Unverhoffter Rollenwechsel
Dies & Das, Theater & Tanz
Mirja Jaquiéry steht bald auch in Zug als kleine Hexe auf der Bühne. Eine Rolle, die für sie den Beginn einer neuen Karriere einläutet.
Zug – Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Es ist stockdunkel auf der Bühne und auch im Zuschauersaal, haufenweise Kinderstimmen schwatzen durcheinander, doch bald sind die ersten «Psssst» zu hören. Dann gehen die Schweinwerfer an, Klaviermusik ertönt und eine kleine Hexe tanzt über die Bühne. Sie dreht sich wild im Kreis, hüpft, lacht und freut sich auf die Walpurgisnacht.
Es ist Mirja Jaquiéry, die hier als kleine Hexe, als Hauptfigur von Ottfried Preusslers Kinderbuchklassiker, auf der Bühne steht. Auf keinen Fall zum ersten Mal steht Jaquiéry auf den «Brettern, die die Welt bedeuten», aber tatsächlich zum ersten Mal in ihrem Leben als professionelle Schauspielerin. Vor zwei Jahren schlug die 36‑Jährige diesen neuen Weg ein. «Ich dachte eigentlich, dass dieser Zug abgefahren wäre, da ich nicht gleich nach der Matura auf die Schauspielerei gesetzt hatte», sagt sie. Doch dem war nicht so.
Raus aus dem Publikum
Schon als Kind wusste Mirja Jaquiéry, dass sie auf die Bühne wollte. Doch nicht etwa, weil sie mit der Familie besonders viel Theatervorstellungen besuchte. «Das Bedürfnis, Theater zu spielen, kam ganz aus mir heraus.» So spielte Jaquiéry bald im Kinder‑ und Jugendtheater mit und fühlte sich dort so richtig wohl. «Angesehen habe ich mir tatsächlich damals und auch bis vor ein paar Jahren sehr wenig Theater. Der Grund war, dass ich dabei immer etwas neidisch wurde. Ich wollte doch eigentlich selbst auf der Bühne stehen», sagt sie und lacht. Heute aber schaue sie sich Theater gerne an. Jetzt, da sie selbst auf der Bühne steht. Den Bühnen, genauer gesagt. Denn «Die kleine Hexe», eine Produktion der Balzer Event GmbH, tourt seit Ende Oktober durch die Schweiz und wird das noch weitere sechs Monate tun. Über 50 Vorstellungen an über 30 verschiedenen Orten sind schon gebucht. Weitere kommen dazu, immer mehr Vorstellungen sind ausverkauft. Jaquiéry hat ihre Schauspielausbildung noch nicht beendet, auch das Casting für die laufende Produktion «Die kleine Hexe» besuchte sie ohne sich grosse Hoffnung auf eine Rolle zu machen, erzählt sie: «Es heisst in der Ausbildung, man solle sich einfach möglichst oft bewerben, möglichst viele Castings besuchen, auch wenn die Chance sehr gering sei, dass man überhaupt eine Rolle bekomme. Einfach zur Übung.» Mirja Jaquiéry hatte also noch gar nicht abgeklärt, ob und wie eine solche Rolle mit ihrem Alltag, der Ausbildung und der Familie vereinbar sein würde, sollte sie sie denn wirklich bekommen. Und das tat sie.
Rein in neue Projekte
Mirja Jaquiéry studierte an der Pädagogischen Hochschule in Zug und arbeitete anschliessend sechs Jahre als Primarschullehrerin in Luzern. Sie lernte ihren Mann kennen, der heute ebenfalls als Primarschullehrer arbeitet, wurde schwanger und bekam in den folgenden fünf Jahren drei Töchter. Zu Beginn arbeitete sie noch in einem kleinen Pensum, dann blieb sie erst mal Vollzeit bei ihren Kindern. Doch ohne ein neues Projekt ging es für Jaquiéry auch mit drei kleinen Kindern nicht. «Ich brauche immer mal wieder neue Herausforderungen, neue Projekte», sagt sie. Also eröffnete sie gemeinsam mit ihrer Cousine in Cham das Kindercafé Spatzentreff, das sie jedoch nach ein paar Jahren, in der zweiten Welle der Coronapandemie, wieder aufgab. «Dass das Theater mit fehlte, wusste ich aber schon vorher», sagt Jaquiéry. Sie hatte 2015 beim «Luftschiff» der Luzerner Freilichtspiele noch einmal Theater gespielt und suchte auch jetzt wieder den Weg zur Schauspielerei. Bei einem Kurs der ZuSpi-Akademie wurde sie vom Leiter, Thomas Kühl, auf die Schauspielschule SAMTS aufmerksam gemacht, die Studierende auch jenseits von Anfang zwanzig aufnimmt. Sie sei extrem glücklich darüber, sich nun doch noch für diesen Weg entschieden zu haben. Denn wieder Theater spielen, das hätte sie sowieso tun wollen. «Nun, da es mein Job ist und ich damit Geld verdiene, kann ich für mich die Zeit, die ich investiere, die Abende, die ich weg bin, im Gegensatz zu einem Hobby viel besser organisieren und auch rechtfertigen», sagt sie, im Wissen, dass es eigentlich nichts zu rechtfertigen gibt. Oft werde sie gefragt, wie das gehen solle mit drei Kindern, diese neue Karriere. «Denn normalerweise kommt erst die Karriere und dann die Familie. Für mich aber ist es umgekehrt perfekt: Ich muss mir nicht überlegen, ob ich vielleicht irgendwann noch Familie haben möchte, wann und wie – ich kann jetzt so viel in die Schauspielerei investieren, wie es für uns als Familie möglich ist, und das wird auch immer einfacher.» Ihr Mann, ihre beste Freundin, ihr ganzes Umfeld hätten sie für den neuen Weg motiviert. «Obwohl motiviert das falsche Wort ist. Motiviert war ich definitiv schon selbst», sagt Jaquiéry. «Aber sie unterstützen mich alle sehr.» Ihre Töchter fänden den neuen Beruf ihrer Mutter toll, hälfen ihr gerne auch mal beim Text-Üben und oft höre sie nun auch Sätze aus der «Kleinen Hexe» aus dem Kinderzimmer, wenn die drei ins Spiel vertieft seien. «Meine Älteste hat mir auch einige Male ganz klar beim Üben mitgeteilt: ‹Mama, so kannst du das oder das nicht betonen, das ist mega peinlich.›» Hilfreiche Inputs definitiv, wenn man danach auf der Bühne vor einem Haufen Kinder in ebendiesem Alter steht. Als kleine Hexe werden sie auch schon bald einige Kinder sehen, die sie sonst noch in ihrer Lehrerinnen-Rolle erleben. In einem 20-Prozent-Pensum unterrichtet Jaquiéry nämlich zusätzlich im Schulhaus Kirchmatt – neben der Ausbildung, der Schauspielerei und der Familie.
Zwischen den Welten
«Die kleine Hexe und ich passen wirklich richtig gut zusammen», sagt Jaquiéry. Sie erkenne sich in der Begeisterungsfähigkeit, der Neugier oder auch der Ungeduld der Kinderbuch-Figur. Bald auch etwas weniger «Härziges» zu spielen, etwas Abstrakteres, eine Antiheldin vielleicht, darauf freue sie sich trotzdem. Auch wenn ihr das Kinder-Musical sehr zusage. Sie sei sowieso sehr musikalisch aufgewachsen in Menzingen, mit ihren beiden jüngeren Geschwistern, dem Vater, der als Lehrer arbeitete, und der Mutter als Musiklehrerin. «Gesungen wurde bei uns immer. Und wird es auch jetzt bei uns zu Hause», sagt sie. Gerade auch im Advent – da wird jeden Sonntag eine Kerze angezündet und als Familie gemeinsam gesungen. Sie liebe Rituale allgemein und damit auch Weihnachten sehr, sagt Jaquiéry und fügt schmunzelnd hinzu: «Auch wenn ich für mich und meine Umgebung in dieser Zeit vor lauter Harmoniebedürfnis manchmal auch etwas anstrengend sein kann.» Neben ihren Rollen als Mami und als Lehrerin sei sie nun sehr froh um all die anderen Rollen, in die sie künftig wieder schlüpfen kann und mit denen sie auch immer mal wieder ausbrechen kann aus dieser begleitenden Funktion, die sie so oft in ihrem Leben einnahm und einnimmt. Dass ihre erste Rolle in einer magischen Welt spielt, freut Jaquiéry besonders, da sie durch eine ebensolche Welt als Kind inspiriert wurde, Schauspielerin werden zu wollen.
Es war in den Ferien bei ihrer Nonna in Airolo, als ihre Mutter ihr das erste Mal aus «Harry Potter» vorlas. Von den ersten Seiten an war sie vollkommen hingerissen. Als dann der erste Film mit Daniel Radcliffe rauskam, der am selben Tag Geburtstag feiert wie sie, war das für die junge Mirja ohne Frage ein Zeichen des Schicksals. Sie schlüpfte mit den Büchern und Filmen aus ihrer alltäglichen in eine magische Welt, raus aus dem anstrengenden, jugendlichen Muggel-Leben rein in die Rolle einer jungen Hexe.
Text: Jana Avanzini