Glückseligkeit mit Ablaufdatum

Kunst & Baukultur

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In Inwil gibt es seit kurzem eine neue Ateliergemeinschaft. Die 10 Mieter:innen sind glücklich. Nicht zuletzt, da der heute pulsierende Kreativraum leicht zum Lagerraum hätte verkommen können.

  • Freundlicher Empfang im Atelier Cha Cha. (Bild: Falco Meyer)
    Freundlicher Empfang im Atelier Cha Cha. (Bild: Falco Meyer)

Zug – Dieser Artikel ist in der Januar/Februar-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.


Mitten im charmefreien Inwil, wo sich die Gemeinden Zug und Baar schon längst umschlungen haben und sowohl gewohnt und gearbeitet wird, liegt, auf dem Boden des Quartiers Guthirt gelegen, ein kulturelles Bijou.

Zwar ist das Atelier Cha Cha, das oberhalb einer Schreinerei liegt, von aussen kaum wahrnehmbar. Umso stärker dessen Wirkung, hat man erst die Türe aufgestossen. Denn prompt landet man in einer gemütlichen Küche, dessen Schachbrettboden Wärme und Vertrautheit ausstrahlt. An diesem feuchtkalten katholischen Feiertag ist dies genau der richtige Ort gegen melancholische Zustände. Das finden offenbar auch die MieterInnen, die an diesem Tag zahlreich erschienen sind.


Luft zum Denken

Am Küchentisch sitzen Nadja Zürcher und Sara Liz Marty, die gemeinsam ein Textilprojekt besprechen. Daneben liegt Juno, der freundliche Atelierhund, der von den meisten Bruno genannt wird. Dem Hund ist das egal, solange die Bälle nur regelmässig durch den Gang des grossen Atelierraums fliegen. Links und rechts davon stehen verschiedene Arbeitsflächen, es ist angenehm unaufgeräumt aufgeräumt, mit genügend Luft zum Denken. Die Bodenmarkierungen indizieren zwar, wo eine Atelierparzelle beginnt und wo sie aufhört. Trotzdem scheint hier niemand nur seine eigenen Brötchen zu backen. Denn obwohl die Ateliergemeinschaft in ihrer heutigen Konstellation erst seit kurzem besteht, ist es selbst für Gäste offensichtlich: Die Mieter:innen mögen sich nicht nur, es gibt bereits einen spürbaren Zusammenhalt.


Angenehmer Groove

Der Umgang zwischen den zehn Mieter:innen ist liebevoll, man bespricht Ideen miteinander, schmiedet gemeinsam Projekte. Wer krank ist, wird vermisst. Die Menschen sind gerne und oft hier. Hier trifft sich eine Mischung von Kulturschaffenden, die hier ihrem Haupterwerb nachgehen, und solchen, für welche die Tätigkeit im Atelier ein willkommener Ausgleich zum «Brotjob» bedeutet.

Hier entstehen Bilder, Texte, Schmuckstücke, aber auch Illustrationen und Designkonzepte. Die Mieter:innen schätzen den «angenehmen Groove» und freuen sich darüber, dass man fast nie allein ist. Die praktische, doch niedliche Küche wird von allen geliebt. «Ich koche eigentlich nie zu Hause, sondern nur hier», sagt Dave Spengeler und schmunzelt. Ab und zu kommt der Grafiker einzig darum ins Atelier, um gemütlich zu kochen.

Dass diese lebendige Atelier-Konstellation überhaupt existiert, ist nicht selbstverständlich. Bis im vergangenen September wurden die Räume des Ateliers Cha Cha von der Kreativ-Agentur Gäggeligääl und dem Zuger Künstler Martin Riesen gemietet. Wie es nach deren Auszug mit dem Raum weitergehen würde, war lange unklar.


Ein Hoffnungspflänzchen

Sara Liz Marty, die wie auch Nadja Zürcher bereits einen Atelierplatz unter den Fittichen von Gäggeligääl gemietet hatte, erzählt: «Wir hatten ziemlich Angst, dass auch wir mit dem Auszug der Agentur aus dem Raum rausmüssen. Denn allein hätten wir beide das Risiko dieser Miete nicht tragen können.» Als sie mit Freunden über ihr Dilemma sprach, wies sie jemand auf die PROK, die Zuger Kulturraum-Genossenschaft, hin. «Die PROK begann für uns zum Symbol eines kleinen Hoffnungspflänzchens zu werden. Denn dieser Raum ist viel zu nice, um nur als Lagerraum genutzt zu werden.»

Severin Hofer, der selbstständig im Bereich Literatur arbeitet und im Atelier Cha Cha einen geeigneten Denk- und Arbeitsraum gefunden hat, sagt dazu: «Es ist schwierig, einen solchen Übergang gut zu gestalten. Doch es hat sich gezeigt, dass die PROK in solchen Situationen wie eine Feuerwehr funktioniert.»


Weniger bürokratische Hürden

Die PROK kam, sah das Potenzial dieses Ortes und löste das Problem. «Dieser Ort muss erhalten bleiben», befand Patrick Bützer, der Präsident der PROK-Verwaltung. Und so übernahm die Organisation die Bewirtschaftung der Räume. Bewusst hält die PROK die Mietpreise tief. Auch müssen interessierte Kulturschaffende keinen Kriterienkatalog erfüllen, um einen Arbeitsort zu erhalten. «Das ist unser Vorteil gegenüber den von der Stadt Zug vergebenen Ateliers. Wir haben da eine gewisse Narrenfreiheit, können unbürokratisch vorgehen und müssen keine grossen Hürden nehmen wie gewisse Institutionen», erklärt Bützer. Dennoch versuche man, Mieter:innen zu finden, die in die Gemeinschaft reinpassen.

Die Organisation scheint dafür ein gutes Händchen zu haben. Nicht nur, weil sich die Kulturschaffenden gut verstehen. «Auch hatten wir zunächst Angst, dass der Raum nur am Wochenende belebt sein würde. Das ist aber zum Glück überhaupt nicht der Fall», sagt Nadja Zürcher.

Während sie erzählt, hört man vom Erdgeschoss das gedämpfte Gekreisch einer Kreissäge. Wo einst die Schreinerei Baumgartner untergebracht war, wirkt heute ein Kollektiv selbstständiger HandwerkerInnen. Niemand hier oben stört sich an den Geräuschen. Ganz im Gegenteil.

«Zwar arbeiten die Menschen in der Schreinerei unabhängig von uns, dennoch gibt es immer wieder Verbindungen und positive Begegnungen», erzählt Severin Hofer, der nicht allein, sondern gemeinsam mit einem lebensgrossen Plüschdromedar einzog. Hofer nickt zum melancholisch dreinblickenden Höckertier hinüber und sagt: «Weil ich dieses so nicht transportieren konnte, musste ich dafür ein Podest mit Rädern bauen. Christian Ulmann von der Schreinerei half mir dabei.»


Nicht für die Ewigkeit gemacht

Umgekehrt sei er selbst schon als Arbeitskraft eingesprungen, als ein Handwerker mit einem Auftrag in Verzug geraten war. Auch zum Weihnachtsapéro wurden die Atelier-MieterInnen eingeladen. Auch in der zweiten Etage des Gebäudes wird Kultur gemacht. Dort hat unter anderem der Zuger Musiker Weibello einen Arbeitsraum. «Dass sich die Nutzungen im ganzen Haus so gut ergänzen, ist ein Glück. Das ­hätte man so nicht planen können», ist Hofer sicher.

Die Glückseligkeit hat einen grossen Nachteil: Für die Ewigkeit ist sie nicht gemacht. Und so hat auch das heimliche Kulturhaus im Ibelweg 20 ein Ablaufdatum. Dieses ist aktuell auf Juli 2025 angesetzt. Das Gebäude soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden.

Traurig darüber, dass die Ateliergemeinschaft samt Hund und Dromedar mittelfristig ausziehen muss, ist man nicht. Sara Liz Marty sagt dazu: «2025 ist für mich noch weit weg. Bis dahin kann viel passieren. Zudem bin ich dank der Arbeit von Patrick und der PROK viel zuversichtlicher, dass in Zug weitere Atelierräume entstehen können, welche wir vielleicht sogar als Gemeinschaft beziehen könnten.»  (Autorin: Valeria Wieser)