Rotkreuz – wie es fast keiner mehr kennt
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Alte Bausubstanz ist im Gemeindehauptort rar. Das hat vor allem mit dem starken Wachstum zu tun – aber auch mit seiner vergleichsweise jungen Geschichte. Einige Häuser von einst stehen heute noch, sind aber kaum mehr wiederzuerkennen.
Risch – Die Erinnerungen sind noch jung: An der letzten Rischer Gemeindeversammlung gingen die Emotionen hoch. Dass das ehemalige Rektoratsgebäude in Rotkreuz einem Schulneubau weichen muss, stört viele Einwohner. Es zeigte sich: Viele haben Angst, dass mit dem Boom alte, identitätsstiftende Gebäude dereinst komplett aus dem Gemeindehauptort verschwinden könnten. Wie geht man in einem jungen Dorf wie Rotkreuz, das erst im Zuge des Eisenbahnbaus in den 1860er-Jahren entstand, mit alter Bausubstanz um? Welche Zeitzeugen prägen noch heute das Siedlungsbild? Unsere Zeitung hat sich mit dem Lokalhistoriker Richard Hediger getroffen, um über diese Fragen zu sprechen.
Der 72-Jährige, der 30 Jahre lang als Rektor die Schulen Risch leitete, forscht seit langem über die Gemeindegeschichte. Derzeit erarbeitet er ein Manuskript mit dem Arbeitstitel «Rotkreuz, wie es fast keiner mehr kennt». In der Tat ist vom alten Dorf heute nicht mehr viel übrig. Richard Hediger zeigt eine Karte aus dem Jahr 1940. Es ist der erste Grundbuchplan von Rotkreuz.
Das Kreuz, das dem Ort den Namen gab
Darauf umkreist er mit einem Bleistift jene Gebäude, die heute noch stehen. Eines davon ist das alte Bauernhaus an der Waldeggstrasse. Mit einem Kernbau aus dem 16. Jahrhundert ist es heute das älteste Gebäude von Rotkreuz. Ein weiteres identitätsstiftendes Gebäude ist der Rotkreuzhof beim Bahnhof. Zum Bauernhaus aus dem Jahr 1807 gehört das zwischenzeitlich neu gebaute Kreuz, das dem Ort einst seinen Namen gab. «Am Haus wurde im Laufe der Zeit viel verändert», erzählt Richard Hediger. Unter anderem wurde es im Jahr 1972 verschoben und mit einem Garagensockel versehen. Ähnliches passierte mit dem Gasthaus Bauernhof aus dem Jahr 1864 auf der gegenüberliegenden Gleisseite, neben dem sich früher das alte Postgebäude von «Rothkreuz» befand. Dieser Name existierte laut Hediger übrigens bis 1933. «Der ehemalige ‹Bauernhof› ist heute kaum mehr wiederzuerkennen», sagt der Lokalhistoriker. Weitere Zeitzeugen, die er nennt, sind unter anderem der Haldenhof am westlichen Dorfende, das Binzmühle-Gehöft, das Schulhaus Waldeten, das ehemalige Gebäude der Milchgenossenschaft (heutige Landi), das Zweifamilienhaus an der Kirchenstrasse sowie die ehemalige Papeterie an der Alten Chamerstrasse.
Für die Entwicklung des Dorfs war die Einrichtung der Zollstation im späteren Gasthaus Kreuz entscheidend. Das Gebäude brannte in den 1980er-Jahren nieder. Der Neubau, der heute im Dorfzentrum vis-a-vis der UBS-Filiale steht, erinnert nicht mehr an den Vorgänger. Ganz verschwunden ist das alte Gasthaus Linde, das 1969 von der Feuerwehr in einer Übung eingeäschert wurde.
Viele Bauernhäuser stehen ausserhalb
Während die Gemeinde Risch im Jahr 1950 noch 1630 Einwohner zählte, sind es heute bereits über 10000. Was das enorme Wachstum von Rotkreuz und die damit einhergehenden Veränderungen im Siedlungsbild betrifft, hat der profunde Kenner der Ortsgeschichte eine pragmatische Haltung: «Es ist der Lauf der Zeit, wenn man sieht, wie Rotkreuz entstanden ist», sagt er. Die Emotionen rund um das ehemalige Rektoratsgebäude kann Hediger gut nachvollziehen – zumal er selbst in diesem Haus gearbeitet hat. Er hat aber auch Verständnis für den Gemeinderat. «Das Haus hat durch die zahlreichen Anpassungen stark an Wert verloren. Unter anderem wurden die Fenster vergrössert, und rund ums Haus wurde Land abgetragen. Vom Original ist nicht mehr viel übrig.» Im Laufe der Zeit habe Rotkreuz sein Gesicht immer wieder verändert, sagt Richard Hediger. Er verhehlt dabei nicht, dass er das Siedlungsbild von Rotkreuz nicht gerade als schön empfinde und dass der Verlust von alten Bauten zu einer gewissen Entwurzelung bei den Einheimischen führe. «Es kommt mir manchmal vor, als habe man beim Bauen mit Playmobilfiguren gespielt», sagt Hediger und merkt an, dass man erst in den 1970er-Jahren einen Zonenplan eingeführt habe. «Die Bautätigkeit in Rotkreuz war lange Zeit nur von der Entwicklung der Bahn gesteuert.»
Trotzdem schätzt der gebürtige Muotathaler, der seit 46 Jahren in Rotkreuz wohnt, seinen Wohnort. «Es gibt hier zahlreiche schöne Bauernhäuser, die sich zum Teil nur fünf Minuten vom Zentrum entfernt befinden.» Hediger meint dabei unter anderem Gebäude in Ibikon oder Berchtwil. Ausserdem finde man in Buonas, Risch und Holzhäusern zahlreiche historische Bauten.
Die Inventarisierung ist abgeschlossen
Im November hat die Direktion des Innern über den Abschluss der Inventarisierung der schützenswerten Denkmäler in der Gemeinde Risch informiert. Unter anderem wurde das Doppelwohnhaus an der Waldeggstrasse in Rotkreuz in das Inventar der schützenswerten Denkmäler aufgenommen. Darin finden sich auch die reformierte Kirche, das Schulhaus Waldeten, die Binzmühle, die Sägerei Küntwil, der Haldenhof und viele Bauernhäuser. Im Verzeichnis der geschützten Denkmäler befinden sich unter anderem die Pfarrkirche sowie mehrere Bauernhäuser, die ausserhalb liegen. In Rotkreuz sei, um die Geschichte zu verstehen, ganz klar die Lage als Verkehrsknotenpunkt zentral, sagt Denkmalpflegerin Franziska Kaiser und spricht neben der Eisenbahn den Bau der Kantonsstrasse in den Jahren 1839/40 an: «Aufgrund dieser Lage wurde Rotkreuz bald zum Zentrum der Gemeinde.» Es seien Schulen und Kirchen entstanden. «Diese Bauten sind deshalb für die Identität sehr prägend.» Gerade in rasch wachsenden Gebieten sei es aber auch wichtig, dass die wenigen Zeugen der Vorgeschichte dieser «Boomzeit» nicht verschwinden würden. Was das alte Rektoratsgebäude betrifft, habe die Denkmalpflege «intensiv» über eine Inventaraufnahme diskutiert. Bei genauerer Prüfung habe sich aber gezeigt, dass das Gebäude im Laufe der Jahrzehnte stark verändert worden sei, sagt Kaiser. Mit dem ursprünglichen Bau sei fast nur noch das Volumen identisch.
«Die Identität ergibt sich aus der Geschichte eines Ortes», resümiert die Denkmalpflegerin. In Rotkreuz gebe es zwar nur noch wenige sehr alte Bauten, «aber auch moderne Entwicklungen können einen Ort prägen». Als Beispiel nennt Franziska Kaiser die Suurstoffi. «Obwohl mit deren Bau erst vor wenigen Jahren begonnen wurde, hat sie bereits jetzt eine identitätsstiftende Bedeutung.» (Rahel Hug)