Geschichten programmieren

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In der Bibliothek Zug üben sich Kinder im Programmieren. Wie das genau läuft und weshalb sich die meisten etwas Falsches darunter vorstellen, weiss Joël Iselin.

  • Hier wird gerade programmiert. (Bild: zVg)
    Hier wird gerade programmiert. (Bild: zVg)

Zug – Dieser Artikel erschien in der Januar/Februar-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Programmieren. Coding. Wer bei diesen Worten als Erstes an den Film «Matrix» mit Keanu Reeves und dem auf Bildschirmen herabrieselnden neongrünen Code-Regen denkt, hat ähnlich viel Ahnung wie die Autorin dieses Artikels. Denn mit diesen klischierten Vorstellungen ist man weit entfernt von der Realität. Und noch viel weiter entfernt vom Angebot «Coding for Kids», das in der Bibliothek Zug in einer Reihe von Veranstaltungen zu neuen Medien angeboten wird. Joël Iselin aus Baar gehört zu diesen sogenannten Programmierern, und er ist die Person, die mit den Kindern – und auch gerne mal mit Erwachsenen – digitale Möglichkeiten erforscht. Dass er heute all diese Workshops leitet und mit 70 Prozent bei der Bibliothek Zug als Mitarbeiter in der Medienpädagogik angestellt ist, das hätte er jedoch noch vor drei Jahren niemals gedacht.

Eine unverhoffte Anfrage 
Iselin war damals aktiv im FabLab Zug dabei, dem digitalen Innovationslabor. Er arbeitete als Solution-Architekt bei der Planung von Software-Zusammenführungen. Da erreichte ihn eine Sprachnachricht von einer unbekannten Nummer: «Eine fremde Kinderstimme bat mich darin, ob ich ihm zeigen könne, wie man einen Roboterarm baut», erzählt Iselin. Er sei erst mal irritiert gewesen, dann aber doch neugierig. Er meldete sich zurück und erfuhr, dass der achtjährige Junge seine Nummer durch die Eltern aufgetrieben hatte, die im FabLab ein Projekt von Iselin gesehen hatten. Er willigte ein, sich anzuhören, was der Junge plante. «Und beim ersten Treffen war ich völlig geflasht. Ich hatte das Gefühl, ein künftiges Genie vor mir sitzen zu haben, der mal grosse Dinge entwickeln würde», sagt Iselin. Da der Junge seit Geburt mit einem nicht vollständig entwickelten Arm lebt, wollte er sich einen Roboterarm bauen – zum Klettern, Schwimmen und um Liegestütze zu machen. 
Die beiden verabredeten sich, künftig an Samstagen an dieser Idee zu arbeiten. Sie planten und tüftelten – und bald schon riefen weitere Eltern an: Ob ihre Kinder denn auch kommen dürften, sie hätten ebenfalls Ideen. «So hatte ich nach zwei Monaten bereits acht Kinder, die am Samstag zum Workshop kamen», erzählt Iselin. Und mit der Zahl der Kinder wuchs auch die Vorbereitungszeit. Iselin gründete die «Tech- Academy», und was als bilaterales Treffen begann, wurde immer professioneller.

Ein Ort der Bildung 
Die Bibliotheksworkshops «Coding for Kids» existierten damals bereits, und als die Verantwortlichen über Iselins Angebot stolperten, boten sie ihm an, mit einzusteigen. Die beiden Angebote verschmolzen, wuchsen, und schliesslich bewarb sich Iselin auf die dazugehörige Stelle bei der Bibliothek. Deren Leiterin Jasmin Leuze sieht die Workshops als grossen Gewinn im Angebot der Bibliothek. «Sie sind lustvoll und niederschwellig, innovativ und spielerisch. Und sie sind sehr gefragt.» Der Bedarf sei gross, und kaum hätten sie den Newsletter versandt, seien die Kurse auch schon fast ausgebucht. Workshops mit digitalen Themen wollen sie deshalb in der Zukunft weiterausbauen. 3D- Drucken, Plotten, Künstliche Intelligenz. Es gehe ihnen bei den Angeboten um Medienkompetenz. Darum, der Bevölkerung neue Medien zugänglich zu machen und sie im Umgang damit zu schulen, erklärt Leuze: «Denn das Lernen hört niemals auf, genauso wenig wie der technologische Fortschritt. Wir reagieren deshalb mit diesen Angeboten auf gesellschaftliche Herausforderungen und unterstützen die Menschen dabei, sich Wissen lustvoll anzueignen.» Die Bibliothek sei der Ort, an dem dies ermöglicht wird. «Wir wollen, dass die Menschen aus Zug, egal welchen Alters, Geschlechts und welchem kulturellen Background, bei uns alles für ihre persönliche Weiterentwicklung finden, ob Information, Wissen oder Unterhaltung.» Denn etwas nur zu zeigen, nur zu erzählen in einem Vortrag, funktioniere bei vielen Themen nicht. «Es braucht auch Orte wie die DigiWerkstatt, wo Ausprobieren und gemeinsames Tüfteln möglich ist, damit die Leute auch wirklich einen Zugang finden», sagt Leuze. Deshalb werden in der Bibliothek nicht nur Workshops angeboten zu den «neuen» Medien, sondern in der Bibliothek der Dinge auch Games oder VR-Brillen zur Ausleihe. 
Dass die Jungen den Älteren gegenüber in digitalen Themen oft einen Vorteil haben, sei verständlich, betont Joël Iselin: «Deshalb sind Bildungsangebote dazu auch im ausserschulischen Kontext so wichtig, damit in unserer Gesellschaft keine digitale Kluft entsteht.»

Eine ganz analoge Ebene 
Es sei auch ein absolutes Missverständnis, dass Menschen beim Programmieren Code um Code in den Computer hacken würden, erklärt Iselin. Es gehe vielmehr darum, Probleme zu lösen. Meist habe man die einzelnen Codes oder Befehle bereits – dann gehe es lediglich darum, diese in der richtigen Reihenfolge zu verketten. Und dann natürlich darum, Probleme zu lösen, für die noch kein Code existiere. «Da arbeitet dann jemand vielleicht einen ganzen Tag an 20 Zeilen Code», so Iselin. Und was sich nach extrem wenig anhört, ist eben genau das Produzieren neuer Lösungen, das sehr komplex ist. In den Workshops der Bibliothek jedoch geht es darum, Lösungen mit bestehenden Codes zu erarbeiten. «Die Kinder sollen eine Abfolge von Tätigkeiten konkret durchdenken und dann die einzelnen Schritte aneinanderhängen. Das fördert die Kreativität und das logische Denken der Kinder», erklärt Iselin. 
Beispielsweise mit Lego-Technik: Erst wird ein Velo gebaut, dann der Motor angeschlossen. Nun muss auf dem iPad programmiert werden, wann es starten, wie es fahren soll, indem man die Code-Blöcke aneinanderfügt. Oder beim «Schiffliversenken» mit Roboterarm lautet das Programm dann vielleicht: Fahre auf Position 2/3, setze die Höhe des Roboters auf 1, Roboter greift, setze die Höhe des Roboters auf 2, fahre auf Position 4/5.Für die Kinder sehe er den wichtigsten Punkt darin, dass sie etwas von A bis Z durchdenken müssen, so Iselin: «Es geht eigentlich darum, einen Ablauf in seinen Einzelheiten zu verstehen und dann dranzubleiben, bis es funktioniert.» Er habe früher nie darüber nachgedacht, mit Kindern zu arbeiten, sagt Joël Iselin: «Aber es gefällt mir sehr, und ich merke, wie ich dabei aufblühe, mein Wissen und meine Begeisterung an so neugierige Menschen weiterzugeben.» Es mache zudem Spass, mit den Kindern Geschichten zu programmieren, die sie sich selbst ausdenken oder die sie aus Büchern kennen. 
Ein Punkt, der auch Jasmin Leuze wichtig ist und mit dem wir den Bogen zu den vollen Regalen in der Bibliothek schlagen: «Das, was Bücher gut können, Geschichten erzählen und Wissen weitergeben, können wir nun durch Vermittlungsangebote und Workshops neu aufbereiten und damit oft auch zugänglicher machen.» 

 

Text: Jana Avanzini