Moderne «Renaissance»

Dies & Das

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Der Zeitschriftenraum ist neben den Aussenmauern der einzige historische Bestandteil der Zuger Bibliothek. Wer sich hier hinsetzt, um zu lesen, sollte zuerst mal aufmerksam nach oben schauen.

  • Die grossflächige Gewölbemalerei von Andreas Walser überspannt den ehemaligen Fruchtspeicher des einstigen Kornhauses. (Bild Stefan Kaiser)
    Die grossflächige Gewölbemalerei von Andreas Walser überspannt den ehemaligen Fruchtspeicher des einstigen Kornhauses. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Wo vor fast 500 Jahren Früchte gelagert wurden, wird heute angeregt, doch in stiller Umgebung, gelesen. Der Zeitschriftenraum der Stadt- und Kantonsbibliothek Zug liegt im ältesten Teil des Gebäudekomplexes, erbaut um 1530 als sogenanntes Kornhaus. Der hohe Raum wird von einem leicht spitz zulaufenden Tonnengewölbe überspannt, erkennbar an der «Naht» in der Mitte. Diese beeindruckende Raumhöhe war nicht von Anfang an gegeben. Erst durch das Absenken des Erdgeschosses für den Bibliotheksbetrieb in den 80er-Jahren entstanden die heutigen Proportionen.

1987 erhielt der Zuger Restaurator Andreas Walser den Auftrag, das weisse Gewölbe künstlerisch zu gestalten. Mit Dispersionsfarbe schuf er ein modernes Deckengemälde, das mit seinen Formen jedoch die floralen Ornamente aufgreift, die im frühen 16. Jahrhundert - es war die Hochblüte der Cinquecento-Renaissance - sehr verbreitet waren. Anschauliche Exemplare jener Epoche finden sich zum Vergleich beispielsweise im Schloss zu Merseburg. In der späteren Zeit wie dem Barock oder noch mehr dem Rokoko hatten solche Deckengemälde per se den Zweck, einen Raum himmelwärts optisch zu öffnen. Die Starrheit der gemauerten Decke wird somit für das Auge inexistent und gibt den Blick nach oben zur Gänze frei.

Das Werk Andreas Walsers weicht von diesem Konzept ab. Zwar mimt der flächendeckende weiss-blaue Grund einen freien Himmel mit zarten Schleierwolken, doch durch seine klare und architektonisch bedingte Begrenzung entsteht eher der Eindruck eines raumüberspannenden Tuches mit Eckornamenten und einem grossen zentralen Hauptelement. Somit wird der hohe Raum eher durch diese recht grossflächige Komposition überdacht anstatt geöffnet. Das macht den Raum auf ganz eigene Weise behaglicher. Wie ein grosser Teppich wirkt es, der für einmal nicht auf dem Boden liegt, sondern am Plafond fixiert ist. Die Farbwahl ist leuchtend und kräftig, aber alles andere als aufdringlich. Der Raum wird dadurch auf eine Weise geschmückt, dass der Eintretende nicht sofort seinen Blick, angeregt durch die Farbe, nach oben richtet. Somit ist es gar nicht mehr verwunderlich, wenn man Leute, die immer mal wieder die Bibliothek Zug besuchen, nach dem Gemälde fragt und diese sich gar nicht so konkret an die Malerei erinnern.

Der Künstler hat sich bei den Formen an floralen Mustern orientiert und hält doch gleichzeitig an abstrakter Bildsprache fest. Da und dort schimmert ansatzmässig eine Rocaille durch. Beschwingt und lebendig wirkt die Komposition, ohne dabei auf klar begrenzte und gradlinige Details zu verzichten. Das zentrale Gebilde, das sich die erwähnte mittige «Naht» auf den ersten Blick als Spiegelachse zu Nutze zu machen scheint, dominiert die gesamte Fläche. Es erinnert an eine barocke Wappenkartusche, bleibt aber für den Betrachter ein reines Ornament.

Einen edlen Akzent erhält die Deckenmalerei durch die vergoldeten Flächen. Sie sind das Werk von Andreas Walsers Geschäftspartnerin Katrin Durheim, ihres Zeichens ebenfalls Restauratorin. Sie hat dafür Blattgold von fast 24 Karat verwendet. Wer sich demnächst in den Zeitschriftenraum der Bibliothek setzt und nach einem Heft greift, der sei angehalten, vor dem Aufschlagen seinen Blick an die Decke zu erheben und das eindruckvolle zeitgenössische Plafondgemälde für einen Moment auf sich wirken zu lassen. (Andreas Faessler)

HINWEIS
Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.