Vom Malen zum Musizieren
Musik
Spannender «Museumsbesuch» im Lorzensaal Cham: Die musikalischen «Bilder einer Ausstellung» des russischen Komponisten Mussorgsky wurden von Schulkindern in eigene Gemälde umgesetzt.
Cham – Das Saallicht im Lorzensaal geht aus und wird ersetzt durch ein indirektes Licht, das ein fast zwanzigköpfiges Orchester von unten her warm-golden beleuchtet. Die Notenständer sind weit in den Publikumsraum hinein vorgeschoben, und die Zuhörerinnen und Zuhörer haben Vibrafon, Marimbafon, Schlagzeug und Klavier schon vor dem Konzert zum Handgreifen nahe. Über den Musizierenden werden leuchtend farbige Bilder auf eine riesige Leinwand projiziert und erscheinen im Dunkeln doppelt so intensiv wie im Foyer, in welchem sie als grossflächige Ölgemälde ausgestellt sind.
Die Musikmachenden sind Lehrpersonen der Musikschule Cham, gemalt aber haben Schülerinnen und Schüler der zweiten Klassen der Schule Cham: Eine Begegnung zweier Kunstformen findet in diesem Vermittlungsprojekt statt. Diese ist bereits in der Suite «Bilder einer Ausstellung» des russischen Komponisten Modest Mussorgsky (1839–1881) Programm. Mussorgsky gehörte zu einem Kreis junger romantischer Komponisten. Für ihn sollte Musik nicht mehr nur abstrakte und gefühlte Schönheit sein, sondern als menschliche «Rede» aussermusikalische Wirklichkeit widerspiegeln. Und so imaginiert Mussorgsky in seinen «Bildern einer Ausstellung» einen Gang durch ein Museum; als Grundlage für die verschiedenen Sätze des Klavierwerkes dienten ihm Bilder und Skizzen seines Malerfreundes Viktor Hartmann, der kurz zuvor gestorben war.
Impressionen und Gefühle in Farben und Form gebracht
Im Musikanimationsprojekt der Musikschule Cham nun wurde «der Spiess umgedreht», wie deren Leiter Christoph Müller in der Medienmitteilung schreibt. Instrumentallehrpersonen besuchten die 1. Klassen und stellten Instrumente vor; die 2. Klassen wiederum setzten im Fach «Bildnerisches Gestalten» ihre Impressionen und Gefühle beim Hören von Mussorgskys Museumsstationen in Farbe und Form um. Als Abschluss und Höhepunkt werden die «Bilder einer Ausstellung» von den Musiklehrpersonen an fünf Schüler- und zwei öffentlichen Aufführungen dargeboten – arrangiert und dirigiert von Müller.
Der ursprüngliche Klavierzyklus mit seinem stark erzählenden Charakter regte seit seiner Entstehung 1874 zu unzähligen Orchesterbearbeitungen an. Die spezifischen Klangfarben der Instrumente werden dabei häufig lautmalerisch eingesetzt, ähnlich wie im «Karneval der Tiere» von Camille de Saint-Saëns, wo sie Tierlaute imitieren. Und wie dort, lässt man Aufführungen gerne von einem Erzähler einführen und begleiten.
Das kindliche Ich schweift durch die Galerie
So auch in Cham: Jonas Bättig, Musiklehrer für Gesang und Stimmbildung, schildert in gepflegtem Hochdeutsch und mit vergnügter Verve von den Erlebnissen eines kindlichen «Ich», das von seinem Vater in eine Galerie mitgenommen wird. In wiederholten «Promenaden» wandert es von Bild zu Bild, ob mit Trompete, Waldhorn oder Flöte. Es begegnet einem zwerghaft herumwuselnden «Gnom» und einem alten Schloss, vor dem ein Troubadour ein Saxofon-Liebeslied intoniert; dann schlüpft es in die Gärten der Pariser Tuilerien, wo das Xylofon wie spielende und streitende Kinder herumtollt, um danach einem schweren, vom Fagott fantasierten Ochsenkarren über den Weg zu laufen. Flöte, Oboe und Klarinette stellen ein piepsendes «Ballett der Küken» dar; Klavier und Streicher das Lästern und Tratschen der Gemüsefrauen auf dem Marktplatz von Limoges. Und in den gespenstischen «Katakomben von Paris» reden Vibra- und Marimbafon mit den Totenschädeln.
Am Schluss aber steht «Das grosse Tor von Kiew» – als Choral. Bei seinen mahnenden Glockenklängen schweifen die Gedanken für einen Moment lang zur Realität ab, zur kriegsbedrohten Ukraine unserer Tage. Ganz im Sinne Mussorgskys. (Text von Dorotea Bitterli)