Kirchenmobiliar findet eine neue Heimat

Brauchtum & Geschichte

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Die Hauskapelle der heutigen Klinik Zugersee ist ein Baujuwel in schönstem Neobarock. Nicht «neo», sondern rund 280 Jahre älter und kulturhistorisch kostbar ist das Herzstück der Kapellenausstattung.

  • Blick in die Kapelle des ehemaligen Franziskusheimes Oberwil mit einem Hochaltar aus dem 17. Jahrhundert. Bild: Matthias Jurt (27. 9. 2024)
    Blick in die Kapelle des ehemaligen Franziskusheimes Oberwil mit einem Hochaltar aus dem 17. Jahrhundert. Bild: Matthias Jurt (27. 9. 2024)

Oberwil b. Zug – Die Entstehung des «Sanatoriums Franziskusheim» in Oberwil – die heutige Klinik Zugersee – geht auf eine Initiative von Rufim Steimer (1866–1928) zurück. Der Kapuzinerpater schuf hier am Hang oberhalb des Zugersees einen Ort für die Unterbringung männlicher «Geistes- und Gemütskranker». 1923 übernahm die Kongregation der Barmherzigen Brüder von Maria-Hilf die Leitung der von den Zuger Architekten Dagobert Keiser und Richard Bracher erbauten Einrichtung und liess sie ab 1924 um einen Gebäudetrakt nach Norden erweitern.

Dieser Anbau umfasste neben einer bedeutenden Anzahl zusätzlicher Betten eine neue, viel grössere Anstaltskapelle. Sie nimmt die obersten zwei Geschosse und Teile des Dachraums ein und ist – vom See her betrachtet – erkennbar am Dachreiter mit Zwiebelhaube, am Kreuz im Giebel und am stadtseitig halbrund hervortretenden Chorraum.

Die tonnengewölbte Kapelle mit eingezogenem Chor und rückwärtiger Empore ist ein repräsentatives Beispiel des Neobarock aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. An der Gestaltung der Kapelle wurde nicht gespart: Der gesamte Raum ist mit zartem Rokoko-Stuckwerk überzogen und durch Gesims sowie kräftige Pilaster mit ausgeprägten Vo­lutenkapitellen gegliedert. Durch die siebzehn Fensternischen – bis auf die mittlere Chorachse je zwei übereinander angeordnet – ist die Kapelle sprichwörtlich lichtdurchflutet und scheint sich in ihrem Gesamtkonzept die Pfarrkirche St. Jakob in Cham zum Vorbild genommen zu haben.

Passende «Secondhand»-Objekte

Besonders interessant innerhalb der Baugeschichte war die Planung der beweglichen Ausstattung der Franziskusheim-Kapelle. Denn weder der Hauptaltar noch die ursprüngliche Orgel wurden ganz neu geschaffen, sondern waren respektive sind «rezyklierte» Objekte. Die Orgel, deren neobarockes Gehäuse nahezu den gesamten Emporenraum einnahm, stammte aus der reformierten Kirche von Sainte-Blaise bei Neuenburg. Sie war dort 1889 eingebaut, später ersetzt worden und somit verfügbar. 1947 erhielt die Kapelle in Oberwil eine neue Orgel unter Verwendung des vorigen, in seiner Grösse jedoch reduzierten Gehäuses.

Dem Retabel des Hochaltars, der sich stilistisch passend in den Raum einfügt, kommt besondere Beachtung zu. Das Retabel ist jedoch rund 280 Jahre älter als die Kapelle, war ebenfalls als «Occasion» erhältlich und hatte bereits seit 1909 in der vorherigen Hauskapelle des Sanatoriums gestanden, wie eine historische Fotoaufnahme belegt. Der ursprüngliche Standort des Altarretabels war das ehemalige Kapuzinerkloster in Baden. Wie kam’s zu dieser Relokation?

Kirche abgerissen, Altar erhalten

Nachdem die mehrheitlich reformiert orientierte Aargauer Regierung 1835 die Klöster im Kanton unter staatliche Verwaltung gestellt und 1841 schliesslich für deren Aufhebung ab­gestimmt hatte, mussten sämtliche Konvente ihren Betrieb einstellen, so auch die Kapu­ziner in Baden. Ihr Kloster ging in den Besitz der Bürgergemeinde über, diente bis 1855 als Knabenschule und wurde 1856 abgerissen – bis auf die Klosterkirche. Diese wurde vorläufig als Schulkapelle für das anstel­le des ehemaligen Konventge­bäudes neu erbaute Schulhaus (heute Bezirksgebäude) genutzt.

1877 fiel schliesslich auch die alte Klosterkirche der Spitzhacke zum Opfer, nachdem man die Einrichtung entfernt und so glücklicherweise gerettet hatte. So ergab sich knapp dreissig Jahre später die Gelegenheit, das wohl zwischen 1640 und 1650 entstandene Altarretabel mit manieristischen Formen aus Baden in die erste Franziskusheim-Kapelle in Oberwil bei Zug zu übernehmen.

Die oben erwähnte historische Aufnahme des Retabels lässt anhand des Vergleiches mit der heutigen Situation darauf schliessen, dass im Zuge der Neuplatzierung in der grösseren Hauskapelle eine stilistisch passende Predella – die Sockelzone über dem Altartisch, die das Retabel trägt – angefertigt worden ist, ebenso ein Altarunterbau. Die Ergänzungen und die Neufassung des Hochaltars dürften vom Luzerner Altarbauer Josef Eigenmann vorgenommen worden sein, wie der Kunsthistoriker Linus Birchler (1892–1967) anführt.

Bemerkenswert und stilprägend sind die gewundenen Säulen im Haupt- und Giebelgeschoss des Retabels. In der Giebelnische steht eine Figur der Anna Selbdritt. Sie wird flankiert von Dominikus und Klara. Bei den beiden grossen Figuren handelt es sich um Josef und Fidelis von Sigmaringen. Die Kartusche über der Anna-Figur zeigt heute das Ordenswappen der Barmherzigen Brüder von Maria-Hilf, zuvor war hier ein Stifterwappen zu sehen – gemäss Linus Birchler dasjenige der Schnorf von Baden.

In den etwas spärlich verfügbaren Dokumenten zur Baugeschichte der neuen Hauskapelle wird nichts zu den beiden Seitenaltären erwähnt. Vermutlich sind sie – möglicherweise ebenfalls von Eigenmann – optisch passend zum barocken Hauptretabel für die neue Kapelle angefertigt worden. Ihre Gemälde stammen aus den 1980er-Jahren. (Text von Andreas Faessler)

 

Hinweis

In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.