Kraft und Akrobatik im Zirkus Grissini

Theater & Tanz

,

Seit 2006 gibt es den Zuger Kinder- und Jugendzirkus Grissini, er trainiert wochentags täglich insgesamt 250 Kinder und hat eine lange Warteliste. Wie sieht der Zirkusalltag ausserhalb der Shows aus?

  • Mutige Akrobatinnen des Kinder- und Jugendzirkus Grissini trainieren an den Vertikalseilen. (Bild Matthias Jurt)
    Mutige Akrobatinnen des Kinder- und Jugendzirkus Grissini trainieren an den Vertikalseilen. (Bild Matthias Jurt)

Zug – In einer Ecke der hohen, mit Geräten und bunten Gegenständen ausgestatteten Trainingshalle des Zirkus Grissini an der Dammstrasse 18 verbindet eine schwarze Stange unten und oben. Sechs Mädchen im Teenie-Alter in Jeans und Turnschuhen klettern den «chinesischen Masten» hoch, schlingen Arme und Beine um ihn, stellen sich kopfüber, lösen die Hände von der Stange, rutschen kontrolliert herab, hangeln sich wieder hoch. Manchmal alle gleichzeitig, jede achtet auf die andere, und zusammen erfinden sie elegante bis atemberaubende Figuren. Während eineinhalb Stunden hört keine auf; auch wenn die Hände schmerzen und langsam die Kraft wegbleibt, sind sie konzentriert und doch locker dabei. Total im Flow, und aufregend virtuos.

Unermüdliche Kinder «beim» Training

Die 22-jährige Studentin Zora Bauknecht überwacht das Training dieser Artistentruppe. Die Nachwuchstrainerin ist seit ihrem sechsten Lebensjahr beim Zirkus Grissini. Mit leiser Stimme gibt sie Tipps zu Bewegungsabläufen, schlägt Figuren vor, ermuntert und ermutigt. Physisch muss sie kaum mehr eingreifen. Kompetenz und Fertigkeiten sind selbstverständlich, und die Stimmung ist von Faszination, Kooperation und Freundlichkeit geprägt.

Eine zweite Gruppe probiert bei der russischen Zirkusfrau Irina Steinmann neue Kombinationen mit den Brettern und Rollen der Gleichgewichtskunst «Rola Bola». Balancieren, hundertmal herunterfallen, wieder aufsteigen und es nochmals versuchen: Es ist erstaunlich und fesselnd, wie unermüdlich die Kinder, darunter auch ein paar Jungs, weder Mut noch Kraft verlieren.

In der Lektion davor haben Dritt- bis Viertklässlerinnen auf dicken Matten Vor- und Rückwärtsrollen über Hilfspolster eingeübt, an herabhängenden Vertikalseilen geturnt und mit Tellern auf Stäben und zarten Pfauenfedern auf den Nasen jongliert. Das Training bringt die Jugendlichen zum Schwitzen, gleichzeitig leuchtet der Zauber der Zirkuswelt konstant auf.

Jeweils am Anfang des Mittwochnachmittags sind die Erstklässler dran. Ihre Lehrerin Sara Steiner hilft bei Handständen, Purzelbäumen, «Bananen» und «Rädern», aber sogar diese kleinen Kinder übernehmen Verantwortung füreinander, unterstützen sich. «Ich ha no Angscht», hört man ein paarmal, aber plötzlich geht es doch, wird wiederholt, und dann kommt das Jauchzen über das Besiegen der Furcht.

Zirkus Grissini ist für alle da

«Zentral in unserer Philosophie ist, dass wir nicht den Wettkampf fördern, wie es in den allermeisten Sportarten der Fall ist», sagt Barbara Urfer, die vor 16 Jahren im Quartier den Zirkus gegründet hat, ohne zu ahnen, wie schnell er sich zu einem Erfolgsmodell entwickeln würde. «Es braucht Ehrgeiz und Disziplin, ja, aber wir wollen vor allem Kollegialität und Kooperation.»

Auch die «Unbeweglichen» und Kinder mit Behinderungen dürfen mitmachen, der Zirkus arbeitet mit Insieme zusammen, ermöglicht die Teilnahme von Flüchtlingskindern und solchen aus Familien, die finanzielle Unterstützung brauchen. Väter, Mütter und Geschwister leisten begeistert Hintergrundarbeit.

Trainiert werden ganzjährig und täglich zirka 250 Kinder und Jugendliche ab drei Jahren bis an die Erwachsenenschwelle in vielfältigen Disziplinen wie Luft, Trapez, Tuch, Jonglage und Seillaufen.

250 Kinder und Jugendliche sind dabei

Schnuppertage und Ferienkurse ergänzen das Programm. Jeweils im August findet im eigens aufgestellten Zirkuszelt eine Show statt, die von der Artistentruppe bestritten wird, an der aber auch für die Zirkusmusik Kinder bei­gezogen werden. Die Variététruppe schliesslich besteht aus jungen Erwachsenen, die in demokra­tischer Selbstbestimmung trainieren, Shows entwerfen und engagiert werden können.

Als perfekt eingespieltes Zweierteam leiten Zirkuspädagogin Barbara Urfer und Zirkusprofifrau Sara Steiner strategisch und operativ den Zirkus Grissini. Beide haben zu Hause auch «Zirkuskinder». Auf die Frage nach den Gründen ihrer nicht versiegenden Motivation nennen sie: die Freude, Jugendliche über sich selbst hinauswachsen zu sehen, und die Begeisterung des Publikums und den Zusammenhalt in der «Zirkusfamilie». (Text von Dorotea Bitterli)