Ritter suchte Rückzugsort
Brauchtum & Geschichte
Gemäss einer Zuger Sage spielte der Berg beim heutigen St. Jost eine Rolle bei der Gründung des Klosters Einsiedeln.
Oberägeri – Die Geschichte um den heiligen Meinrad, auf dessen Wirken die Gründung des Benediktinerklosters Einsiedeln zurückgeht, gilt nur partiell als gesichert. Weitgehend im Dunkeln liegt Meinrads Herkunft. Er soll aus dem schwäbischen Sülichgau (alt. Sülchgau) gekommen sein, einer historischen Gegend zwischen Rottenburg und Tübingen. Gewisse Quellen führen an, dass Meinrad dem Geschlecht der Hohenzollern angehört habe, deren eindrückliche Stammburg sich etwas südlich davon auf einer markanten Anhöhe erhebt.
Nach seiner Ausbildung in der Klosterschule Reichenau und einer Lehrtätigkeit in der Region Oberer Zürichsee beschloss Meinrad im Jahre 828, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, um sein Leben ganz Gott zu widmen. Zunächst fand er auf dem Etzelpass eine Bleibe, doch fühlte er sich hier von Besuchern gestört. Darauf zog er weiter südwärts nach dem so genannten «Finstern Wald», wo er sich eine Klause mit Kapelle errichtete und 861 schliesslich den Tod durch fremde Hand fand. Der Überlieferung zufolge hatte Meinrad seine Klause exakt an der Stelle gebaut, wo heute die Gnadenkapelle in der Klosterkirche Einsiedeln steht. So weit die allgemein rezipierte Gründungsgeschichte der Abtei.
Frommer Ritter am Chamer Königshof
Eine andere, weit weniger bekannte Überlieferung, wie Meinrad den Platz für das spätere Kloster gefunden haben soll, gehört ins Reich der Sagen und Legenden. Der Geschichtensammler Hans Koch hat die Erzählung 1955 schriftlich festgehalten. Seither ist sie in mehreren Sagenbüchern erschienen.
Gemäss Hans Kochs Notizen soll Meinrad ein frommer Ritter von Zollern gewesen sein, welcher an den Königshof von Cham gekommen war, um hier eine Zeit lang zu verweilen. Meinrad war der Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen überdrüssig. So entschied er sich, sein Leben allein dem Schöpfer zu widmen. Auf seiner Suche nach einem geeigneten Rückzugsort wanderte Meinrad den Gestaden des Zugersees entlang, schliesslich den Berg hoch über die Sümpfe und Wälder ins Ägerital.
Als er auf die Anhöhe gelangte, wo heute die ehemalige Einsiedelei St. Jost liegt, schweifte sein Blick in die Ferne – dort in der schönen Gegend mit dem Pilatus und der Rigi in Sichtweite, von wo er hergekommen war, wollte er an einem stillen Ort ein neues Leben in Zurückgezogenheit beginnen. Er schwang seine Axt, die er mit sich führte, um sie mit aller Kraft in die Blickrichtung zu werfen. Dort, wo sie landen sollte, würde er sich niederlassen.
Doch während Meinrad das Beil schwang, um zum Wurf auszuholen, rutschte es ihm zu früh aus den Händen und flog auf die andere Seite des Berges bis in den «Finstern Wald» ennet dem Katzenstrick. Meinrad suchte die Stelle auf, wo seine Axt unerwartet gelandet war und baute hier – in der entgegengesetzten Richtung – seine Einsiedelei. Würde man dieser fantasiereichen Version der Meinradslegende glauben, so hätte der heutige Kanton Zug eine Rolle gespielt im Kontext der Einsiedler Klostergründung – zumal die Ortswahl für Meinrads Klause dort ihren Ausgangspunkt hatte, wo seit dem 16. Jahrhundert die Einsiedelei St. Jost besteht. Da wir heute jedoch wissen, dass von Menschenhand herumgeschleuderte Objekte nicht sechs Kilometer weit fliegen, dürfte sich die Frage nach der Authentizität dieser netten Erzählung erübrigen. (Text von Andreas Faessler)
Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.