Defying Gravity

Theater & Tanz

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Die Schweiz ist bekannt für seine Dichte an Laientheatern. Zug für seine Dichte an Expats. Und Musicals für ihre Dichte an grossen Emotionen. Die «English Theater Group of Zug» verbindet all das seit 1987.

  • In der Probe wird das Tempo aufgedreht. (Bild: Nora Nussbaumer)
    In der Probe wird das Tempo aufgedreht. (Bild: Nora Nussbaumer)

Zug – Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 


«Feel it! Have your own little Disney-moment!», ruft Regisseurin Kate Michaels zur Bühne hoch. Darauf strahlen ihr an der Rampe 20 Darsteller:innen entgegen, gerade dabei, ein Stück des Musicals «Wicked» zu proben.

Es ist der Song, in dem die Stimmung wechseln soll, in dem der typische Musical-Moment passiert – wenn aufgereiht die Figuren sich die Seele aus dem Leib singen. Es ist dieser emotionale Moment, den Fans von Musicals so leidenschaftlich lieben, wie ihn die Kritiker verabscheuen.

 

Anpassen und Feilen

Wir befinden uns im Theater-Auditorium der International School of Zug in Walterswil. Hier probt die English Theater Group of Zug für ihre neue Produktion, die Mitte Januar auf die Bühne kommt. Bald ist Premiere, der Gesang sitzt – im Ohr der Schreibenden jedenfalls – perfekt, an der Choreografie wird noch gefeilt, an Ausdruck und Gefühl. Kostümteile werden angepasst, genaue Positionen verabredet. 

Vor der Bühne stehen Dutzende Stühle, auf welchen sich Taschen, knallbunte Tutus und bestickte Blusen stapeln, darunter liegen die Strassenschuhe der Darsteller:innen. Auf der Bühne stehen 23 Menschen zwischen 16 und 80 Jahren, Menschen unterschiedlichster Nationalitäten und mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Was sie alle verbindet, ist einerseits eine Leidenschaft für Musicals und andererseits ganz einfach: die englische Sprache.

«Es ist ähnlich, wie wenn man sich in einem Kaffee der Stadt Zug in einer Gruppe unterhält – oft ist es die Sprache Englisch, auf die man sich einigt», sagt Hanns Zöllner. Der Pianist und gebürtige Wiener, der seit über 40 Jahren in Unterägeri lebt, war 1987 bereits Gründungsmitglied der Truppe und ist sicher mit ein Grund dafür, dass diese auch heute noch Musicals auf die Bühne bringt.

Damals von seiner Frau Cari als Korrepetitor für die ersten Proben engagiert, durchlief er seit den Anfängen die unterschiedlichsten Funktionen und Ämter bei der English Theater Group of Zug. Aktuell ist er Präsident des Vereins sowie Co-Leiter der neusten Produktion.

Für Kate Michaels hingegen ist es das erste Mal, dass sie in Zug die Regie übernimmt. Die US-amerikanische Sängerin und Schauspielerin lebt seit 1996 in der Schweiz, war vorher unter anderem in Singapur und Bremen zu Hause. Michaels gehörte zur Schweizer Originalbesetzung von Phantom of the Opera und war die erste Evita der Thunerseespiele, sie zog nach Basel und ist seither in der Schweiz geblieben. c 

Neben ihren Engagements auf internationalen Bühnen war und ist sie aber auch als Regisseurin, Beraterin und Lehrerin, unter anderem an der Universität Berkeley, tätig.

Ihre Beziehung zur English Theater Group of Zug dauert bereits seit dem Jahr 2000, als sie sich durch den Kontakt zu Cari Zöllner die Produktion «Into the Woods» besuchte. «They really know, what they’re doing», habe sie sich damals gedacht. Und als Hanns Zöllner sie schliesslich anfragte, für die aktuelle Produktion die Regie zu übernehmen, habe sie sich extrem gefreut.

Bei Laienproduktionen und semi-professionellen Produktionen geniesse sie schon immer die familiärere Atmosphäre und die Möglichkeit, dass alle sich einbringen, in die verschiedensten Bereiche eines Musicals reinschauen können und dass Menschen in den unterschiedlichsten Rollen aus dem Alltag ausbrechen und sich ausleben können.


Ohne Mundart kein Theater

Die Regisseurin geizt auf der Probe nicht mit Komplimenten, motiviert eingehend, bevor sie kritisiert. Die Stimmung ist ausgelassen, aber genauso konzentriert. Verschiedene Akzente mischen sich ins Englische, das hier auf und neben der Bühne gesprochen wird. «Bei uns stehen jeweils zwischen zehn und zwanzig unterschiedliche Nationalitäten auf der Bühne», bestätigt Hanns Zöllner den Eindruck. Es sei keineswegs der Fall, dass in der Truppe Englisch als Muttersprache vorherrsche, im Gegenteil.Das sei auch zu Beginn nicht anders gewesen. Damals gab es in der Region vor allem Mundarttheater, grosse Musicals tourten noch keine durch Europa, dafür musste man schon nach London reisen.

Für all die Menschen, die in Zug lebten, die gerne Theater schauen oder gar spielen wollten, die jedoch keine – vielleicht noch keine – Mundart verstanden, gab es schlichtweg nichts.


Eigene Erfahrungen

Mit Unterstützung des International Women’s Club von Zug wurde deshalb 1986 zu einem ersten Treffen geladen und die Resonanz übertraf die Erwartungen der Initiant:innen bei Weitem. Rund 70 Personen erschienen, die Vorsprechen wurden zahlreich besucht und die verschiedenen Chargen neben der Bühne konnten bald besetzt werden. Im ersten Jahr brachte die Truppe dann das 50er-Jahre-Highlight «Guys & Dolls» auf der Bühne des Loreto.

Viele Jahre wurde in der Ägerihalle gespielt, mittlerweile zeigt die English Theater Group of  Zug ihre Stücke in der Chollerhalle. Dabei ­kamen die grossen Musical-Hits wie «Oliver» oder «Chicago», aber auch komödiantische ­Off-

Broadway-Produktionen wie etwa «I Love You, You’re Perfect, Now Change!» oder «Black Comedy» zur Aufführung.

«Mean/Kind», die neuste Produktion der Gruppe, ist eine eigene, ganz persönliche Arbeit der Truppe – mit Songs aus den bekannten und beliebten Musicals «Wicked», «West Side Story», «Pippin» und «Fiddler on the Roof». Gemeinsam ist diesen, dass sie sich inhaltlich um Geschichten von Diskriminierung, Ausgrenzung und Zugehörigkeit drehen. Ergänzt wird das Programm mit Liedern der Grammy-Gewinnerin und Pop-Ikone Taylor Swift sowie des Cabaret-Komponisten David Friedmann, die sich ebenfalls mit dieser Thematik auseinandersetzen. Die Darsteller:innen jedoch singen die Songs nicht nur, sie treten in der Inszenierung aus ihren Rollen heraus, reflektieren die Texte persönlich und verbinden die Inhalte mit ihren eigenen Erfahrungen.

Die meisten Mitglieder haben eine Migrationsgeschichte, viele sind in den vergangenen Jahren Schweizer:innen geworden. Kate Michaels selbst steckt gerade mittendrin im Prozess um den roten Pass, genauso wie zwei weitere Darsteller:innen. «So sassen wir drei oft zwischen den Proben zusammen und füllten gemeinsam die Formulare aus», erzählt die Regisseurin.


Musical und Wissenschaft

Wie bei den meisten Laientheatern in der Region sind die künstlerischen Chargen mit Profis, die Rollen auf der Bühne mit Laien und teilweise auch mit angehenden Profis besetzt. 19 der 23  Darsteller:innen sind Teil des The Zug Show Choir, der ebenfalls von Hanns Zöllner geleitet wird. Das liegt unter anderem daran, dass die Theater-Gruppe durch die Pandemie persönlich hart getroffen wurde.

Dass die aktuelle Produktion nun auch persönliche Erfahrungen der Beteiligten beinhaltet, ist jedoch nicht der einzige neue Ansatz der Gruppe  – auch eine wissenschaftliche Formel steckt mit hinter der Inszenierung. Eine, die Kate Michaels aus Untersuchungen des US-amerikanischen Forschers Tom Jackson zum Publikumsverhalten auf ihre Regiearbeit übertragen hat. Die Probe geht weiter: Hanns Zöllner spielt die Playbacks ein, bis die musikalische Leiterin Tiffany Butt zur Probe stösst.

Kostümbildnerin Kathy Glass tauscht noch kurz einen Pullover aus, Myrtha Schuler korrigiert die Choreografien. Und Regisseurin Michaels hat noch einen Wunsch im Namen der Requisiteurin: «Bitte schmeisst die Stühle so richtig herum, damit Linda weiss, auf welche Schäden sie sich vorbereiten muss.» Die Zeilen «I’m through accepting limits, ‹Cause someone says they’re so, Some things I cannot change, But till I try, I’ll never know», aus dem Musical «Wicked» klingen durchs Theater und das Treppenhaus, als wir uns mit einem Stück Kuchen vom Probenproviant in der Hand wieder verabschieden. (Autorin: Jana Avanzini)



Vorstellungen «Mean/Kind»

Die Vorstellungen finden in der Chollerhalle Zug statt am:

Samstag, 13. Januar, um 19.30 Uhr

Sonntag, 14. Januar, um 14 Uhr und 17.30 Uhr

Mittwoch, 17. Januar, um 19.30 Uhr


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