So vielseitig ist Keramik

Kunst & Baukultur

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Das Ziegeleimuseum in Hagendorn feierte kürzlich die Vernissage zu seiner neuen Sonderausstellung «Ziegelrot … und mehr».

  • Die Museumsdirektorin Ute W. Gottschall mit einem Ausstellungsstück. Bild: Matthias Jurt (Hagendorn, 18. 4. 2024)
    Die Museumsdirektorin Ute W. Gottschall mit einem Ausstellungsstück. Bild: Matthias Jurt (Hagendorn, 18. 4. 2024)

Hagendorn – Vom einfachen Lehmziegel zum Backstein in allen Farben, vom schwarzen Klinker zur bemalten Bodenfliese oder glasierten Wandkachel, von den Lehmhütten europäischer Pfahlbauer zu den Terracotta-Steinmetzarbeiten der Renaissance, von den französischen Bauten aus Pisé (Stampflehm) zu den norddeutschen Backstein-Kathedralen, von den farbigen Azulejos der iberischen Halbinsel bis zur modernen Keramik an Schweizer Gebäuden. Ungebrannt und gebrannt, verputzt oder sichtbar, einfach oder geschmückt: Vielseitigkeit – materielle, zeitliche und räumliche – ist der gemeinsame Nenner der überaus reich befrachteten neuen Sonderausstellung des Ziegeleimuseums in Hagendorn.

Am Mittwochabend feierte sie ihre Vernissage, es war gleichzeitig die Eröffnung der Saison 2024. Die seit Januar 2023 amtierende Museumsdirektorin Ute W. Gottschall führte temperamentvoll ins Thema ein: Voller Begeisterung schilderte sie ihre «Reise durch die Sammlung des Ziegeleimuseums», wie sie auf «wunderbare, bisher nicht gezeigte Schätze» stiess, und, zusammen mit ihrem Projekt- und Vermittlungsteam, die Ausstellung konzipierte. Flankiert vom Basler Architekturbüro Echarti, das für die Gestaltung verantwortlich zeichnete.

«Historische Objekte erzählen immer ihre eigene Geschichte, aber auch viele Geschichten dahinter», sagte Gottschall. Berühren und in die Hand nehmen dürften die Museumsbesucher rohen Ton und Lehm und die modernen Ziegelsteine: Beschaffenheit und Gewicht sollen sinnlich, haptisch erfahren werden. Gottschall wies zudem darauf hin, dass zur Vermittlungsarbeit des Museums Führungen, Workshops, Ferienpässe und Podiumsgespräche gehörten.

Die Sonderausstellung «Ziegelrot… und mehr» im Untergeschoss des Ziegeleimuseums ist von zwei Elementen geprägt: Einerseits mannshohen Fotografien von Lehm-, Ton- oder Backstein-Bauten aus der ganzen Welt oder solchen, die mit Keramikkunst geschmückt sind. So etwa das Theilerhaus von Venerand Dicht in Zug (1896) oder die Villa Bleuler von Alfred F. Bluntschi in Zürich (1885–88). Die Kirche St. Marien in Lübeck (12./13. Jahrhundert) oder das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Zarrentin (12. Jahrhundert). Das Majolika-Haus von Otto Wagner in Wien (1898), die Casa Batló von Antoni Gaudí in Barcelona (1904–06) oder der Erweiterungsbau des Museums der Kulturen in Basel, von Herzog & de Meuron. Das zweite Element der Ausstellung besteht aus den gezeigten Objekten: Lehm als Material, Lehmziegel und Backsteine in allen Formen und Farben, Lehmwände und Skizzen von Wandaufbauten, Figuren aus Terracotta und farbige Keramik. Besonderen Wert haben die Ausstellungsmacherinnen auf die Boden- und Wandfliesen aus dem 1970 abgerissenen Schloss Neu-Buonas gelegt – aus der halben Welt, in diversen Techniken.

Erinnerungen an eine Pionierin

Für kleine Besucher und ihre Eltern gibt es besondere Aktivitäten: So können aus bunten Lego-Steinen eigene «Backsteinmauern» aufgebaut oder aus unterschiedlich grossen Platten und Plättchen ein vielfarbiges Mosaik gestaltet werden. An einer separaten Wand aber hängt etwas Besonderes: ein Foto vom Giebelfeld des Tympanons am Bundeshaus in Bern. Dieses Feld wurde 2023 von der Künstlerin Renée Levi aus 246 polygonalen Keramikplatten (für 200 National- und 46 Ständeräte) gestaltet.

Das «Projekt Tilo» genannte Kunstwerk erinnert an eine fast vergessene Frau: Tilo Frey (1923–2008), die 1971 nach dem Inkrafttreten des Frauenstimmrechts zu den ersten Frauen im Nationalrat gehörte. Mit ihren schweizerisch-kamerunischen Wurzeln war sie zudem die erste Dunkelhäutige im Bundeshaus. (Text von Dorotea Bitterli)