Wirre Zeiten und neue Verfassung

Brauchtum & Geschichte

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Die erste Verfassung des Kantons Zug ist zur Jahreswende 1847/48 entstanden. In ihr findet sich Skurriles.

  • Die erste Zuger Kantonsverfassung aus dem Jahre 1848. (Bild Matthias Jurt)
    Die erste Zuger Kantonsverfassung aus dem Jahre 1848. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Die Ordnung der Alten Eidgenossenschaft zersetzte sich nicht über Nacht. Ihren Niedergang lösten französische Truppen aus, die ab Januar 1798 in Gebiete des Staatenbunds Schweiz eindrangen. Als der napoleonische Zauber 1815 endete, träumten viele Kantone von der Wiederherstellung der alten Strukturen und Privilegien. Zug war einer davon. Allerdings wollte niemand die Vogteien im Kanton wieder installieren. Die Konservativen hatten aber wieder die wichtigen Schalthebel der Macht im Griff.

Was jedoch schwer zu ändern war: Die Konsensfindung im Staatenbund Schweiz gestaltete sich sehr schwierig und wenig flexibel. Liberal gesinnte Kantone wollten, wie Renato Morosoli in einem Essay im Zuger Neujahrsblatt 1998 schrieb, einen Bundesstaat mit starker Zentralgewalt, Freiheitsrechten und weniger Einfluss der Kirchen einrichten. Die liberalen Kräfte waren sich bewusst, dass einige ihrer Aktionen wider den Staatenbund waren. Die Konservativen standen bei diesem vertragswidrigen Tun aber nicht abseits. Sie gründeten 1845 einen Sonderbund. Also einen Bund innerhalb eines Staatenbunds. Mitglieder waren die Zentralschweizer Kantone, das Wallis und der Kanton Freiburg. Alle waren katholisch geprägt und wollten das Bewahren, was ihnen heilig war.

Im November 1847 kam es zu einem kurzen Krieg zwischen den Tagsatzungstruppen unter General Guillaume-Henri Dufour (1787–1875) und denjenigen des Sonderbunds. Der Kanton Zug kapitulierte am 22. November 1847, ohne je einmal Truppen gesehen zu haben. Die Sieger marschierten später in den Kanton ein. Bei diesem letzten Krieg auf Schweizer Boden starben rund 90 Menschen. Dufour war bei seinen militärischen Aktionen darauf bedacht, auf jegliche Demütigungen zu verzichten.

Zusammenraufen nach einem Bürgerkrieg

Dieses kriegerische Ereignis war der Start zu einer kurzen Phase, in der das entstand, was wir heute als den Schweizer Bundesstaat bezeichnen. Bei dieser Transformation duldete die obsiegende Partei keine Halbheiten und Ausflüchte mehr. Der Anfang vom Ende der alten Ordnung im Kanton Zug vollzog sich am 3. Oktober 1847. Also noch vor dem Sonderbundskrieg.

An diesem Tag wählten die Zuger Bürger auf dem Landsgemeindeplatz den neuen Landeshauptmann. Er war konservativ. Daraufhin meldete sich ein Liberaler (Gustav-Adolf Keiser, 1816–1880). Er redete wider den Sonderbund. Die Stimmung auf dem Platz schaukelte sich auf. Keiser und die Seinen zogen ab. Erstaunlich war, dass Zugs konservative Regierung keine Anstalten machte, von ihren Ämtern zurückzutreten. Das erboste die eidgenössischen Repräsentanten.

Wie Renato Morosoli schrieb, schüttete der vorerwähnte Liberale Keiser Galle über die alte Regierung. «Die noch amtierende sonderbündische Regierung» habe in «offener Empörung die Waffen gegen die Eidgenossenschaft ergriffen und pflichtvergessen Schaden und Schande auf den Kanton geladen». Gustav Adolf Keiser sagte diese Worte am 5. Dezember 1847 auf dem Landsgemeindeplatz. An diesem Datum wählten die Bürger Keiser zum Vorsitzenden einer provisorischen Zuger Regierung. Zug hatte nun für kurze Zeit zwei Regierungen.

Paradoxe Zeiten auf dem Landsgemeindeplatz

Uneinig waren sich die damals in Zug erscheinenden Zeitungen «Der Freie Schweizer» und die «Neue Zuger Zeitung.» Erstere zählte so viele Menschen wie kaum je, derweil sah der Korrespondent der «Neuen Zuger Zeitung» bloss 700 bis 800 Menschen. Das hängt mit der Ausrichtung der Blätter zusammen: Der «Freie Schweizer» war liberal, die andere Zeitung konservativ.

Acht Tage später, am 13. Dezember 1847, kam es zur Wahl der Verfassungskommission. Konservative und Liberale hielten sich die Waage. Da aber bei der ersten Sitzung zwei konservative Männer fehlten, schnappten sich die Liberalen die Mehrheit in dieser Kommission. Diese konnten sie um elf Mitglieder noch weiter ausbauen. Die gewählten Männer fanden bei ihrer Verfassungsarbeit keine Musse. Es musste alles schnell gehen, sehr schnell sogar. In rund 30 Tagen war zu liefern. Der Grund: Die Abstimmung über die Verfassung war auf den 16. Januar 1848 angesetzt. Die Zuger Gemeinden segneten das Werk mit 1205 Ja zu 665 Nein ab.

Die Gemeinde Neuheim – 1848 von Menzingen getrennt – stimmte 41 Ja zu 16 Nein für die neue Verfassung. Menzingen lehnte derweil wuchtig ab, 31 Ja zu 225 Nein. Der «Freie Schweizer» schrieb in der Ausgabe vom 21. Januar 1848 von einem «erfreulichen Resultat». Die konservative «Neue Zuger Zeitung» schreibt am Tag darauf, dass sich die unterlegene Partei «ehrenvoll» geschlagen habe. Zudem hätten «keine Einschüchterungen» sie von ihrem Nein abhalten können. Das gleiche Blatt erwähnt dann noch, dass am Tag vor der Abstimmung über die neue Zuger Verfassung ein zweites Bataillon von eidgenössischen Truppen im Kanton Zug einmarschiert sei.

Schnelle Rückkehr der konservativen Kräfte

Die erste Zuger Verfassung hatte 126 Paragrafen und deren sechs für die Übergangsbestimmungen. Einige der Vorschriften wirkten aus heutiger Sicht skurril. So steht in Paragraf 58, dass der Grosse Rath (der heutige Kantonsrat) über Krieg und Frieden entscheide. Im Weiteren steht in der Verfassung von 1848, dass der Kanton Zug mit fremden Staaten Verträge schliessen könne. Eine weitere Besonderheit: Die Verfassung von 1848 war mindestens für acht Jahre in der ausgewählten Form zu erhalten.

Die Liberalen versuchten, ihre Agenda in ihrem Sinne weiterzuführen. Inwiefern sich die den Sonderbundskantonen auferlegten Kriegskosten auf die Politik auswirkten, ist unklar. Schon 1850 standen bereits wieder kantonale Wahlen an. Wie Gerhard Matter in seinem Buch «Der Kanton Zug auf dem Weg zu seiner Verfassung von 1876» schreibt, sei bei dieser Gelegenheit «das liberal-radikale Element» mit einem «Schlag weggefegt» worden. Der Kanton Zug sei dabei der erste Kanton gewesen, welcher wieder zum sonderbündischen Regiment zurückgekehrt sei. Die Konservativen im Kanton Zug vollführten eine «racheglühende sonderbündische Reaktion». Dabei machten sie auch Errungenschaften der Liberalen rückgängig. (Text von Marco Morosoli)