Die erfolgreiche Komposition der Zuger Zeit

Coutumes & histoire, Musique

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Prominente in Zug/1: Der Urner Zisterziensermönch Alberik Zwyssig kam als Flüchtling in den Kanton Zug und komponierte hier den «Schweizerpsalm», die heutige Nationalhymne.

  • Hier wohnte der Komponist während fünf Jahren: im St. Karlshof zwischen Zug und Oberwil. (Bild Lithografie der Gebr. Spillmann)
    Hier wohnte der Komponist während fünf Jahren: im St. Karlshof zwischen Zug und Oberwil. (Bild Lithografie der Gebr. Spillmann)
  • Das Zwyssig-Denkmal von 1891 im Kanton Uri: direkt vor der Kirche in Alberiks Geburtsort Bauen. (Bild Gemeinde Seedorf)
    Das Zwyssig-Denkmal von 1891 im Kanton Uri: direkt vor der Kirche in Alberiks Geburtsort Bauen. (Bild Gemeinde Seedorf)
  • Das Zwyssig-Denkmal von 1910 in Zürich: an prominenter Stelle in der Parkanlage Zürichhorn. (Bild wikimedia)
    Das Zwyssig-Denkmal von 1910 in Zürich: an prominenter Stelle in der Parkanlage Zürichhorn. (Bild wikimedia)
  • Peter Josef Zwyssig: Der Bruder des Komponisten war der Besitzer des St. Karlshofs. (Bild Urner Neujahrsblatt)
    Peter Josef Zwyssig: Der Bruder des Komponisten war der Besitzer des St. Karlshofs. (Bild Urner Neujahrsblatt)
  • Alberik Zwyssig: Der Mönch komponierte in Zug die Schweizer Nationalhymne. (Bild www.schweizerpsalm.ch)
    Alberik Zwyssig: Der Mönch komponierte in Zug die Schweizer Nationalhymne. (Bild www.schweizerpsalm.ch)

Zoug – Wir beginnen unsere Serie mit Prominenten, die sich in Zug zeitweilig oder dauerhaft niedergelassen haben, mit einem Mönch und einer tragischen Story. Der Zisterziensermönch Alberik Zwyssig (1808–1854) musste 1841 im Aargau erleben, dass sein Kloster in Wettingen von der Politik einfach so geschlossen wurde: Der Aargau hob in diesem Jahr alle Klöster im Kanton auf! Innert 48 Stunden mussten die Mönche verschwinden.

Pater Albericus, damals 33 Jahre jung, floh aufgrund dieser Umstände in den Nachbarkanton Zug. Er hatte schon früher als Halbwaise in Menzingen gewohnt und vielleicht gute Erinnerungen an jene Zeit. Zudem wohnte jetzt, 1841, sein jüngerer Bruder Peter Josef Zwyssig (1814–1872) in Zug.

Eigentlich wohnte dieser nicht, sondern er residierte. Peter Josef war Bankverwalter in Uri gewesen und konnte 1840 nach einem Konkurs den Hof St. Karl übernehmen – als 26-jähriger, frisch verheirateter Mann. Es handelt sich um den Herrschaftssitz zwischen Zug und Oberwil, bekannt als Salesianum und noch besser bekannt als heutiger Wohnsitz des Bitcoin-Millionärs Niklas Nikolajsen.

Zwyssig bewohnte das repräsentative Landhaus mit Annexbau, französischem Garten, Kapelle und Landwirtschaft. Er hatte genug Platz, um seinen vertriebenen Bruder Alberik aufzunehmen.

Wie sich die Brüder angesprochen haben, ist nicht überliefert, in der Familie hiess Alberik eigentlich «Hansli», denn Alberik war auf den Namen Johann Josef Maria getauft worden, hatte dann aber beim Eintritt ins Kloster den Namen Albericus erhalten. Jetzt lebte Alberik von 1841 bis 1846 im Herrschaftshaus seines Bruders Peter, der ihm Kost und Logis bot – und Ruhe nach der Flucht.

Zuflucht in Zug und in der Musik

Der vertriebene Alberik suchte in der herrschaftlichen Umgebung und ohne seine Klosterbrüder Zuflucht in der Welt der Musik. Er, der bereits zuvor ganze Messen komponiert hatte und Violine, Klavier sowie Orgel spielte, setzte sich hinter die Notenblätter und suchte nach neuen Melodien.

Zwyssig hatte sich mit dem Zürcher Dichter und Musikalienverleger Leonhard Widmer (1808–1868) angefreundet, und dieser hatte ihm ein Jahr zuvor schon einen Liedtext geliefert. Jetzt komponierte Zwyssig in seiner Asylstation Zug die Melodie für den «Schweizerpsalm», die heutige Schweizer Nationalhymne. Dabei griff er auf ein früher komponiertes Kirchenlied «Diligam te Domine» (Ich will Dich lieben, Herr) zurück.

Es war genau am 22. November 1841, als ein Zuger Sängerquartett zum ersten Mal den «Schweizerpsalm» sang – und zwar im ersten Stock des St. Karl-Hofs mit freiem Blick auf den Zugersee. Die Sänger aus Zug waren: Alois Damian Bossard vom «Hirschen» als erster Tenor, Lithograf Martin Spillmann als zweiter Tenor, Oberstleutnant Franz Uttinger von der Liegenschaft «zum Schwert» als erster Bass und Major und Goldschmied Jakob Bossard als zweiter Bass.

Der «Schweizerpsalm» entwickelte sich in der Folge zu einem beliebten Musikstück, obwohl es eigentlich ein Kirchenlied war und deshalb auch in die Kirchengesangbücher aufgenommen wurde; aber an Sängerfesten ertönte Zwyssigs Lied regelmässig. Und die vier Zuger Sänger wurden später sogar vom berühmten Komponisten Richard Wagner eingeladen, als dieser in Luzern auf Tribschen wohnte, um den Schweizerpsalm vorzusingen: «Wagner war voll Lob über die Komposition.»

Ausser Ehre brachte die Popularität des Liedes nichts ein. Des Komponisten Bruder Peter Josef Zwyssig musste 1846 den St. Karls-Hof an Franz Josef Wickart vom Grosshaus am Kolinplatz verkaufen. Das bedeutete für Alberik Zwyssig, dass er sich wieder eine neue Bleibe suchen musste. Zuerst versuchte er mit Ordenskollegen aus Wettingen einen neuen Konvent im ehemaligen Franziskanerkloster Werthenstein zu etablieren.

Doch das misslang. Deshalb war Zwyssig froh, als Musiklehrer im Zisterzienserinnenkloster Wurmsbach bei Rapperswil-Jona wirken zu können. Doch schon 1854, zwei Tage nach seinem 46. Geburtstag, starb Zwyssig an einer Lungenentzündung. Aber sein Schweizerpsalm überdauerte sein relativ kurzes Leben. 1891 bekam Zwyssig sein erstes Denkmal in Bauen, 1894 sollte der Schweizerpsalm offiziell zur Nationalhymne der Schweiz erkürt werden. Doch der Schweizer Sängerverein stellte sich jedoch dagegen, weil die Melodie beim Singen «harmonische und rhythmische Schwierigkeiten» bereite.

Erst 1961 wurde dann Zwyssigs Schweizerpsalm vom Bundesrat zur Nationalhymne erhoben, allerdings vorerst nur probehalber für drei Jahre. Nach Ablauf der Frist sprachen sich zwölf Kantone für den «Schweizerpsalm«aus, aber sechs Stände lehnten ab; und sieben plädierten für eine Verlängerung der Probezeit. Insgesamt dauerte die Probezeit 20 Jahre (!), erst dann kam der Ritterschlag für Zwyssigs Lied: Der «Schweizerpsalm» wurde 1981 endlich zur Schweizer Nationalhymne erklärt, genau 140 Jahre nach seiner Erstaufführung! Obwohl dies so lange dauerte, war der temporäre Zuger Alberik Zwyssig eine wichtige Figur für die Schweiz.

Exhumierung der sterblichen Überreste

Das zeigte sich im Zweiten Weltkrieg. Nationalsozialistische Soldaten der Gestapo und der SS stürmten das Kloster Mehrerau in Bregenz, wo Pater Albericus beerdigt worden war. Der Zuger Rechtsanwalt Paul Aschwanden (1911–1984) hörte davon und befürchtete eine Leichenschändung des bekannten Komponisten. Er schrieb an den Zuger Bundesrat Philipp Etter (1891–1977) und schlug vor, Zwyssigs Gebeine möglichst bald heimzuholen. Nach einem diplomatischen Hin und Her mit Berlin wurden am 14. August 1942 Zwyssigs sterbliche Überreste ausgegraben und in die Schweiz überführt. Am 18. November 1943, dem 89. Todestag Zwyssigs, fand die zweite Beisetzung des Komponisten an seinem Geburtsort Bauen statt – obwohl zu diesem Zeitpunkt der «Schweizerpsalm» noch immer nicht die offizielle Nationalhymne war. (Text von Michael van Orsouw)

 

Hinweis: Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet Prominente in Zug. In Folge 2 geht es um einen streitbaren Grafen aus Frankreich, der sich in Zug Ruhe erhoffte. www.geschichte-texte.ch