Keine Angscht

Dies & Das

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Tiffany Limacher singt auf der Bühne, seit sie ein kleines Kind war. Und hat doch gerade erst ihre Stimme gefunden.

  • Das graue Jäckchen ist nicht mehr. (Bild: Larissa Odermatt)
    Das graue Jäckchen ist nicht mehr. (Bild: Larissa Odermatt)

Zug – Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Sie stand im Scheinwerferlicht, gespannt auf das Urteil der Jury. Und DJ Bobo sagte: «Ich habe Angst, wenn wir jetzt die Weichen falsch stellen, dann könnte das in die falsche Richtung gehen.»

Man schrieb das Jahr 2011, und die falsche Richtung, die war es. Die Fernsehbühne, das fahle Glitzerlicht, Kilchspergers eingeübt-lakonische Sprüche, der SRF-Mitarbeiter, der anrief und sagte: Ja, Tiffany Limacher, du bist jetzt bei den Live-Shows dabei. Bitte komm im grauen Jäckchen und nimm deine Eltern mit, du bist das scheue 16-jährige Mädchen. «Die grössten Schweizer Talente», das war der falsche Weg für Tiffany Limacher. Aber damals ahnte das höchstens DJ Bobo vielleicht.


Wie klinge ich eigentlich?
«Ich wurde damals ziemlich gepusht», sagt Tiffany Limacher. Kein Wunder, da war viel Talent. Sie sang, seit sie sechs war, spielte bei Zuger Musicalproduktionen, lernte das Theater lieben und sang später in der Zuger Funk-Band Mothership Caldonia. Es folgte ein Pop-Studium in Zürich. Heute, über zehn Jahre nachdem man sie im Fernsehen in ein graues Jäckchen gesteckt hat, ist Tiffany Limacher mehr bekannt als To Athena und schreibt Songs, die man so noch nie gehört hat. Wie kam das? «Das Pop-Studium gibt einem einen grossen Rucksack mit», sagt Tiffany Limacher rückblickend. «Man imitiert verschiedene Stile, wird dadurch vielseitig und schärft sein Handwerk.» Doch etwas Eigenes zu schaffen, ist noch mal eine ganz andere Aufgabe. Man kommt nicht darum herum, sich zu fragen: Wie klinge ich eigentlich?


«Mundart ist doch eher peinlich»
Limacher weiss: «Viele Leute in meinem früheren Umfeld wollten unbedingt, dass ich Musikerin werde.» Doch was für eine Musikerin sollte sie sein? Eine erfolgreiche Musikerin! Eine, die sich souverän durch die Glitzerwelt der Stars bewegt, eine, die von grossen Labels umworben wird, vielleicht Schlager, denn da sind die Absätze gut. Eine Musikerin, die mit DJ Bobo per Du ist? «Vielleicht wäre das ein einfacherer Weg gewesen», sagt Tiffany Limacher. «Aber definitiv für mich der falsche.» Doch welcher dann? Keine einfache Frage, mit der sich Tiffany Limacher noch 2019 herumschlug.

In langen Sessions suchte sie zusammen mit dem Zuger Produzenten Linus Gmünder nach ihrem ganz eigenen Sound. Was alles noch komplizierter machte, war dieser Song, der plötzlich da war: «Angscht». «Der ist einfach aus mir herausgepurzelt», sagt sie. In Mundart. Sie hatte sich bis dahin nie für Mundartmusik interessiert. «Ich fand das vorher eher ein wenig peinlich», sagt sie.


Ein Jahr lang Zeit von allen
Als Corona die gesamte Musikszene in einen Dämmerschlaf versetzte, ging sie nach Berlin. Mit im Gepäck: «Angscht». Berlin habe ihr geholfen, sich von einigen Verantwortlichkeiten zu lösen. Berlin ist eine Flucht, ein Klischee, manchmal eine wichtige Flucht, ein schönes Klischee. In Berlin kann man leichter wer anders sein als zu Hause. «Das war eine gute Phase für mich, um noch einmal ein weisses Blatt zu sein.» Das erste Corona-Jahr sei für sie wie eine Carte blanche gewesen. «Alle hatten Zeit, und ich konnte alle Leute für meine Projekte einsetzen.»

Visuelles ist für Limacher fast genauso wichtig wie die Musik selbst. «Die Songs brauchen eine Welt, in der sie stattfinden können», sagt sie. Zu dieser Zeit hatten viele befreundete Künstlerinnen und Künstler wenig zu tun und konnten mit ihr an diesen Welten bauen. «Ich hatte früher eine grosse Liebe fürs Theater, kurz wollte ich ja auch Musical-Darstellerin werden», sagt Limacher. Vielleicht komme dieser ganzheitliche Anspruch bei ihr davon. So bekam, nach und nach, mitten in der Krise, das erste Album von To Athena seinen letzten Schliff.

«Angscht» war der letzte Song, den Tiffany Limacher für das Album «Aquatic Ballet» geschrieben hatte. «Der Song war für mich ein Schlüsselmoment», sagt sie. «Ich habe einfach gesagt, wie es in mir aussieht, und das habe ich mich vorher nicht getraut. Ich habe gelernt, dass das okay ist, ehrlich zu sein.»


Echte Songs aus der Scheinwelt
Vielleicht ist das eine der entscheidenden Zutaten in den Songs von To Athena. Hinter der kunstvollen Form steckt das unmittelbar Ehrliche. «Spinning» beispielsweise auf dem aktuellen Album «The Movies». Es war Corona, zum dritten Mal im zweiten Jahr. «Ich musste mich in der WG über fast vier Wochen am Stück isolieren und lebte in einer kleinen Kammer. Ich schrieb den Song aus dieser Scheinwelt heraus.»

Ein anderer Song entsteht im Dschungel von Costa Rica. Es kriecht und fleucht, und das fette Leben tropft von jedem Blatt. Und sie, dort mittendrin, an einem der schönsten Orte der Erde, war todunglücklich. «Ich war traurig, lag im Haus und wollte mich nicht bewegen», sagt Limacher. «Da kam mir dieses Bild, wie ich an einem reich gedeckten Tisch sitze, mit mir selbst. Dazu die Zeilen: ‹Ich cha mech ned bewege, es fäält mer es Bei.›» Daraus wurden der Song und das Video «Fäschtmol».

So viele Ablehnungen
Sie habe lernen müssen, sich nicht immer ständig zu hinterfragen, sagt Limacher. «Und ich musste lernen, dass das auch sehr gut ist, nicht allen zu gefallen.» Wenn sie heute zurückdenke an die Aufbauarbeit für ihr erstes Album «Aquatic Ballet», dann erinnere sie sich unter anderem an die vielen Ablehnungen, denen sie in der Zeit gegenüberstand. «Man schreibt so viele Radios und Booking-Agenturen an und wendet sich an so viele Stellen. Und immer wieder hört man das Gleiche: Das ist schon cool, aber es passt grad nicht, kennen wir schon, gefällt uns nicht wirklich, wir suchen gerade etwas anderes.» Aber für Tiffany Limacher wurde mit jeder Ablehnung, mit jeder Absage noch klarer: Genau diese Musik, von der gerade so viele sagen, es sei sinnlos, sie weiterzuverfolgen, diese Musik will sie machen. «Viele Projekte früher waren zwar cool und lehrreich und wichtig. Aber ich war nicht wirklich ‹zu Hause›. Jetzt fühle ich mich als To Athena wirklich angekommen», sagt sie heute.

Seit ungefähr zweieinhalb Jahren hat sich die Band rund um To Athena in ihrer aktuellen Form eingespielt. Je klarer dabei auch die Charakteristiken von To Athenas ganz eigenem Sound definiert werden, desto mehr können sich die Bandmitglieder einbringen. «Ich möchte in Zukunft auch noch kollaborativer arbeiten», sagt Tiffany Limacher. Derzeit tourt sie mit ihrem neunköpfigen Chamber Pop Orchestra durch die Schweiz und Deutschland, von Fribourg bis nach München.

Im vergangenen Sommer wurde To Athena übrigens mit dem sogenannten Artist Award bei den Swiss Music Awards 2023 ausgezeichnet. Dem Preis also, den die Künstlerinnen und Künstler selbst vergeben. Und diesen Preis gibt es nicht für Showlichter, für Promi-Kontakte oder für das genehme graue Jäckchen. Sondern dieser gilt nur für ihre eigene Kunst.

Text: Lionel Hausheer