Jugendlich, aufgeschlossen und virtuos
Musik
Die aufstrebende Violinistin Esther Abrami vereint auf der Bühne musikalische Begabung mit modischem Selbstbewusstsein. Das kommt gut an. Zu ihrem Konzert in Unterägeri fand sich dann auch viel junges Publikum ein.
Unterägeri – Erhebt die Klassik-Branche prinzipiell Anspruch auf einen ebenso klassischen Kleidungsstil? Ist eine gewisse Sexyness zu «billig» und «seicht» für die Klassik? Mit ebendiesen beiden Worten titelte die Bild-Zeitung neulich einen Beitrag zur aufstrebenden Profigeigerin Esther Abrami, nachdem sie sich in den sozialen Medien im Badedress präsentiert und dabei – strandtauglich – entsprechend Haut gezeigt hatte.
Es sind wohl Vorwürfe, gegen die eine junge Frau wie Esther Abrami, die sich gegen althergebrachte Frauenklischees einsetzt, nicht nur einmal anzukämpfen hat, erst recht in ihrem Metier, das eine grosse Bühnenpräsenz mit sich bringt. Lange, züchtige Abendkleider sind halt einfach nicht das Ding der 27-jährigen, modebewussten Französin. Das liess sie auch im Vorfeld zu ihrem Konzert in Unterägeri am Dienstagabend durchsickern und entschied sich schliesslich für ein schwarzes Trägeroberteil, eine kurze rosafarbene Hose und einen gleichfarbenen Blazer.
Es ist aber genau diese untypische, instagramtaugliche Erscheinung, welche ein Markenzeichen des als international vielversprechend gehandelten Talents ist. Esther Abrami steht nämlich betont für die neue Generation und erweist der klassischen Musik damit einen grossen Dienst: Ihr gesundes Selbstbewusstsein und ihre jugendliche Attraktivität nutzt sie extensiv auf Social Media, um sich mit diesen Attributen als ernst zu nehmende Virtuosin auf ihrem Instrument darzustellen. Dies mit Erfolg – und dem wunderbaren Effekt, junge Menschen für die Klassik zu begeistern. So war denn auch unter dem zahlreich erschienenen Publikum in der Ägerihalle auffallend viel Jugend auszumachen.
Komponistinnen im Fokus
Begleitet von der britischen Pianistin Rose McLachlan präsentierte Abrami ein bewusst gewähltes Programm, von dem sie jedes einzelne Stück anmoderierte. Und ganz im Sinne ihrer Mission, dass Frauen in der Klassik besser wahrgenommen werden, sind vier der sechs Vorträge von Frauen komponiert worden, respektive eines davon gar von einer transsexuellen Komponistin, wodurch auch die aktuelle Diskussion im Umgang mit Geschlechtern anklang.
Zwar waren die sphärisch-tonmalerische Sonate «Lark Ascending» von Ralph Vaughan Williams (1819–1896) und die hochromantische Sonate A-Dur von César Franck (1822–1890) hinsichtlich Umfang die Hauptwerke des Abends und standen an dessen Anfang. Doch waren sie zugleich Auftakt für den zweiten, den Frauen gewidmeten Teil des Konzerts. Ihnen voran stand Clara Schumann (1819–1896), die begnadete Pianistin und Komponistin, die zeitlebens im Schatten ihres berühmten Mannes stand und heute – zum Glück – so rezipiert wird, wie es ihr zusteht.
Den drei Romanzen von Clara Schumann stand eine Romanze von Amy Beach (1867–1944) gegenüber, der ersten Amerikanerin, die eine Sinfonie komponiert hat. Mit einer Rêverie der transsexuellen Angela Morley (1924–2009) und dem kurzen Stück «Semplice Sempre» von Shirley Thompson (*1958) kamen zwei Komponistinnen der Neuzeit zu Ehren.
Sauber bis in höchste Tonlagen
Ihrem ihr vorauseilenden Ruf als exzellentes Nachwuchstalent wurde Esther Abrami an diesem Abend vollends gerecht – mit einem ausgereiften, souveränen Spiel, das sich insbesondere mit auffallender Sauberkeit in hohen und allerhöchsten Tonlagen auszeichnete. Angesichts der Tatsache, dass Abrami und McLachlan aus organisatorischen Gründen nur sehr wenig Zeit für das gemeinsame Einüben zur Verfügung gestanden hatte, war das Zusammenspiel hervorragend und legte Zeugnis davon ab, dass hier zwei versierte Instrumentalistinnen zusammengefunden haben, die musikalisch miteinander harmonieren.
Wo sich andere am legeren, aufgeschlossenen Auftreten Abramis – warum auch immer – stossen mögen, so war davon in Unterägeri nichts auszumachen. Das generationenmässig breit vertretene Publikum zeigte auch im anschliessenden Künstlergespräch grosses Interesse an der Geigerin, an ihrem Alltag und Werdegang als aufstrebende Musikerin. Abrami ihrerseits betonte, wie sie die Nähe zu ihrem Publikum sucht und schätzt.
Der Violinabend mit Esther Abrami und Rose McLachlan in Unterägeri erfüllte allein durch die Wahl der Künstlerinnen das Ziel von Aegeri Concerts, insbesondere die Jugend anzusprechen und sie für Klassik zu begeistern. Diesen Auftrag nimmt jeweils auch der zum Konzept gehörende Auftritt einer Instrumentalistin oder eines Instrumentalisten einer der Zuger Musikschulen zu Konzertbeginn wahr. An diesem Abend war das der fünfzehnjährige Cellist Keiju Yamaguchi, der mit den populären drei Suiten für Cello BWV 1007–1012 von Johann Sebastian Bach (1685–1750) einen barocken Akzent setzte – authentisch und sauber interpretiert. (Text von Andreas Faessler)
Hinweis
Nächster Anlass im Rahmen von Aegeri Concerts in der Ägerihalle: Klavierabend mit Claire Huangchi am 8. November, 19.30 Uhr.