Oboen-Legende spielt in Menzingen auf

Musik

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Im Zentrum des fünften Konzertes des Sommerklänge-Festivals stand Heinz Holliger – umgeben von einem hochkarätigen Ensemble.

  • Das Quintett um Heinz Holliger (zweiter von rechts) erfüllte die Mutterhauskirche mit Barock-Kompositionen. (Bild Alexandra Wey)
    Das Quintett um Heinz Holliger (zweiter von rechts) erfüllte die Mutterhauskirche mit Barock-Kompositionen. (Bild Alexandra Wey)

Menzingen – Am Sonntagnachmittag vor 17 Uhr war der Bus von Zug nach Menzingen zum Bersten voll: Bei regnerischem Wetter zog es offenbar sehr viele Klassik-Interessierte auf den Berg, denn angesagt war ein Konzert mit dem fast schon legendären Oboen-Grossmeister Heinz Holliger im Zentrum.

Organisiert worden war das fünfköpfige Bläser-Ensemble vom Fagott-Solisten und -Kammermusiker Diego Chenna (Italien). Ihm hat das Sommerklänge-Team die «Carte Blanche» gegeben, um ein Programm auf die Beine zu stellen, in dem sich Werke des Barocks und der Moderne begegneten. Die Schweizer Oboistin Marie-Lise Schüpbach (Mitglied des Schweizerischen Festspielorchesters Luzern), der Venezolaner Kontrabassist Edicson Ruiz (Mitglied der Berliner Philharmoniker) und Peter Salomon aus England am Cembalo (Professor an der Zürcher Hochschule der Künste) ergänzten das Spitzenensemble.

Das Konzert war denn auch eine faszinierende Reise in die musikalische Welt Holligers – in seine anspielungsreiche, intellektuell-humorvolle kompositorische Fantasie und zu einem genialen, lang totgeschwiegenen böhmischen Barock-Komponisten, der ihm seine Wiederentdeckung verdankt: Jan Dismas Zelenka (1679-1745). Eine Reise ins Herz hochkomplexen polyphonen Schaffens einerseits und an die Ränder der Musik andrerseits.

Ein würdiger Raum

Zunächst stellte die Kunsthistorikerin Brigitte Moser den Bezug zum Konzertort her. Machte darauf aufmerksam, dass er für eine starke Frauen- und Bildungsgeschichte steht, begründet 1844 als Seminar für Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen (heute Kantonsschule) und ein Jahrhundert später in alle Welt getragen. «Im Herzen dieser ­femininen Anlage» entstand 1895 die Mutterhauskirche, eine lichte, an die Renaissance angelehnte Halle in Gold und Weiss, die Wärme und Schönheit ausstrahlt.

Ein würdiger Raum für die dargebotenen Klänge. Eingerahmt wurde das Konzert durch zwei der sechs Triosonaten Zelenkas, Nummer eins und fünf. Hört man diese Stücke mehrmals, verfolgt sie eventuell auch im Notenbild, erhält man eine Lektion in Kontrapunkt: Die beiden Oboen und das Fagott und oft auch der Kontrabass bilden eigenständige Stimmen, die «punctus contra punctum» so kunstvoll gesetzt sind, dass sich mehrstimmige Harmonie ergibt. Die komplexen Regeln, nach denen dies geschieht, beherrschte Zelenka so magistral, dass man ihn heute gleichrangig neben seinem Zeitgenossen Johann Sebastian Bach sieht – der ihn übrigens ausserordentlich schätzte.

Triosonate Nummer fünf überraschte mit einem volkstümlich-kantabilen Unisono-Beginn aller fünf Instrumente, einem rhythmisch-melodischen Leitmotiv, das sich immer wieder zurückmeldete. Beide Zelenka-Werke boten den Musizierenden in ihren Allegro-Teilen Gelegenheit zu virtuoser Rasanz, in ihren langsameren Partien zu unprätentiöser Innigkeit.

Raunen und Schmunzeln aus dem Publikum

Ein weiteres barockes Kleinod war auch die anonyme italienische «Sonate in a-Moll für Bass und Basso Continuo», in welcher Peter Salomon perlende Cembaloklänge gegen Diego Chennas atmende Fagott-Töne voller Trauer, Auflehnung und Übermut setzte.

Die moderne Klangwelt von Holligers eigenen Kompositionen bildete einen starken Kontrast dazu. So entstand etwa «Klaus-Ur» als Auftragswerk für einen ARD-Wettbewerb 2022 in München und ist somit tatsächlich eine Klausur, eine Prüfung für einen Fagott-Solisten. Chenna zelebrierte dies szenisch, indem er seine Blatt für Blatt aneinandergeklebte Partitur über drei Noten­ständer ausbreitete, was im Publikum raunendes Schmunzeln hervorrief. Die Darbietung lotete die Möglichkeiten des Instruments zwischen Musik und Geräusch aus; das ging bis zum Wimmern, Jaulen, Schmatzen, Küssen.

Auch «à deux» für Oboe (Holliger) und Englischhorn (Schüpbach) enthielt lautmalerische Elemente, zum Beispiel mit «Fangis». Literarisch inspiriert war schliesslich «Unbelaubte Gedanken zu Hölderlins ‹Tinian›», mit denen der Kontrabassist Ruiz auf höchst anspruchsvolle Weise die Klänge selbst zu dichterischer Rede, zum Wortvortrag werden liess: Die Grenze zwischen Verbalem und Musikalischem verwischte sich. Stürmischer Applaus. (Text von Dorotea Bitterli)