen, dass in Menzingen einst ein Spruch umging, der sich offenbar auf den Gekreuzigten in Unterägeri bezog. So pflegte man zu sagen «er ist mager wie der Ägeri-Heiland», wenn jemand auffallend dünn war.

Weiter ist an selber Stelle zu lesen, dass der Ägerer-Heiland einst wohl zur spätmittelalterlichen Kirche von Oberägeri gehört hatte und von dort nach Wilägeri, dem heutigen Unterägeri, gelangt ist. Möglicherweise habe es als Triumphbogenkreuz der dortigen Kirche von 1226 gehandelt. (Text von Andreas Faessler)