Im Boot für Kirche und Kultur

Dies & Das, Brauchtum & Geschichte

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Kultur und Kirche leben von Begegnung – wie aber begegnen sich die beiden? Ein Gespräch mit Barbara Rickenbacher, der neuen reformierten Pfarrerin an der Hofstrasse in Zug.

  • Barbara Rickenbacher vor ihrem neuen Arbeitsort. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Barbara Rickenbacher vor ihrem neuen Arbeitsort. (Bild: Nora Nussbaumer)

Zug – Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Erst im Sommer ist Barbara Rickenbacher mit Sack und Pack, mit den beiden Kindern und ihrem Mann, nach Zug gezogen. Denn seit September ist sie reformierte Pfarrerin für den Kreis Zug Süd und Oberwil. Die Stadt Zug aber war ihr nicht ganz fremd: Bis etwa zehnjährig lebte Rickenbacher in Affoltern am Albis. Damals ging man nach Zug, um zu «poschten» oder Zeit am See zu verbringen. Somit war ein Bezug da, als sie die Ausschreibung für ihre neue Stelle sah.

Wo sind sie Trennlinien?
«Nachdem Sie mich für dieses Gespräch angefragt hatten», erzählt Rickenbacher, «habe ich angefangen, über die Überschneidungen und Gemeinsamkeiten von Kultur und Kirche nach zudenken.» Ihr Fazit: Oft ist die Trennung eher unklar respektive es ist nicht immer einfach, Trennlinien zu ziehen oder Dinge auseinanderzuhalten. Bald steht Weihnachten vor der Tür – ein gutes Beispiel dafür. Für manche Familien ist es Tradition, die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorzulesen, während andere anders feiern und nicht hinterfragen, woher die Tradition stammt oder was ihr Ursprung ist. Dazwischen gibt es viel Raum für unterschiedliche Interpretationen und Herangehensweisen. Doch wenn Trennlinien nicht immer klar sind – und Kultur und Kirche doch je etwas Eigenes sind –, gibt es zwischen den beiden auch Reibungspunkte oder Konflikte? Mit Blick auf ihre neue Wirkungsstätte stellt Rickenbacher fest, dass sie noch zu wenig lange hier ist, als dass sie von Konflikten in diesem Bereich wüsste. Und sie ist überzeugt: «Entweder man findet Zugänge zueinander oder man läuft nebeneinander her.» Oft sei man ja zu weit voneinander entfernt, als dass Reibung entstehen könnte, erklärt Rickenbacher. Diese tritt nur auf, wenn man Berührungspunkte schafft und gemeinsam etwas auf die Beine stellt.
Hat Rickenbacher bereits konkrete Ideen oder Projekte im Blick – vor allem in Bezug auf Kultur? Die Pfarrerin ist zurückhaltend, sie ist frisch im Amt und noch dabei, sich einzuarbeiten und anzukommen. Doch sie wurde herzlich empfangen, erlebt die Menschen, denen sie begegnet, als offen und spürt auch eine gewisse Neugier. Besonders reizvoll findet sie, dass in der reformierten Kirche Zug, welche vergleichsweise klein ist, die Entscheidungswege kürzer und direkter sind als anderswo – so lässt es sich einfacher mitgestalten. Die Zukunft beginnt für Rickenbacher unmittelbar mit dem nächsten Projekt: Man überlegt, welche Musik spannend wäre, wie sich Themen umsetzen lassen würden und wer sich für eine Zusammenarbeit eignen könnte. Dann beginnt das Aushandeln und man findet gemeinsam den passenden Rahmen – so kann etwas Neues entstehen.

Neuzuzügerin mit Kulturhunger
Rickenbacher bringt einiges an Erfahrung mit. So war sie beispielsweise Seelsorgerin im Pflegezentrum Bassersdorf und knapp acht Jahre Pfarrerin in Greifensee. Daneben hat sie auch Neugier aufs kulturelle Leben vor Ort im Gepäck: «An Konzerte gehen, das klappt jetzt, wo die Kinder zehn und zwölf Jahre sind, wieder besser», freut sie sich und ergänzt, sie sei auch für Museen und Theater zu haben. «Früher», erinnert sich die 46‑Jährige, «hatte ich sogar noch Zeit fürs Improvisationstheater.» Ihre Faszination für die Ausdruckskraft verschiedener Kunstformen zeigt sich auch in ihrem neuen Hobby: Happy Paintings – farbenfrohe, fröhliche Bilder, die zwar, wie Rickenbacher lachend betont, «nichts mit grosser Kunst» zu tun haben, aber einfach gute Laune machen. Auch wenn privat gerade keine Zeit fürs Theaterspielen bleibt, gestaltet Rickenbacher in ihrem Berufsalltag vielfältige Berührungspunkte von Kirche und Kultur mit. Oft ist es die Kirche, die der Kultur in den unterschiedlichsten Formen Raum gibt. Rickenbacher ist in einem kleinen Pensum auch für die CityKirche Zug tätig. Dort legt man besonderen Wert darauf, entweder selbst kulturelle Veranstaltungen zu organisieren oder Räumlichkeiten für verschiedenste Zwecke bereitzustellen. Dies nicht nur aus der Historie heraus, sondern auch deshalb, weil sich viele Kirchen akustisch gesehen gut für Konzerte und Aufführungen verschiedenster Art eignen. Kurz nach ihrem Stellenantritt trat zum Beispiel Beat Föllmi in der Kirche auf. Als Pfarrerin hat sie auch viel Kontakt zu Kirchenmusiker*innen oder anderen Künstler*innen, zum Beispiel wenn es um Fotoprojekte, Filmabende oder einen Raum für Proben geht. Während Rickenbacher aus ihrem Berufsalltag erzählt, wird schnell deutlich, wie stark Kirche und Kultur sich in vielen Bereichen überschneiden, wie eng der Bezug sein kann. Im Alltag sind wir uns dessen vielleicht nicht bewusst, denken wir selten darüber nach. Stattdessen gehen wir ans Lunchkonzert oder zur Probe in den Gemeindesaal. Rickenbacher bringt noch eine weitere Perspektive ein: Christliche Traditionen liefern viel Stoff für Kulturschaffende, etwa in der Form von Figuren oder religiöse Themen, welche zum Gegenstand gemacht werden. Wenn zum Beispiel der Judas in den Fokus gerückt wird, wenn von Verrat erzählt und der Frage nachgegangen wird, was mit der Figur passiert, dann werden damit grundlegende menschliche Themen verhandelt. Diese bewegen, eben genau über diese bekannten religiösen Figuren, bis heute und sind als Gegenstand des kulturellen Schaffens relevant. Wo also beginnt Kultur, wo endet Kirche – und andersherum?

Und die Frauen?
Rickenbacher ist nicht die einzige neue Pfarrerin, die in der reformierten Kirche in Zug von sich reden macht. Auch in Baar hat eine Pfarrerin begonnen, und zwei weitere Frauen wurden dort im Herbst in den kirchlichen Dienst entsandt. Heisst das, dass die Frauen auf dem Vormarsch sind? Rickenbacher studierte ursprünglich Germanistik und Anglistik, um ihrer Leidenschaft für Sprache und Literatur nachzugehen, wechselte dann aber doch in die Theologie. Damals lag das Geschlechterverhältnis unter Theologiestudierenden an der Universität Zürich etwa bei 50:50, doch im Berufsleben gab es später deutlich weniger Pfarrerinnen als Pfarrer. Das ändert sich nun langsam – auch in der reformierten Kirche, wo Frauen in einigen Kantonen bereits vor über hundert Jahren zum Amt zugelassen wurden. Vielerorts gehen Pfarrer in Pension und Frauen rücken nach – wie das nun auch in Zug der Fall ist. Woran liegt das? Vielleicht, überlegt Rickenbacher mit einem verschmitzten Lachen, habe der Beruf heute einfach nicht mehr denselben Status wie früher, ähnlich wie bei Lehrpersonen. Möglicherweise ziehe er daher jetzt weniger Männer an. Ganz sicher aber hängt diese Entwicklung auch mit anderen gesellschaftlichen Veränderungen zusammen, die wir heute an vielen Stellen beobachte; auch hier sitzen Kirche und Kultur möglicherweise in einem – gesellschaftlichen – Boot.

 

Text: Vera Bender