Welches ist das Originalrezept der Zuger Kirschtorte?
Dies & Das
Erst kürzlich ist eine Abschrift des verschollenen Originalrezepts der Kirschtorte aufgetaucht. Darin gibt es markante Unterschiede zur heutigen Rezeptur. Auch das Tortendekor war früher anders.
Zug – Mit der Erfindung der Kirschtorte 1915 war der Entwicklungsprozess noch lange nicht abgeschlossen. Während des Ersten Weltkrieges tüftelte der ehrgeizige Erfinder Heiri Höhn nach eigenen Angaben zwischen Arbeit und Militärdienst am Kirschgebäck weiter, bis 1917 die bewährte Struktur der heutigen Kirschtorte vorlag. Die Torte bestand aus zwei Japonaisböden und einer dazwischen liegenden, kirschwassergetränkten Biskuitschicht. Das Biskuit mit den Japonaisböden war rundherum mit rosaroter Buttercreme bestrichen, um das Auslaufen des Kirschsirups zu verhindern. Die Seiten wurden mit Japonaiskrümeln und Mandelsplittern bedeckt. Laut Nacherzählung soll die Erfindungsphase der Kirschtorte noch bis 1921 gedauert haben.
Kein Mondgesicht
Gemäss einer überlieferten Dekorzeichnung von Heiri Höhn aus dem Jahr 1922 war die Tortenoberfläche anfänglich noch nicht mit weissem Puderschnee bedeckt, wies aber bereits das typische Rautenmuster auf, das allerdings sehr eng gezeichnet war. Das Rautenmuster wurde damals mit einem Drahtgeflecht in die Oberfläche eingedrückt. Höhn wollte mit dem Muster verhindern, dass die Torte wie ein «Mondgesicht» aussah. Erhalten geblieben aus dieser Zeit ist auch ein Gemälde des Unterägerer Illustrators Rudolf Müller, der die Zuger Kirschtorte mit einer anderen Struktur, nämlich mit zwei Biskuits und drei Japonaisböden darstellte. Ob das nur künstlerische Fantasie oder ein genaues Abbild der damaligen Kirschtorte war, ist unklar. Ebenso überliefert ist eine originale Verpackungsschachtel aus den 1920er-Jahren von relativ geringer Höhe, was auf einen eher niedrigen Tortenaufbau schliessen lässt.
Streng geheim
Jeder Kirschtortenproduzent im Kanton Zug schwört auf sein eigenes Geheimrezept, wonach er sein Kirschgebäck herstellt. Die individuellen Rezepturen werden streng gehütet und jeweils an die nächste Generation weitergereicht. Das Originalrezept von Heiri Höhn aus dem Jahr 1915 ist nicht handschriftlich überliefert, wohl aber eine Abschrift aus dem Jahr 2000 mit einem detaillierten Beschrieb der Tortenherstellung. Das mehrseitige Rezept stammt von Höhns Neffen Hans Höhn, der von 1933 bis 1941 bei seinem Onkel in Zug in der Backstube arbeitete. Dieses Rezept soll sehr nahe an das ursprüngliche Originalrezept herankommen. Bemerkenswert darin ist die Verwendung von Kokosfett, von roter Lebensmittelfarbe anstelle von Randensaft, von industriell gefertigtem «Dawa»- Vanillepulver aus der Packung sowie die Beigabe von «Maraschino»-Kirschlikör für den Kirschsirup. Das Kirschtortenrezept im 1933 erschienenen Kochbuch der Zuger Koch- und Haushaltungsschule «Salesianum» gilt heute als älteste publizierte Überlieferung.
Die Rezeptur der handgefertigten Zuger Kirschtorte hat sich seit ihrer Erfindung stetig verändert. Einerseits wurden Zutaten ersetzt, andererseits gab es auch Optimierungen in der Produktion. Die bedeutendste Veränderung betrifft die Menge des Kirschs. Zur Zeit Höhns verwendete man Alkohol in Torten eher als Aromastoff und nicht als wesentlichen Bestandteil einer Torte. Mit der Zeit stieg der Anteil des Kirschs kontinuierlich an, heute macht er einen wichtigen und typischen Teil der Torte aus.
Übrigens ...
Während der beiden Weltkriege, als die Lebensmittel rationiert waren, fehlten für die Herstellung der Zuger Kirschtorte gewisse Zutaten oder mussten durch qualitativ geringere ersetzt werden. Sogar die gebrauchten Kartonverpackungen mussten von den Kunden zusammen mit Lebensmittelmarken umständlich zurückgeschickt werden. Auch bei der verwendeten Kirschmenge gab es Schwankungen. Deshalb sprach man im Zusammenhang mit der Zuger Kirschtorte bald von sogenannten «Kriegstorten», die als minderwertig galten. Erst nach dem Krieg wurde die Kirschtorte in den vielen Zuschriften von zufriedenen Kunden endlich wieder als «Friedenstorte» bezeichnet. (Ueli Kleeb)
Lesen Sie im nächsten Serienteil, wie Kirschtortenerfinder Höhn in der Stadt Zug plötzlich Konkurrenz bekam und sich gegen Schwindler und Rezeptfälscher in der ganzen Schweiz wehren musste.Zusammen mit einem Team von Historikern hat der Zuger Ueli Kleeb die Kirschenkultur in der Region Zug-Rigi erforscht und seit 2007 ein umfangreiches Archiv angelegt. Ende Jahr erscheint das Buch dazu. Viele der erwähnten Exponate sind im Zuger Kirschtorten Museum bei Treichler ausgestellt.