Ein Weg - eine Lebensaufgabe
Dies & Das
Nur eine schlichte Tafel zeugt heute vom grossen Fleiss eines Baarers, der mit Hingabe und viel körperlicher Arbeit den Leuten sprichwörtlich den Weg geebnet hat. Ein Friedhof hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt.
Neuheim – Flur- und Strassennamen aus alter Zeit gehören zum wertvollsten und aufschlussreichsten Kulturgut einer Region. Viele sind aus dem Mittelalter überliefert, haben sich im Verlauf der Jahrhunderte in Wortlaut und Schreibweise stark gewandelt. Vereinzelt sind sie aber erst in neuerer Zeit entstanden, wie auch unser Neuheimer Beispiel, der Beni-Kempf-Weg, zeigt. «Viele kennen diesen Weg und wissen auch, wo er ist», meint Gemeindeschreiber Christof Wicky. Warum er aber so heisst, weiss kaum jemand. Es handelt sich um den Wanderwegabschnitt entlang der Böschung, welche die Sihlbruggstrasse von der Sihl trennt. Er startet beim Produktionsbetriebsgebäude der Firma Bösch Motorboote und führt bis zur Haltebucht zirka 200 Meter nach der scharfen Kurve des Strassenverlaufs.
Der Baarer Namensgeber Bernhard «Beni» Kempf (†1994) war passionierter Sportler, Wanderoberturner, unterrichtete Sport unter anderem in Baar, Rotkreuz und Horgen und war Förderer des Breitensports. Es trug sich zu, dass Al-bert «Marzo» Merz (†1998), langjähriger Kantonsförster und ein sehr um den Ausbau des Fuss- und Wanderwegnetzes bemühter Wanderfreund, in den späteren 70er-Jahren auf den ihm bestens bekannten pensionierten Beni Kempf zuging und diesen anfragte, ob er Interesse hätte, sich des eingangs erwähnten Wegabschnittes am Sihlufer anzunehmen. Wanderer sahen sich dort nämlich jeweils mit einer riskanten Herausforderung konfrontiert. Wegen Fehlens eines gefahrlos begehbaren Weges - die Sihl hat immer wieder bei höherem Wasserstand die Böschung in einen rutschigen «Chniempis» verwandelt - mussten die Passanten am Rande der Strasse gehen. Dies in jener gefährlichen, überscharfen und engen Kurve, die von den Autolenkern einst wie heute gerne unterschätzt wird.
Beni Kempf, als Maurerpolier mit vorteilhafter Erfahrung ausgestattet und handwerklich wohlversiert, sagte freudig zu, den Weg am Sihlrank für die Wanderer auszubauen und zu ebnen. Für Material war indes gesorgt: Gerade zu der Zeit wurde begonnen, den Abschnitt des Baarer Friedhofs aufzulassen, auf dem in den 90er-Jahren der Park vor dem Altersheim St. Martin angelegt wurde. Die Aktion warf eine grosse Menge an schön zugeschnittenem Steingut ab - ideal, damit den Pfad auszulegen, wo nötig, und die Böschung zu stabilisieren. Ein ganzer Haufen ausgedienter Grab- und Rahmensteine aus Granit, Marmor oder Sandstein wurde vom Kanton eigens nach Sihlbrugg transportiert und zur Weiterverwendung durch Beni Kempf an der Böschung deponiert. Mit viel körperlichem Aufwand und grossem Fleiss schichtete Kempf Stein auf Stein, legte sie stellenweise parkettmässig aneinander, zog sprichwörtlich stützende Mauern aus alten Grabsteinen hoch und erstellte an den steilen Stellen ein stabiles Trassee für den Weg - insbesondere direkt unterhalb der Kurve. Alles unter Beachtung der Pietät: Die Grabinschriften und etwaige Totenhelgeli sind nicht zu sehen, nur stellenweise lugt noch der eine oder andere Buchstabe hinter einem Steinrand hervor.
Beni Kempfs Sohn Felix erinnert sich noch an den Eifer und die Zielstrebigkeit seines Vaters: «Einmal stürzte er bei seiner Arbeit rückwärts in die Sihl und verletzte sich am Rücken. Wenige Tage später stand er wieder an der Böschung und arbeitete unentwegt weiter. Es war eine schöne Lebensaufgabe für ihn!» Während der ersten zwei Tage habe sein Vater jemanden gehabt, der ihm half. Abgesehen davon ist der Weg sein alleiniges Werk, und zeitweise hat er sich zusätzlich auch um die Pflege des nächsten Wegabschnittes flussaufwärts gekümmert. «Er ist täglich mit dem Bus nach Sihlbrugg auf seine Baustelle gefahren. Man hat sogar eigens für ihn einen Bauwagen hingestellt», sagt Felix Kempf und würdigt im selben Atemzug das Werk seines Vaters: «Die Leute sind froh, dass es den Weg gibt.» Schliesslich könnten sie dank ihm gefahrlos von Sihlbrugg nach Neuheim spazieren. «Zudem hat der Wegausbau mit ausgedientem Material kaum Geld gekostet, und die Grabsteine haben eine neue Verwendung gefunden - anstatt auf dem Schutthaufen zu landen.»
Die aufwendige Arbeit Beni Kempfs wurde geehrt und ‹sein› Weg mit seinem Namen versehen. Kempfs Werk hat sich als nachhaltig erwiesen. Bis heute kann der Spaziergänger selbst bei nassem Wetter den Weg durch den lichten Wald direkt entlang der Kantonsgrenze gefahrlos benutzen. Das «Grabstein-Trassee» schützt den Pfad vor Zerstörung durch Sihlhochwasser. Und da der Weg tiefer liegt als der Strassenverlauf, kriegt der Spaziergänger vom drei Meter entfernten Verkehr erstaunlich wenig mit. (Andreas Fässler)
HINWEISMit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.