«Es gehört zum Schreiben dazu, dass ich auf der Bühne lande»

Dies & Das, Literatur & Gesellschaft, Musik

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David Weber ist ein Spätberufener: Auf der Zielgeraden seiner Karriere verkauft er seine Firma und fängt das Schreiben an. Damit hat der Zuger einen neuen Fulltime-Job gefunden.

  • David Weber bei der Vernissage seines neusten Romans «Der Beginn einer Beziehung». (Bild: Philippe Hubler)
    David Weber bei der Vernissage seines neusten Romans «Der Beginn einer Beziehung». (Bild: Philippe Hubler)

Zug – Dieser Artikel erschien in der Juli/August-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Newcomer müssen nicht zwingend jung sein. Das beweist der Zuger David Weber. Er fing 2012 mit Schreiben an, als 60‑Jähriger. Und legt seither eine unheimliche Pace hin: fünf Romane in sechs Jahren, daneben Kurzgeschichten, Podcasts und Alben mit der Band «öz ürügülü», in der er Saxofon und Bassklarinette spielt. Doch eins nach dem anderen. Wir erreichen David Weber in der Bretagne, wo er seine Ferien verbringt. Er klingt entspannt, aber das lockere Rentnerleben ist nicht sein Ding. David Weber ist auch mit 71 Jahren noch ein perfektionistischer Vielarbeiter. Im April hat er seinen neusten Roman «Der Beginn einer Beziehung» veröffentlicht, im Mai folgte das Album «Della Morte dell’Artista» von «öz ürügülü». Mit beidem – Lesen wie Musik – tritt er regelmässig auf. Voneinander trennen lassen sich bei ihm Literatur und Musik ohnehin nicht, dazu später. «Dass ich Autor geworden bin, war nicht so geplant», sagt David Weber – nicht zu verwechseln übrigens mit seinem gerade mal fünf Tage älteren Namensvetter und Berufskollegen, dem Science‑Fiction‑Autor David Mark Weber aus Cleveland. Geplant war allerdings, dass der Zuger David Weber mit 61 seine Planungsfirma verkaufen würde, um Platz für Neues – «etwas ganz anderes» – zu schaffen. Der Architekt hat es durchgezogen und Ende 2013 seinen Arbeitsplatz geräumt. «Ich hatte vier Jahre auf diesen Moment hingearbeitet.» Und dann: Nicht die grosse Leere folgte, sondern ein Studium für Literarisches Schreiben in Zürich. «Ich hätte eher gedacht, dass ich mehr Musik machen und komponieren würde. Aber ich bin ins Schreiben reingerutscht», sagt er.

Bilden, neu starten
Er habe schon immer viel gelesen, sei schliesslich vom Leser zum Schreiber geworden und merkte bald: «Wenn ich weiter einfach drauflosschreibe, dann kommt es nicht gut. Also habe ich mir mit dem Studium das Rüstzeug geholt, um Sprache bewusst einzusetzen.» Schreibtechnik, Rhetorik, Stilistik, die Verführung mit Sprache – all das habe er zuvor völlig unterschätzt. Heute bezeichnet David Weber das Schreiben als neuen Fulltime‑Job. «Ich nutze jede freie Minute. Schreiben war für mich nie nur ein Zeitvertreib, nicht einfach ein Hobby für die Zeit nach der Pensionierung.» Wenn er etwas anpacke, dann mache er das professionell. «Das gilt für das Schreiben wie auch für die Musik. Sobald ich ein Publikum habe, will ich die Massstäbe ansetzen, die ich auch von anderen erwarte», sagt er. Den beruflichen Schlusspunkt und Neustart hat er bis heute nicht bereut, er habe lang genug Karriere gemacht. «Ich habe dem alten Beruf nie nachgetrauert, nur das Team vermisse ich.» Weil: Schreiben ist das Gegenteil von Teamarbeit. Darum ist er froh, dass er daneben noch die Band hat.

Mehr Rhythmus
David Weber hat einen Zweitwohnsitz in einem kleinen Weiler im bündnerischen Bergell, wo er etwa einen Viertel des Jahres verbringt. Der Gegensatz zwischen seinen beiden Wohnsitzen sei sehr inspirierend für das Schreiben, sagt er. Das Bergell ist auch Schauplatz seines neusten Buches «Der Beginn einer Beziehung». Der Rockmusiker Pedro Oliveira macht in der Bergwelt einen Alkoholentzug. Am letzten Wochenende erhält er verhängnisvollen Besuch, der Fragen aufwirft. Der Plot wechselt sich ab mit den Tagebuchnotizen aus der Entzugstherapie – man merkt schnell: Das kommt nicht gut. Mit Pedro wären wir auch wieder bei der Musik: Webers Buchtaufe begann mit verzerrter Gitarre, er krächzte: «Brüllendes Crescendo, Stroboskopblitze im Bühnennebel, das Publikum tobt, du hämmerst die Saiten …» Zu sehen und hören ist das im Video auf seiner Website. Begleitet wurde er von der Zuger Gitarristin und Multiinstrumentalistin Jasmin Lötscher (Klepka), mit der er schon mehrmals zusammengearbeitet hat. Beim ersten Roman war ein Perkussionist dabei, ein andres Mal hat David Weber alles selbst gemacht mit Bassklarinette und Loopstation, jetzt werden die Worte von Gitarrenklängen unterstützt. Die Bühne sei das verbindende Element zwischen Schreiben und Musik. «Für mich gehört es zum Schreiben dazu, dass ich auf der Bühne lande.» Er habe etliche Lesungen erlebt, an denen ein Autor allein hinter dem Pult sass und las – das ist nicht sein Ding. «Bei mir sind Lesungen durchkomponierte Performances mit einer Logik und einer Aussage.» Bei der Lektüre des neuen Romans merkt man, wie David Webers Schreibe von Musik beeinflusst ist. «Der Beginn einer Beziehung» liest sich klar, direkt, rhythmisch, lebhaft und ohne Schnickschnack. Der Autor legt Wert auf eine reine Sprache, möglichst ohne Nebensätze, mit Tempo und Spannung. «Die Struktur, der Rhythmus, stilistische Mittel wie Wiederholungen, Wendungen oder Überraschungen: Schreiben hat für mich viel mit Musik zu tun», sagt er. David Weber hat einen klaren Plot vor Augen, bevor er eine neue Geschichte beginnt. Aber die Figuren verändern sich während des Prozesses, erleben Wendungen, die er nicht voraussieht, aber gern geschehen lässt. «Ich will mich überraschen lassen beim Schreiben», sagt er. Es reizt ihn, auch stilistisch immer wieder etwas Neues auszuprobieren – so wechselten die Genres und Erzählperspektiven von Buch zu Buch. Den Plot, den klaren Rahmen, braucht er: «Ich will wissen, wohin die Reise geht.» Er mag überraschende Enden und setzt sie dementsprechend gern ein. «Der Schluss ist ganz wesentlich, darauf steuere ich zu. Bei mir gibt es zwar versöhnliche Enden, aber nie ein Happy End.» Zu harmonische Geschichten machen ihn skeptisch, ja langweilen ihn. Als Vorbilder nennt er englischsprachige Autoren wie John Irving, T. C. Boyle oder Ian McEwan. «Weil in ihren Storys sehr viel passiert. Ich lese auch deutschsprachige Literatur, werde aber oft enttäuscht.» David Weber mag Gegensätze, die Konflikte auslösen und den Spannungsbogen hoch halten. Inspiration für seine Geschichten findet er überall – in Zeitungsnotizen, Begegnungen, Bildern. «Ich suche nicht, die Geschichten finden mich», sagt er. Und das nicht zu selten. Darum mache er eine Art Triage: Wird’s eine Kurzgeschichte, gar ein neuer Roman oder gar nichts? Viele Skizzen landen auf dem Abstellgleis, einige wenige haben mehr Fleisch am Knochen. Gedanklich steckt David Weber bereits im nächsten Roman – oder eher: seinen zwei nächsten. «Ich habe immer zwei grössere Projekte, die parallel laufen. So kann ich immer mal wieder eines für ein paar Monate weglegen, um die nötige Distanz zu erhalten.» David Weber weiss: Die zeitaufwendige Arbeit als Autor wäre neben seinem bisherigen Beruf nicht möglich gewesen. Er hat das Privileg, dass er sich alle Zeit nehmen kann und nicht vom Schreiben leben muss, was er als «extrem befreiend» bezeichnet. Hat der Spätberufene schon überlegt, wie es gewesen wäre, wenn er jung mit Schreiben angefangen hätte? «Ich hätte weniger im Rucksack gehabt. Ich brauchte die Erfahrung», sagt Weber. Er staune über junge Autoren, die mit 25 Jahren einen Roman schreiben. «Ich hätte es nicht gekonnt.»

 

Text: Jonas Wydler