Fette Allegorien niederer Triebe

Art & Architecture

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Anziehend, abstossend, sinnlich, unappetitlich – Rolf Ohsts Ölgemälde sind so ambivalent, dass sie den Betrachter zerrissen zurücklassen. Mit seiner Werkreihe «Gier» gibt der deutsche Künstler ein mehrschichtiges, aber klares Statement ab.

  • Mit grossformatigen Werken wie «Earth» transportiert Rolf Ohst eine starke Botschaft. Der Künstler stellt aktuell in der Galerie Urs Reichlin in Zug aus. (Bild Andreas Faessler)
    Mit grossformatigen Werken wie «Earth» transportiert Rolf Ohst eine starke Botschaft. Der Künstler stellt aktuell in der Galerie Urs Reichlin in Zug aus. (Bild Andreas Faessler)

Zug – Im ersten Augenblick sind manche von Rolf Ohsts Gemälden wie ein schlimmer Unfall: Was man erblickt, ist schrecklich, aber man kann nicht wegsehen. Das «Schreckliche» in Ohsts Bildern aber ist nur deshalb so aufwühlend, weil sich in den Sujets viel Negatives aus der menschlichen Psyche konzentriert – Vorurteile, Klischees, (vermeintlich) Abnormes, Sexismus und vor allem eines: Gier. Die Werkreihe des deutschen Malers, welche derzeit in der Zuger Galerie Urs Reichlin zu sehen ist, thematisiert die Gier auf zuweilen drastische Weise – der erste Eindruck ist gleichermassen geprägt von Reiz, Anziehung, Faszination wie zugleich von Abstossen und gar Ekel. Sämtliche Aspekte von Gier manifestieren sich in der Fettleibigkeit – insbesondere im Inbild der adipösen Frau. Sie wird bei Rolf Ohst (*1952) als eine Allegorie für niedere Triebe und Lüste herangezogen. Berge von Körperfett in schonungsloser Blösse symbolisieren eklatante Unersättlichkeit, die menschliche Sucht nach mehr, das Sicheinverleiben der Welt.

Getrieben von diesen Süchten der Menschheit nach Reichtum und Überfluss, wird denn auch Mutter Erde rücksichtslos ausgebeutet. Dieser bedauernswerte Zustand schlägt sich in Rolf Ohsts fünfteiligem Monumentalwerk «Earth» nieder. In fast schon grotesk-bosch’scher Manier hält Ohst auf einer Fläche von zwei mal drei Metern eine kleinteilige Szenerie von Hunderten männlichen Arbeitern fest, wie sie an einer Bergbauhalde zugange sind. Eine riesenhafte fettleibige Frau – das «Urweib» als Symbol für Mutter Erde – haben sie in die Knie gezwungen und machen sich an ihr zu schaffen. Auf den Seitenflügeln des triptychon­artigen Werkes mimen Kometen die Spermien, welche das Leben auf Mutter Erde einst begründeten. Schliesst man den «Flügel­altar», wird man beklommen Zeuge, was aus der Erde wird, hat es der Mensch mit seiner Gier zu weit getrieben: ein toter Planet.

Wider das Schönheitsideal

Die fettleibige Frau als Haupt­protagonistin tritt bei Rolf Ohst jedoch nicht nur als Projektionsfläche zerstörerischer Bestrebungen des Menschen auf, sondern genauso als Symbol für Sinnlichkeit und Erotik. Ohst schafft es, seine stark übergewichtigen Modelle in ein Licht zu rücken, in dem die von der Gesellschaft diktierten Schönheitsideale für einen Moment komplett ausgeblendet sind. Der Betrachter nimmt die weiblichen Rundungen, seien sie noch so üppig, plötzlich als durchwegs ästhetisch und wonnevoll wahr, erst recht, wenn sie eingebettet sind in eine Umgebung, die Wohlstand und Geborgenheit suggeriert. Und doch: Auch die betont sinnlichen Bildkonzepte können mit der Gier in Kontext gestellt werden – die Gier nach fleischlicher Lust und Sexualität.

«Gier und Unersättlichkeit sind ein zeitloses Thema. Diese menschliche Eigenschaft hat philosophisch gesehen schon immer existiert», so Rolf Ohst. «Und Gier braucht Platz, sie wird oft so gross, dass man sie nicht klein malen kann», begründet er die generell stattlichen Dimensionen seiner nahezu fotorealistisch und extrem detailhaft ausgeführten Ölgemälde. Die durchwegs sozialkritische Botschaft bezüglich der materiellen Gier, welche Ohst mit seinen Bildern transportiert, sei unter anderem von der Tolstoi-Erzählung «Wie viel Erde braucht der Mensch?» inspiriert.

Eine Lanze brechen für die Frau

Eine weitere, zentrale Komponente in Ohsts üppigen Frauenbildern ist die Mahnung an die immer virulenter werdende Sexismus-Debatte in der Gesellschaft. Zur Gier kommt Begierde. Die Frau als Sexobjekt – sie hat ge­fälligst schön und schlank zu sein, um dem Mann zu gefallen. Eine fette Frau eckt indes um ein ­Vielfaches mehr an als ein fetter Mann. Das haben Rolf Ohst schon diverse Reaktionen aus der Betrachterschaft gezeigt. Tatsächlich: Das Gemälde mit der nackten fettleibigen Dame mit Renaissancekragen erntet mehr Blicke als die beiden stark übergewichtigen Herren gleich daneben, die beim Saunieren zufrieden lächelnd Geld zählen. «Mit meiner Arbeit will ich eine Lanze brechen für die Frau», betont Ohst. Aber seine Bilder vermitteln nicht nur, dass auch Fettleibigkeit durchaus sinnlichen Reiz hat, sondern sie sind gleichsam als Appell, als Mahnung hinsichtlich Unter­drückung des weiblichen Geschlechtes in sämtlichen Religionen der Welt zu verstehen.

Dieses starke Statement ist bei den Zuger Behörden offensichtlich nicht angekommen: Man verweigerte es dem Künstler, an zwei Einfallstrassen der Stadt je ein Plakat mit Hinweis auf die Ausstellung zu platzieren, illustriert mit der «Earth»-Frau. Unanständig sei es, anstössig, so die Reaktion aus dem zuständigen Büro. Rolf Ohst nahm es mit Bedauern und Befremden zur Kenntnis.

Aus dem Leben gegriffene Strandszenen

Neben den zuweilen überwältigenden Gemälden aus der Reihe «Gier» zeigt Rolf Ohst auch eine Auswahl an «Strandbildern». Sie sind hauptsächlich am Ostseestrand entstanden, wirken bewusst wie eine spontane Momentaufnahme und bestechen mit der unaufgeregten Natürlichkeit der abgebildeten Personen. Die scheinbare Normalität wird jedoch mit schalkhaft eingebrachten Elementen durchbrochen, welche unterschiedlich aus dem Kontext treten. Lichtdurchflutet und zuweilen von Ruysdael’schen Wolkenhimmeln behütet, bringt Ohst eine ungeheure Spannung in eine scheinbar willkürlich aus dem Leben gegriffene Situation.

Bereits im achten Lebensjahr sei für den gebürtigen Lübecker die Kunst als Beruf und Berufung Lebensziel gewesen, wie er sagt. An der Hochschule für bildende Künste Hamburg bei den Professoren Hans Thiemann und Almir Mavignier ausgebildet, arbeitet Rolf Ohst heute als freier Künstler in Travemünde. Seine Werke finden sich sowohl in Privatbesitz wie auch in der Öffentlichkeit sowie in zahlreichen Museen und Sammlungen. Ohsts heutiges Schaffen ist unter anderem geprägt vom Kopieren alter Meister. So lassen sich in Form, Licht und Kompo­sition durchaus Einflüsse von ­Rubens, Tizian, Brueghel oder Botticelli feststellen. Insbesondere in der Werkreihe «Gier» vereinen sich altmeisterliche Elemente zu einem polarisierenden Ganzen. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Galerie Urs Reichlin (Baarer­str. 133, Zug) stellt Rolf Ohst erstmals in der Schweiz aus. Bis und mit 24. März. www.ursreichlin.com