Ein Bild von einer Frau

Dies & Das, Brauchtum & Geschichte

,

Das Fotografie-Handwerk war in Zug lange rar archiviert. Nun ist der Nachlass einer Foto-Dynastie in die Hände des Museums Burg Zug übergegangen. Und damit lässt sich auch das beeindruckende Leben von Laura Bürgi erzählen.

  •  Anna Tomczak betrachtet ein Glasnegativ von Laura Bürgi. (Bild: Christian Herbert Hildebrand)
    Anna Tomczak betrachtet ein Glasnegativ von Laura Bürgi. (Bild: Christian Herbert Hildebrand)

Zug – Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Laura Bürgi-Heuser war eine Selfmadewoman avant la lettre. 27-jährig eröffnete sie als alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern ihr erstes Fotografie-Studio. Man schrieb das Jahr 1902 in Unterägeri. 
Sechs Jahre später liess sie sich ein Haus bauen – mit Wohn- und Arbeitsbereich. Ihr Atelier lief gut, Laura Bürgi fotografierte – wie damals üblich – Einzelpersonen, Paare und Familien vor hübschen Vorhängen, vor Kulissen, mit Mobiliar, Kostümen und Requisiten. Sie verdiente damit gutes Geld, führte das Geschäft über Jahrzehnte, entwickelte es weiter, brachte ihren drei Söhnen das Handwerk ebenfalls bei und begründete damit eine Zuger Foto-Dynastie.
Nun haben ihre Nachkommen dem Museum Burg Zug eine Schenkung gemacht. Rund 450 Objekte wurden dem Museum Burg Zug von der «Erbengemeinschaft Bürgi Erben» übergeben. Diverse Fotoapparate – darunter die grosse, ursprünglich im Atelier fest installierte Porträtkamera und viele kleinere Kameras, die sie auch unterwegs verwenden konnte. Dazu kommen diverse unterschiedliche Objekte
aus dem Fotolabor: Dunkelkammerlampen, Vergrösserungsgeräte und Laboruhren, Trockenpressen, Kontaktkopierrahmen, Mensuren, Entwicklerwannen und vieles mehr.

Inventarisiert, konserviert und gespeichert
Auch rund 200 Fotonegative fanden sich unter dem Material. Hauptsächlich zerbrechliche Glasplattennegative, sogenannte Trockenplatten, mit denen Laura Bürgi noch in den 1920er-Jahren fotografierte, die jedoch bald dem Staatsarchiv übergeben werden. Dies, da dort bereits einige Bürgi-Fotografien und -Negative archiviert sind und zudem die besseren konservatorischen Bedingungen für solche Objekte herrschen, erklärt die Sammlungskuratorin Anna Tomczak. Aktuell aber befinden sich die Objekte noch im Zwischenlager des Museums Burg Zug. Im Lagerraum 2 – 025 arbeitet Anna Tomczak gemeinsam mit Konservatorin Charlotte Gieben und Museumstechnikerin Sam Heller an der Inventarisierung und Zusammenführung der Objekte. Fotografin Gabriela Acklin unterstützte das Team in der ersten Phase als Expertin – besonders bei der Identifizierung und Registrierung der Objekte. Einzelne Objekte und Teile
wurden anschliessend an eine spezialisierte Firma zur Asbestkontrolle geschickt. Denn obwohl viele Reinigungs- und Konservierungsarbeiten von den Mitarbeitenden des Museums Burg Zug und des Staatsarchivs erledigt werden können – wenn es um Schadstoffbelastungen geht, müssen spezialisierte Firmen her. 
Hier jedoch, zwischen historischem Mobiliar und zwischengelagerter Kunst, wo unter weissem Licht die Lüftung jeden Tag im Jahr 24 Stunden brummt, werden die Entscheidungen getroffen, was in die Sammlung aufgenommen und damit ins Kulturerbe-Depot Choller gebracht wird. Nur mit Handschuhen wird gearbeitet. Einerseits zum Objektschutz: «Denn Fingerfett verursacht manchmal sogar irreversible Fingerabdrücke auf Objekten, es kann Metallobjekte auch zum Korrodieren bringen beispielsweise», erklärt Tomczak. Andererseits gehe es auch um den Schutz der Personen, da mit Lösungsmitteln gearbeitet wird, oder auch weil Objekte früher mit Putz- oder Schutzmitteln behandelt wurden, die giftig sind.

Herr L. oder Frau L.
«Der Nachlass Bürgi ist für Zug ein absoluter Glücksfall und aus kultur- und lokalhistorischer Sicht bedeutend», sagt Anna Tomczak. Besonders im Bereich der Fotografie existierte in der Sammlung des Museums in den letzten 10 Jahren eine Lücke der Dokumentation. Es gab wenige Objekte, obwohl die Zuger Fotografie-Geschichte äusserst vielfältig war und spannende Figuren hervorbrachte. Bei dem Bürgi-Nachlass gehe es nun nicht nur um die zahlreichen Fotografien, die ein lebendiges Bild des Kantons Zug und seiner Bewohner*innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1970er-Jahre vermitteln, sondern auch um die Objekte, die inhaltlich spannende Zeitdokumente sind und Einblick in die technische Entwicklung der Fotografie sowie in die individuelle Arbeitsweise der einzelnen Fotografen und Fotografinnen bieten.
«Neben Laura Bürgi oder Marianne Blatter – die in unserer Sammlung bereits gut vertreten ist – muss man besonders die sehr erfolgreiche und exzentrische Jungfer Katharina Weiss hervorheben, die Ende des 19. Jahrhunderts in Zug als erste professionell agierende Fotografin in der Schweiz Geschichte schrieb», so Tomczak. Doch obwohl Fotografinnen in Zug offensichtlich präsent waren, muss es nicht einfach gewesen sein, als Frau, als alleinerziehende, geschiedene, junge Frau mit einem eigenen Geschäft. An «Herr L. Bürgi» adressierte Briefe finden sich ebenfalls unter den Objekten der Schenkung. Die Erhaltung der Objekte und Bilder der Fotodynastie Bürgi ermöglicht auch zukünftigen Generationen, die Zeit nachzuvollziehen, und erfüllt den Auftrag zur Erhaltung und Vermittlung der Zuger Geschichte für die Gesellschaft. Die Vermittlung auch einer besonderen Zeit nicht nur als berufstätige, selbstständige Frau.

Früh übt sich
Es war eine gute Zeit für die Fotografie um die Jahrhundertwende. Die bis dahin üblichen nassen Kollodiumplatten, die das Fotografieren komplexer und sehr viel kostenintensiver gestalteten, wurden immer mehr durch Gelatine-Trockenplatten ersetzt. Die Porträtmalerei war teuer und viele Menschen wollten ihr eigenes oder das Familienporträt in einem lokalen Studio machen lassen. 3 bis 6 Franken kostete damals eine Aufnahme – ein Kilo Brot 40 Rappen.
Laura Bürgi fasste in Unterägeri, wo sie wegen der gesundheitlichen Probleme ihres jüngsten Sohnes landete, schnell Fuss in dem aufstrebenden Business. Dass sie einiges an unternehmerischem Talent mitbrachte, wird noch klarer, wenn man sich ihre Jugend im deutschen Barmen, dem heutigen Wuppertal, anschaut. Denn bevor sie mit 20 Jahren heiratete, führte sie bereits den familieneigenen Spinnerei-Betrieb, nachdem ihr Vater früh verstorben war. Von ihrem Mann, dem Fotografen und Graveur Vitus Reinhold Bürgi, mit dem sie in die Schweiz gezogen war, trennte sie sich kurz nach der Geburt des dritten Kindes.
Eine wichtige Rolle soll in der Familie Bürgi auch die Haushälterin gespielt haben, Hedwig Röllin, die im Betrieb oft auch in der Dunkelkammer mitgeholfen habe. Abenteuerliche Anekdoten Laura Bürgis Erfolg hatte vor allem damit zu tun, dass sie sich nicht alleine auf Porträts und Atelier-Fotografie ausrichtete, sondern bald auch mit ihren Reisekameras durch die Ortschaften zog, Landschaftsfotografien und solche von Sehenswürdigkeiten machte. Motive, die sich im damals als Kurort und touristisch immer beliebteren Ägerital als Postkarten gut verkauften. Sie reproduzierte zudem die berühmten Rötelzeichnungen von Meinrad Iten als Ansichtskarten. Auch einen kleinen mobilen Kinobetrieb führte sie mit ihrem eigenen Projektor, zeigte zum Beispiel Filme von Charlie Chaplin.
Laura Bürgi soll jedoch nicht nur wirtschaftlich eine mutige Frau gewesen sein, auch unterwegs mit der Kamera traute sie sich etwas. «So soll sie beim Fotografieren der neu eingeweihten Lorzentobelbrücke 1910 beinahe ertrunken sein», erzählt Anna Tomczak. Denn kaum hatte sich Laura Bürgi mitten im Fluss mit ihrer Reisekamera eingerichtet, schwoll der Fluss aus dem Nichts heraus an, einer unerwarteten Schleusenöffnung – und sie wurde beinahe mitgerissen. Bürgis Reisekamera, höchstwahrscheinlich die damals mit ihr im Fluss dabei war, ist nun Teil der Sammlung. «Es ist grossartig, dass wir solche Objekte nun zeigen können, die nicht nur technisch spannende Objekte, sondern auch Kulturgut und verbunden mit konkreten Anekdoten, die Zeit und Menschen greifbar machen», so Anna Tomczak.
Dass sich Laura Bürgi öfters verbrannt haben soll bei der Arbeit, erzählt man sich ebenfalls noch. Denn die Blitze damals, Dosen mit Magnesiumpulver gefüllt, waren unberechenbar und konnten brennende Funken durch den Raum werfen. Bürgi jedoch hinderte das alles nicht. Sie baute ihr Geschäft weiter aus, eröffnete eine weitere Filiale in Unterägeri, das später der jüngste Sohn Ernst Johannes übernahm. Laura Bürgi führte ihr Geschäft gemeinsam mit dem ältesten Sohn Reinhold bis zu ihrem Tod. 1964 starb sie, im selben Jahr auch der Älteste. Sohn Traugott hingegen war nach Zürich gezogen und hatte dort sein eigenes Geschäft für Fotografie aufgemacht, hatte das Handwerk wiederum an seinen Sohn weitergegeben und dieser gab es weiter an seine Tochter, die heute noch als Kamerafrau arbeitet.

 

Text: Jana Avanzini