Unter den Zeitzeugen sind Geisterhäuser

Kunst & Baukultur, Dies & Das

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Die geschützten und schützenswerten Objekte sorgen in allen Gemeinden für Diskussionen. Ein Fachmann zeigt in Walchwil Chancen und Tücken auf.

  • Seit der Aufnahme von 1950 hat sich das Bild Walchwils verändert. Eingie der bestehenden Häuser sind denkmalgeschützt, beispielsweise die drei zwischen der Kirche und dem Bahngleis. (Bild Werner Friedli/ETH Bibliothek)
    Seit der Aufnahme von 1950 hat sich das Bild Walchwils verändert. Eingie der bestehenden Häuser sind denkmalgeschützt, beispielsweise die drei zwischen der Kirche und dem Bahngleis. (Bild Werner Friedli/ETH Bibliothek)

Walchwil – Ein Rundgang in Walchwil mit Josef «Joe» Hürlimann (60) bedingt, schnell im Kopf und schnell auf den Beinen zu sein. Binnen einer Dreiviertelstunde fliegt man durch Strassen sowie einen Teil der Dorfgeschichte, springt von Jahreszahlen zu Familiennamen und lernt Sandsteinabbau und Eternitverkleidung kennen.

Das kantonale Amt für Denkmalpflege geht derzeit in der Gemeinde um, zwecks Revision seines Inventars der schützenswerten Denkmäler. 27 Objekte umfasst die Liste, 15 weitere finden sich im Verzeichnis der geschützten Denkmäler. Letztere unterliegen besonders strengen Auflagen, im Gegenzug beteiligt sich die öffentliche Hand an Restaurierungskosten. In Walchwil muss man mancherorts genau hinschauen, um die erhaltenswerten Perlen zwischen den raumgreifenden Überbauungen auszumachen. Josef Hürlimann kennt die besonderen Häuser und Wegkreuze seit Kindertagen. Er ist «aufgewachsen und schon immer wohnhaft» im Dorf und führt seit über 20 Jahren ein Architekturbüro. Er kenne die meisten Eigentümer schützenswerter oder geschützter Gebäude, aber auch viele Mitglieder der Denkmalpflege.

Brandschutz versus Denkmalschutz

Entsprechend bringt er für beide Seiten Verständnis auf: Das Amt, das seinem Auftrag nachkommt und ein Stück anschauliche Geschichte erhalten will, und die Eigentümer, von denen viele sich schwertun mit der Bevormundung bei baulichen Änderungen oder Abbruchplänen. «Es ist sinnvoll, Zeitzeugen zu erhalten», sagt Hürlimann, «demgegenüber steht allerdings manchmal eine Verunmöglichung der Nutzung.» Ein Beispiel dafür findet sich am Dorfplatz. Das Schwendeler-Haus an der Dorfstrasse 13, ein geschütztes Denkmal, ist der Witterung überlassen worden – ein Geisterhaus. Die grüne Farbe lässt sich an manchen Fensterläden nur noch erahnen. «Es steht bestimmt seit zehn Jahren leer», mutmasst Hürlimann, der das Baujahr auf 1750 schätzt. Man habe es eigentlich sanieren und für drei Parteien umbauen wollen, weiss der Architekt. Doch die Brandschutzvorschriften hätten dieses Vorhaben verunmöglicht. «Wenn im untersten Stock der Adventskranz Feuer fängt, verbrennen die oben», sagt Hürlimann und führt aus: «Es würde ein Treppenhaus brauchen, das die verschiedenen Stockwerke eine Zeit lang vor dem Feuer schützt. Aber das ist unmöglich zu bewerkstelligen in einem Haus wie diesem.»

Unmöglich bedeutet manchmal auch sehr teuer. Hürlimann weiss von Fällen, in denen die Eigentümer zu wenig Mittel für einen Umbau aufbringen konnten, um es weiterhin zu nutzen. Das sei bei Bauernhäusern mit geringer Balkenhöhe ein häufiges Problem. «Heute sind die Leute grösser als vor 200 Jahren. Es ist nicht lebenswert, wenn man sich den ganzen Tag im eigenen Haus bücken muss, nur weil jenes schützenswert ist und man keinen Umbau bezahlen kann», sagt Hürlimann. Die Eigentümer könnten in solchen Fällen ein Gesuch auf Streichung aus dem Inventar stellen. Jüngst sei einem solchen Begehren aus Walchwil stattgegeben worden, sagt der Architekt.

Eines der neuesten inventarisierten Objekte ist die Reformierte Kirche von Walchwil. Sie wurde 1965 erbaut, was aus Sicht von Hürlimann «im damals rein katholischen Bauerndorf» eine grosse Überraschung war. Die Kirche steht auf einem geschenkten Stück Land am Hang – der Blick über den See und das Dorf ist grossartig. «Die Ausstrahlung hier und die Gestaltung des Innenraums machen dieses Gebäude so speziell», erklärt der Fachmann.

Der «Löwen» glänzt wieder

Die Besonderheit des ehemaligen Gasthofs Löwen an der Zugerstrasse braucht nicht näher erläutert zu werden. Denn trotz der Verwahrlosung liess sich der Glanz von einst erkennen. Ein optischer Schaden lässt sich allerdings nicht mehr beheben: 1934 wurde die Kantonsstrasse gebaut und die Niveauunterschiede im Untergrund wurden ausgeglichen. Als Folge davon liegt die Strasse nicht ebenerdig zum untersten Geschoss des «Löwen», sondern etwas darüber. Die Restaurationsarbeiten sind beinahe abgeschlossen, Joe Hürlimanns Büro hat den Auftrag dafür. Als einer der letzten Handlungen werde ein Schild angebracht mit einer goldenen Löwenfigur. Ein Restaurant wird sich dort indes nicht mehr finden, versichert der Architekt. Die letzte Station auf der Tour d’Histoire ist ein Wegkreuz beim Wihelbachübergang der Artherstrasse. Es dient Hürlimann als Beispiel für ein fragwürdiges Objekt im Inventar. Das Kreuz habe die Einbettung in die Umgebung verloren. Denn einst stand es ausdrucksstark am Anfang des Fusswegs zur Kirche – des gegenwärtigen «Chilch­wegli». Heute hingegen steht es verloren auf einer Wiese vor einem austauschbaren Betonklötzchen, neben der Einfahrt zur Tiefgarage.

Das geheimnisvolle Haus

Auf dem angrenzenden Grundstück befinden sich weitere Zeitzeugen: eine windschiefe Scheune und ein verlottertes, offensichtlich verlassenes Haus. Letzteres steht auch im Inventar der schützenswerten Denkmäler und zieht Hürlimanns Interesse auf sich. Die Assekuranznummer 1a in den Unterlagen des Amts für Denkmalpflege deute auf ein sehr altes Gebäude hin, erklärt er. Nähere Informationen von der Gebäudeversicherung sind nicht erhältlich. Etwaige Aufzeichnungen zum Haus Wihel lägen im Staatsarchiv zur Digitalisierung. Eines ist sicher: Als das als schützenswert eingestufte Gebäude errichtet wurde, wusste noch niemand, was «Digitalisierung» bedeutet. (Raphael Biermayr)