Er ging für Hollywoodstars durchs Feuer
Film & Multimedia
Prominente in Zug (10): Harry Froboess (1899–1985) war ein deutscher Artist und Stuntman, der sich in Baar niederliess und Schauspieler wie Stan Laurel, Humphrey Bogart oder Marlene Dietrich doubelte.
Baar – 1969, zur Feier seines 70. Geburtstags, lässt sich ein Baarer aus einem einfachen Wohnblock an der Gubelstrasse etwas Besonderes einfallen: Er lässt sich von einem Helikopter über den Zürichsee fliegen – aber nicht für einen Rundflug.
Stattdessen stellt sich der Jubilar ohne Sicherung auf die Helikufen, hält sich von aussen an der Flugkabine fest und springt mit einer gekonnten Schwalbe aus einer Höhe von 40 Metern in den See hinunter: «Ich wollte damit zeigen», meinte der Geburtstagsfeiernde in der Fernsehreportage, «dass man auch mit 70 Jahren noch fit sein kann.»
Ein verrückter Kerl – dieser Harry Froboess aus Baar! In 412 Filmen wirkte er als Double und Stuntman für die Stars mit. Kein Abenteuer war ihm zu wild, Harry Froboess riskierte vor laufenden Kameras Kopf und Kragen: Er stürzte sich von Brücken oder Türmen, sprang auf fahrende Züge oder liess sich als lebendige Kanonenkugel in den Himmel schiessen. Einmal stieg er von einem fahrenden Zug in ein Flugzeug um und dann weiter in den Heissluftballon. Doch seine Spezialität waren waghalsige Sprünge ins Wasser aus grossen Höhen – wie eben an seinem 70. Geburtstag.
Zwei Sprünge in eine grosse Zukunft
Schon im Alter von 19 Jahren wagte er zwei Gewaltssprünge, die entscheidend für sein weiteres Leben sein sollten: Harry Froboess stürzte sich in Hamburg 75 Meter in die Tiefe und erregte damit grosses Aufsehen. Er wurde nach England eingeladen und sprang dort von der Tower Bridge in die Themse, auch hier mit viel Publikum. Diese beiden Sprünge bildeten den Auftakt zum abenteuerlichen Leben des späteren Baarers als Artist und Stuntman für Kino- und Fernsehfilme.
Fast ein ganzes Filmjahrhundert erlebte Harry Froboess mit, zuerst beim Stummfilm, dann beim Tonfilm, zuerst in Deutschland, dann in Hollywood. Er wirkte als Stuntman bei Filmklassikern wie «Das Cabinet des Dr. Caligari», «Der blaue Engel», «Der Herr der sieben Meere», «Alamo» oder «40 Wagen westwärts» mit.
Dabei doubelte er die Superstars der Filmgeschichte wie etwa Humphrey Bogart, Burt Lancaster, Eroll Flynn, Stan Laurel, Buster Keaton oder Ronald Reagan, aber er schlüpfte bei seinen Stunts auch in Frauenrollen von Idolen wie Marilyn Monroe, Greta Garbo oder auch Marlene Dietrich. Insgesamt doubelte er 58 Stars und hatte nie einzige ernsthafte Verletzung!
1936 stellte er einen Weltrekord auf, der auch ins Guinness-Buch der Rekorde fand: Froboess sprang am 22. Juni aus dem Zeppelin Hindenburg in den Bodensee – aus einer unglaublichen Höhe von 120 Metern. Froboess war damals durchtrainiert und wusste dank jahrelanger Erfahrung genau, wie er abspringen, wie er sich im Flug bewegen und vor allem wie er eintauchen musste, um Verletzungen zu vermeiden, die bei solchen Höhen tödlich enden könnten. Später wurde von Fachleuten diese Höhe von 120 Metern angezweifelt, doch Showartist Froboess hielt daran fest. Wie auch immer: Der Deutsche Harry Froboess wohnte dauerhaft in Amerika, wurde amerikanischer Staatsbürger und spielte in Hunderten von Filmen mit.
Der Alterssitz im Wohnblock in Baar
Mittlerweile im Pensionsalter, beendete Froboess Ende der 1960er-Jahre seine Stuntman-Karriere. Es zog ihn zurück nach Europa. Mit seiner Frau Herta Müller suchte er einen ebenso attraktiven wie günstigen Alterssitz. Sie mieteten ein Auto in Zürich-Kloten und fuhren los. Der Kanton Zug gefiel ihnen sehr gut, sodass sie ein Inserat schalteten: «Amerikanisches Ehepaar im Ruhestand sucht Zwei- bis Dreizimmerwohnung».
Damals trafen viele Offerten ein, doch alle angebotenen Wohnungen waren viel zu teuer; nur eine einzige zahlbare Wohnung an der Gubelstrasse in Baar war dabei, in die Herta und Harry Froboess dann 1968 zogen, eine einfache Wohnung in einem Block zwischen Leihgasse und Sonnenweg.
Denn das Ehepaar war nicht gerade auf Rosen gebettet. Als Rente bezog Harry weniger als 400 US-Dollar, weil von seinen früheren Aktivitäten in Deutschland ihm von der Deutschen Landesversicherungsanstalt nichts angerechnet wurde. Er erfüllte die Bedingungen für eine deutsche Rente nicht.
Deshalb musste Froboess sich etwas einfallen lassen. Schon früher hatte er seine abenteuerlichen Erlebnisse beschrieben, jetzt hielt Froboess landauf, landab Vorträge und Diashows, in denen er blumig von seinen Eskapaden erzählte. Er war eben ein richtiger Showman und das Showgeschäft sein Leben.
Zudem verfasste er in Baar seine Autobiografie, die 1969 unter dem Titel «Glücklich überlebt» herauskam, im Untertitel «Ein Leben als Film-Stuntmann und Show-Akrobat». Die «Berner Tagwacht» nannte es ein «ehrliches und aufregendes Buch». Um dieses bekannt zu machen, hatte Froboess wieder eine zündende Idee: Er absolvierte im Alter von 70 Jahren den eingangs geschilderten Gewaltssprung in den Zürichsee.
Das funktionierte bestens: 250 Vertretungen von Zeitungen, Radio und Fernsehen berichteten in Wort und Bildern über Froboess’ waghalsigen Sprung. Dennoch reichte das nicht aus. Obwohl bereits im Rentenalter, wirkte Froboess bei der Steinhauser Firma Varian AG während sechs Jahren als Hauspöstler, der mit guter Laune Botengänge ausführte.
Nachdem seine Frau Herta 1975 verstarb, zog Harry Froboess ins Alterszentrum Bahnmatt. Er meinte, er wolle «nicht im Schaukelstuhl verwelken», und war dort wohl einer der sportlichsten Bewohner aller Zeiten. Dreimal pro Woche trainierte der einstige Artist im Schwimmbad, dazu kamen noch grosse Wanderungen und regelmässige Trainings auf dem Fitness-Parcours.
Sein Buch liess er 1981, etwas abgeändert und unter dem Titel «Um Kopf und Kragen», noch einmal von einem anderen Verlag auflegen, und auch das Fernsehen interessierte sich für seine Geschichte. Zum 84. Geburtstag zeigte Froboess dann einen stilechten Handstand am Rand des Luzerner Hallenbades. Nur zum 85. Geburtstag zwang ihn eine Muskelzerrung am Oberarm zu einer Pause. Ein Jahr später, am 12. Januar, starb Harry Froboess in Baar.
Der Autor bedankt sich bei Historiker Philippe Bart vom Staatsarchiv Zug für die freundliche Unterstützung. (Text von Michael van Oursouw)
Hinweis Dr. Michael van Orsouw ist Historiker und Schriftsteller. Der Zuger beleuchtet Prominente in Zug. In der nächsten Folge befasst er sich mit dem Erfinder eines Kultautos.