Wie bekommt die Tanzszene Boden unter den Füssen?
Theater & Tanz
Luzern und Zug diskutieren die Zukunft der Zentralschweizer Tanzszene. Diese befindet sich genauso in der Schwebe wie die grandiosen Tänzer der Cie Philippe Saire.
Zug – Weltklasse im Südpol. Anlässlich des elften Schweizer Tanzfests, das dieser Tage in 28 Schweizer Städten und einer Stadt in Frankreich stattfindet, trat am Freitagabend die Lausanner Compagnie Philippe Saire mit ihrer neuesten Produktion «Vacuum» in Luzerns Tempel der freien Kulturszene auf.
Die zwei Tänzer der Cie Philippe Saire bieten im grossen Saal ein geniales Schauspiel. Zwischen zwei Neonröhren schweben zwei nackte Körper im schwarzen Nichts, verschwinden darin, wölben sich wieder nach vorne ins Bild, ein Spiel von Licht und Dunkelheit, von hell-terrakottafarbener Haut und tiefstem Schwarz, von Sein und Nichtsein. Jede Muskelanspannung verändert die Illusion des Gesehenen: Was sieht man überhaupt? Welches Körperteil spielt sich gerade ins Bewusstsein – wie eine abstrakt-schöne Form im luftleeren Raum?
Wie gedeihen zarte Pflänzchen?
Das ist grosse Kunst. Wie man zarte Pflänzchen junger und freier Kunst zu nur annähernd so kräftigem und hohem Wuchs verhelfen kann, darum ging es in der Podiumsdiskussion, die zuvor unter Luzerner und Zuger Federführung stattgefunden hatte. Viel Neues wird nicht gesagt bei dieser Diskussion: Es ist das Erwartbare. Klar ist: Die Zentralschweizer Tanzszene soll gestärkt werden, gerade auch im Hinblick auf eine allfällige Salle Modulable. In diesem Zusammenhang sagte Patrick Müller, künstlerischer Leiter des Südpols, erst vor wenigen Wochen: «Die freie Szene braucht ein höheres Niveau, als sie heute hat, und mehr Ressourcen.»
Doch das mit der Förderung scheint eine Sache zu sein, bei der die Meinungen weit auseinanderklaffen. Die Diskrepanz ist nicht neu, wird dafür aber am Freitagabend in blumiger Metaphorik aufs Tablett gebracht, die durchaus Unterhaltungswert hat. So sagt Stefan Sägesser, der Luzerner Kulturbeauftragte, klipp und klar: «Ich erwarte von der Tanzszene Forderungen und Statements, was sie will. Es kann nicht sein, dass von oben Geld kommt und von unten keine Blume wächst. Ich bin ein Ästhet und will eine Blume sehen.» Leicht verdrossen fügt Sägesser noch an: «Und wer ist heute hier und schaut Saire?»
«Es muss auch kleine Blumen geben»
Claudine Ulrich von der IG Tanz Zentralschweiz kontert: «Es hätte schon mehr Leute, wenn nicht parallel so viel laufen würde heute Abend ...» Zudem ist die Tanzschaffende der Ansicht: «Es muss auch kleine Blumen geben.» Isabelle Vuong von der Geschäftsleitung des Reso – Tanznetzwerk Schweiz betont: «Wo nicht gegossen wird, da wächst auch keine Blume. Es braucht Förderung.»
Stefan Sägesser wiederum erklärt: «Das Giesskannenprinzip der öffentlichen Hand bringt nichts – das reicht für alle nur ein bisschen und nicht mehr.» Man könne das Gras nicht überall auf derselben Höhe schneiden. Claudine Ulrich hingegen pocht auf mehr Förderung auch für die Kleinen: «Es hilft, wenn die Förderungsbeiträge grösser sind – sonst ist man ausgelaugt, bevor eine Produktion erst losgeht.»
Mit ihrer Anmerkung, sie spüre im öffentlichen Denken «eine Teilung in Luzerner Theater und in die Freischaffenden sprich ‹Nichtprofessionellen›», erntet Ulrich grossen Applaus. Aus dem Publikum erhält die Tanzschaffende auch Unterstützung, als es um die IG Tanz Zentralschweiz geht. Eine Zuhörerin stellt an Stefan Sägesser die Frage: «Du sagtest, Tanzschaffende sollen sich vernetzen. Aber du warst gegen die Gründung der IG Tanz. Ein Widerspruch?» Sägesser stellt eine Gegenfrage: «Die IG Tanz ist eine Untergruppe – wohin gehört die nun?» Der Luzerner Kulturbeauftragte fordert: «Ich möchte klare Profile.» Die Tanzszene sei extrem zersplittert: «So wird sie nie zu einer starken Faust.»
Zurück zur floralen Metaphorik: Zu Gast ist auch Heinz Keller, Intendant des Theaters Uri. Dieser findet: «Jede Kunstform ist es wert, gezeigt zu werden – wir sind ein offenes Haus.» Er betont: «Das Theater Uri ist ein Gewächshaus für Kulturpflanzen.» Keller legt aber auch offen: «Treten unbekannte Tanzpersonen bei uns auf, dann haben wir vier oder fünf Zuschauer im Saal.»
Positives aus Zug
Dafür kann der Zuger Moderator Remo Hegglin der Zuger Podiumsteilnehmerin Sonja Hägeli von der Ernst Göhner Stiftung Positives entlocken: «In Zug ist der Tanz in Medien und Öffentlichkeit präsent – die Stimmung beim Tanzfest ist grandios.» (Susanne Holz)