Die Uhr tickt

Dies & Das

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Dank einer Zwischennutzung ist in Zug ein spezieller Coworking-Space entstanden. Bald läuft der Mietvertrag aus.

  • Geschichtenerzähler Severin Hofer mit seinem Dromedar.
    Geschichtenerzähler Severin Hofer mit seinem Dromedar.
  • Schreiner Christian Ulmann.
    Schreiner Christian Ulmann.
  • Die ehemalige Schreinerei am Ibelweg 20. Bilder: Matthias Jurt (Zug, 9. 1. 2025)
    Die ehemalige Schreinerei am Ibelweg 20. Bilder: Matthias Jurt (Zug, 9. 1. 2025)
  • Arbeitskolleginnen und Freunde zugleich: Sie nutzen die ehemalige Schreinerei Baumgartner.
    Arbeitskolleginnen und Freunde zugleich: Sie nutzen die ehemalige Schreinerei Baumgartner.

Zug – «Am liebsten würden wir einfach das Haus mit einem Helikopter umpflanzen.» Die Aussage des Zuger Geschichtenerzählers Severin Hofer bringt die Situation dieser speziellen Schicksalsgemeinschaft auf den Punkt: Mehr als zwanzig Personen sind in dem älteren Wohn- und Gewerbegebäude am Ibelweg 20 in Zug vereint, das längst einen neuen Anstrich und neue Fenster vertragen würde. Sie arbeiten zusammen, aber sie nur auf ihre Arbeit zu reduzieren, würde ihnen nicht gerecht werden. Sie sind Freunde, die sich auch bei der Arbeit perfekt ergänzen.

Doch der Blick in die Zukunft trübt die Idylle: In wenigen Monaten läuft der Mietvertrag für die Zwischennutzung aus. Die Uhr tickt. Die Freunde und Arbeitskolleginnen müssen ausziehen, wollen aber zusammenbleiben. Deshalb gelangen sie nun an die Öffentlichkeit mit der Hoffnung auf eine neue Bleibe.

Ein bunter Mix, verteilt auf drei Stockwerke

Auf Neudeutsch würde man das, was am Ibelweg entstanden ist, als Coworking-Space bezeichnen. Und würde man diesen auf dem Reissbrett ent­werfen, würde man ihn kaum so zusammenstellen. Auf drei Stockwerke verteilt befinden sich Schreinerinnen und Schreiner, Textildesignerinnen, ein Siebdrucker, ein Grafiker, ein Treuhänder, eine wissenschaftliche Illustratorin, eine Requisiteurin, ein Programmierer und verschiedene Kunstschaffende.

Sie unterstützen sich gegenseitig: «Der Schreiner rahmt die Bilder der Illustratorin, der Autor hilft dem Schreiner in Not beim Kärchern, der Grafiker macht die Website für den Poeten und der Siebdrucker bedruckt die Werbeartikel für den Musiker», schildert Hofer. In den Räumen im 1. Stock sitzt der Treuhänder zwischen der Textildesignerin und der Illustratorin. Hinter ihm bemalt der Künstler Leinwände in einer improvisierten Box, die Severin Hofer früher für ein Bühnenbild verwendete. Im Raum nebenan arbeitet der Programmierer – und baut in seiner Freizeit ein Segelboot aus Holz. Mittags kochen sie gemeinsam. Und abends kann es gerne auch mal etwas später werden. «Es gibt wohl kein Haus im Kanton Zug mit einem so bunten Mix», sagt Hofer.

«So wenige Leute und so viel Platz»

Entstanden ist diese Arbeitsgemeinschaft aufgrund eines wirtschaftlichen Schicksalsschlags. Kurz vor Ausbruch der Coronapandemie 2020 ging die Schreinerei am Ibelweg in Konkurs. Eine Gruppe selbstständiger Schreiner um Christian Ulmann übernahm Räume und Maschinen. Er erinnert sich: «So wenige Leute und so viel Platz – wir fühlten uns manchmal wie in einem Geisterhaus.» Dieses füllte sich zunehmend mit Leben. Auch die Kulturraumgenossenschaft Prok mietete Räume und vermietete diese weiter an Kunstschaffende. So fand die mehr als 20-köpfige Arbeits­gemeinschaft zusammen.

Und nun muss sie im Sommer den Ibelweg verlassen – aber wohin bloss? Auch gut ein halbes Jahr vor Ablauf des Mietvertrags ist keine Lösung in Sicht. «Wir haben für 2025 nur einen Wunsch: den Kulturort Ibelweg in diesem Kanton irgendwohin zu zügeln», sagt Hofer. Einfach ist das nicht. Diese bunte Truppe stellt zwar wenig Ansprüche an die Liegenschaft – aber sie braucht Platz. Viel Platz. Allein die Schreinerei braucht 350 Quadratmeter. «Eigentlich müsste die Fläche noch grösser sein, aber wir sind uns bewusst, dass wir uns wohl einschränken müssen», sagt Ulmann. Hinzu kommt ein etwa gleich grosser Platzbedarf für alle anderen.

Ulmann sucht zusammen mit seinen Schreinerkolleginnen und -kollegen seit zwei Jahren nach einem neuen Standort. Gespräche hat er bereits geführt, bisher jedoch erfolglos. Es scheint, als würde das Schicksal der Arbeitsgemeinschaft vor allem von dem der Schreiner abhängen. Sie verursachen die meisten Emissionen und haben den grössten Platzbedarf. Doch Severin Hofer will das nicht so sehen: «Vor allem hängt es davon ab, ob jemand bereit ist, uns Platz zur Verfügung zu stellen.»

Ein Standort ausserhalb des Kantons Zug?

Muss die Gruppe den Fächer aufmachen und auch ausserhalb des Kantons Zug suchen, wie das viele auf Wohnungssuche machen? Widerspruch aus der Runde kommt prompt und vehement. «Fast alle meine Kunden kommen aus dem Kanton Zug. Hier kennt man mich auch ohne Werbung», sagt Ulmann. Illus­tratorin Yolanda Keiser ergänzt: «Wir alle machen etwas für die lokale Bevölkerung im Kanton, also sollten wir hier auch einen Platz haben.» Sie seien im Kanton Zug aufgewachsen und hätten auch heute noch hier ihren Lebensmittelpunkt. Noch suchen die 20 Arbeitskolleginnen und Freunde weiter. Nicht nach einem Helikopter, um ihr Haus vor dem Abrissbagger zu retten, sondern nach einem grossen Gewerbebau, dem sie neues Leben einhauchen können. (Text: Christian Glaus)