Begegnung mit einem Ausnahme-Pianisten
Musik
Es waren lauter positive Eindrücke beim Klavierabend in der Ägerihalle – mit dem ausgezeichneten Solisten Julian Trevelyan, einem angemessenen Rahmenprogramm und respektablem Publikumsaufmarsch.
Unterägeri – Im Zentrum stand die Sonate in h-Moll (Werkverzeichnis «S 178») von Franz Liszt, begleitet von der Klaviersonate Nr. 6, Opus 82, von Sergej Prokofjew und der kürzeren Nocturne, Opus 54, Nr. 4, von Edward Grieg. Neben einer manchmal bis zur Atonalität verfremdeten Romantik beeindruckte die Klangfülle, welche Julian Trevelyan dem edlen Steinway-Flügel zu entlocken vermochte, so wie eine hervorragende spieltechnische Fertigkeit, die sich stets in den Dienst der eigentlichen Werkinterpretation stellte.
Liszt schrieb die Sonate in h-Moll (nicht in b-Moll, wie irrtümlicherweise im Programmtext angegeben) wie die meisten seiner Klavierwerke für sich selber. Sie entstand 1849-1853 nach reiflicher Reflexion über das eigene hohe spieltechnische Können und die Überwindung der klassischen Sonatenform. Bei einer kaum unterbrochenen Spieldauer von mehr als einer halben Stunde wurden an die Gedächtnisleistung des Pianisten, aber auch an den inneren Nachvollzug durch das Publikum enorme Anforderungen gestellt.
Die Satzbezeichnungen im Programm waren höchstens ein Hinweis auf die verschiedenen teilweise sehr abrupten Wechsel zwischen lyrischen, einfach gehaltenen Passagen und dramatischen Ausbrüchen bis ins Fortissimo. Die zahlreichen, oft sehr raschen Oktavparallelen müssen das damalige Publikum stark beeindruckt haben. Nur Clara Schumannn (Witwe des Komponisten Robert Schumann) fand keinen Gefallen an den teilweise sehr wilden rhythmischen und harmonischen Strukturen.
Nichts für kleine Hände
Bei einmaligem Anhören entstand der Eindruck eines riesigen in sich geschlossenen Rondo-Satzes. Julian Trevelyan brachte dazu alle Voraussetzungen mit: Der Notentext wirkte wie dem Interpreten auf den Leib geschrieben. Die oft enorme Griffweite war sowohl für den Komponisten wie für den Pianisten in Unterägeri kein Problem; aber sie macht das Werk für viele Interpreten mit kleineren Händen unspielbar. Staunen erregten die oft horrend schnellen Läufe mit manchmal sehr komplizierten Trillerfiguren. Kurz: eine beispielgebende Interpretation durch einen Interpreten – selber übrigens auch ein Komponist – der zwar nicht in der äusseren Erscheinung, aber durch gewisse Gesten beim Spiel an Franz Liszt gemahnte.
Eigenständiges Gewicht erhielt daneben die zu Beginn gespielte Prokofjew-Sonate. Hier erschienen vier Sätze klar voneinander abgetrennt; hingegen waren die Tonartbezeichnungen nicht viel mehr als Zwischentitel. Durch die stark erweiterte Tonalität bewegte man sich bald in verschiedensten ausserhalb von fixierten Tonarten liegenden harmonischen Strukturen. Der diesmal nicht blattfrei spielende Interpret ärgerte sich bestimmt über das verwendete Notenheft. Die Seiten liessen sich nur sehr schlecht drehen, und vor allem in den späteren Sätzen schwappten sie immer wieder zurück. Ohne zusätzliche Unterstützung durch die Blattwenderin Viviane Gloor hätte er den Vortrag vermutlich mehrmals unterbrechen müssen.
Den überaus starken Schlussapplaus verdankte der Pianist mit zwei Zugaben, einer Nocturne von Frédéric Chopin und einem nicht genauer genannten Stück, welches stilistisch an die Sonate von Franz Liszt anschloss. Ein grösserer Teil des Publikums blieb auch noch für die anschliessende Gesprächsrunde. Unter der Moderation der Haupt-Organisatorin Sabina Keresztes konnten an den Interpreten noch Fragen gestellt werden, die er in Englisch, Deutsch und Französisch beantwortete.
Nicht vergessen sei der Auftakt des Jugendorchesters Fidelio aus der Musikschule Unterägeri. Intonationssicher und rhythmisch exakt spielten die jungen Leute Ausschnitte der Musik von Patrick Doyle zum Disney-Film «Brave». (Text von Jürg Röthlisberger)
Hinweis
Letztes Aegeri Concert dieser Saison am Sonntag, 24. November, 17 Uhr, mit Eckart Runge (Cello) und Jacques Ammon (Klavier)