Zuger Schulklasse begeistert
Theater & Tanz
Judith Spörri setzt sich als Primarlehrerin und Theaterpädagogin seit Jahren für das Kindertheater ein. Ihre jüngste Inszenierung mit der Klasse 4b des Schulhauses Herti beweist die Qualität ihrer Arbeit.
Zug – Im Garderobenraum der Gewürzmühle in Zug stehen 19 zehnjährige Mädchen und Buben im Kreis. Sie sind bereits geschminkt und kostümiert: hier rotgelockte Perücken und Stöckelschuhe, schwarze Schnäuze und Brillen, dort blaue Overalls und weisse Masken. Die Kinder sind hochkonzentriert, im Banne ihrer Lehrerin Judith Spörri, die sie mit leiser Stimme durch Einwärm- und Stimmübungen führt: «Langsam sprechen, aber nicht zu langsam», spricht sie ihnen vor, und die ganze Klasse wiederholt den Satz.
Die zweite Aufführung von «Konrad aus der Konservenbüchse» steht ihnen bevor. Spörri lobt ihre Schauspielleistungen bei der Premiere und ermuntert sie, auch jetzt alles zu geben. Dann wird es still, die Kinder scheinen in sich gekehrt und gleichzeitig aufmerksam gespannt.
Kinder aus der Retorte
Im Saal der Gewürzmühle ist die Podestbühne zweigeteilt: Das bunte Bühnenbild repräsentiert mit Sesseln, Tischchen, Kissen, Paravents, Körben und Lampen zwei Wohnungen. Rechts wohnt die alleinstehende, exzentrische Frau Bartolotti – wie die Zuschauer bald erfahren –, links der beflissene Apotheker Herr Egon, der ihr den Hof macht. Zwei Postboten tauchen auf, eine Glocke erklingt aus dem Off, Frau Bartolotti erscheint schlaftrunken und im Pyjama an der Tür und nimmt ein riesiges Fass entgegen, das, so der Begleitbrief, «Nachwuchs auf Bestellung direkt aus der Fabrik» liefert.
Ein kleiner, zitternder Junge entsteigt dem Fass und wird, nach einigem Drama, bald zum Ziehsohn von Bartolotti und Egon. Er ist hochintelligent und überspringt gleich die 1. und die 2. Klasse, aber sozial findet er kaum Kontakt, wird gemobbt. Später nimmt das Schicksal seinen Lauf, als herauskommt, dass eigentlich ein anderes Paar ihn bestellt hat. Aber inzwischen haben sich alle Beteiligten verändert, sodass die Geschichte vom Maschinenkind ein menschliches Happy End findet.
«Konrad aus der Konservenbüchse» ist ursprünglich ein Kinderbuch von Christine Nöstlinger – mit einem immer noch topaktuellen Thema. Judith Spörri verfasste mit diesem Material 2014 ein Stück. Im Rahmen der zweijährigen Weiterbildung CAS Theaterpädagogik bei Annette Windlin an der Pädagogischen Hochschule Goldau (PH) stellte dieses ihre schriftliche Abschlussarbeit dar. Weil damals gerade 20 Jahre Tagesschule Zug gefeiert wurden, bekam sie auch gleich die Gelegenheit, mit ihrer Klasse das Stück auf der Bühne der PH uraufzuführen. In der Gewürzmühle inszeniert sie es nun zum zweiten Mal – mit nur sechs Wochen Probezeit.
Ungewöhnliches Schülertheater
Anfang März stieg die Klasse 4b des Schulhauses Herti mit einer Intensivwoche in das Projekt ein. Judith Spörri leitete zusammen mit ihrem Vater Franz Spörri die Theaterarbeit, ihr Stellenpartner Ivo Achermann verantwortete am Ende Ton- und Lichttechnik. Improvisationsspiele, Sprach- und Vertrauensübungen, Auseinandersetzung mit Rollen führten die Zehnjährigen in etwas ein, das sie noch nie erlebt hatten: Auf einer Bühne auftreten, sich in ein fremdes Leben einfühlen, mutig und laut sprechen, Texte, Auftritte und Abgänge memorieren.
«Ich habe den Eltern vorgängig die Lernziele aufgelistet, die ihre Kinder im Theaterspiel erreichen; am Ende eines A4-Blattes habe ich aufgehört mit Schreiben», erzählt Spörri begeistert. Zum einen sind dies Gruppenqualitäten wie Teamwork und Kooperation, Durchhaltewillen und Geduld mit langen Prozessen. Zum anderen wird die Persönlichkeit des Kindes geschult wie sonst in keinem anderen Fach: mit Auftrittskompetenz, physischer Präsenz, deutlicher Artikulation, Stimm- und Gefühlsausdruck.
Spörri ist eine Theaterpädagogin, die viel verlangt und viel erreicht. Auf der Bühne in der Gewürzmühle wird sichtbar, was ihre Arbeit bewirkt: Die Qualität der Schüleraufführung ist selten hoch. Anhaltende Freude und Begeisterung schwappen über die Rampe und erfassen das junge und ältere Publikum – und auch alle anwesenden Honoratioren der Stadt – auf eine ganz besondere Art und Weise. Dies drückt sich darin aus, dass der Tenor im Publikum lautet: «Das ist ja fast professionell.» (Text: Dorotea Bitterli)