Kleines Haus – grosse Schritte
Dies & Das
Barrierefreiheit hat in Kulturhäusern oft keinen einfachen Stand. Doch es geht auch anders, wie das Kleintheater Luzern zeigt. Vorne mit dabei: zwei Zuger*innen.
Zug – Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Die Planung eines Theaterbesuchs läuft bei der Mehrheit der Menschen so ab: Stück aussuchen, Termine checken, Tickets buchen und los.
Für Menschen, die etwa im Rollstuhl sitzen, ist die Sache deutlich komplizierter. Ist der Zugang zum Theatersaal für Rollstuhlgänger*innen zugänglich? Wie sehen die Toiletten aus? Gibt es Behinderten-WCs, und wie gross sind diese? Ist die Eingangstür automatisch? Muss man Stufen überwinden, um etwa seine Jacke abgeben zu können? Wie hoch ist der Garderobe-Tresen? Brauche ich eine Begleitperson, um alle Hindernisse zu überwinden? Ganz andere Fragen wiederum müssen sich gehörlose oder sehbehinderte Menschen stellen, bevor sie einen kulturellen Anlass besuchen.
Praktische Architektur
Noch sind längst nicht alle Kulturbetriebe in Zug durchgehend barrierefrei. Dies ist nicht zuletzt ihrer Architektur geschuldet, die meist aus einer Zeit stammt, in der Barrierefreiheit kaum diskutiert wurde. Als Zuger*in kommt einem unwillkürlich das Theater Casino Zug in den Sinn, in dem es vor Treppen nur so wimmelt.
Auf der Website finden sich deshalb mittlerweile ausführliche Angaben über die Barrierefreiheit vor Ort. Via Link gelangt man zudem auf die Plattform «ginto». Auf der Seite, die von Pro Infirmis initiiert wurde, werden sehr präzise Zugänglichkeitsinformationen sichtbar. So etwa auch, wie breit der Korridor beim Lift ist, oder aber auf welcher Höhe der Kundenschalter liegt. Das Theater im Burgbachkeller – es befindet sich in einem 500-jährigen Haus – informiert auf seiner Website ebenfalls über den Stand der Barrierefreiheit vor Ort. Die Kurzfassung: Rampen stehen zur Verfügung, ein rollstuhlgängiges WC hingegen nicht.
Auch die Architektur im Kleintheater Luzern ist in Sachen Barrierefreiheit nicht die beste. Oder wie es Fabienne Mathis formuliert: «Unser Haus ist sogar für Fussgänger*innen eine Herausforderung.» Die gebürtige Baarerin ist Co-Leiterin des Theaters, das sich seit 2019 intensiv mit dem Thema Inklusion befasst. Dies unterstützt durch einen Beirat, in dem Menschen im Rollstuhl, Hör- sowie Sehbehinderte vertreten sind.
Mehr Inklusion, weniger Umsatz
Seit der Spielzeit 23/24 ist Jahn Graf als Inklusionsberater beim Kleintheater Luzern angestellt. Der Chamer sitzt selbst im Rollstuhl und bezeichnet sich als Inklusions-Aktivisten. «Anstrengend, aber auch cool» sei die Arbeit beim Kleintheater Luzern für ihn. Ausserdem sehr lehrreich: «Ich kenne den Betrieb schon länger, da ich seit 2019 in dessen Beirat sitze. Darum wusste ich sehr genau, welche Schraube man wo im Haus drehen musste, und ging mit einem enormen Willen, oder eher einem Überwillen an die Thematik heran.» Denn: «Nur weil ich Sachen fordere, sind diese in der Realität nicht unbedingt schnell umsetzbar. Gewisse Abläufe sind seit 60 Jahren die gleichen. Wenn ich nun Forderungen stelle, kann das ein langjähriges Konstrukt ganz schön ins Wanken bringen.» Um eine Veränderung zu erreichen, müsse das ganze Team davon überzeugt sein.
Nicht zu unterschätzen seien dabei auch die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen, ergänzt Mathis: «Zwei Rollstühle benötigen den Platz, den wir sonst für acht Sitzplätze brauchen. Wir sind es gewohnt, ein volles Haus zu haben. Dem Team zu erklären, warum sich das trotzdem lohnt, war nicht einfach und hat verständlicher- weise Ängste geschürt.»
Die Frage der Nachfrage
Für Jahn Graf waren solche Diskussionen zuweilen anspruchsvoll. «Ich stand in einem dauernden Rollenkonflikt. Zum einen bin ich eine betroffene Person, zum anderen bin ich ein Mitarbeiter des Kleintheaters, der die betrieblichen Entscheidungen mittragen muss.» Er ergänzt: «Doch diese Diskussionen haben meinen Aktivismus letztlich gefestigt. Ich fordere auch nicht mehr blauäugig Inklusionsmassnahmen. Ich weiss jetzt, dass das ein Minusgeschäft ist.» Das mache er auch seiner Community klar. «Ich sage dort, dass sie die inklusiven Angebote zwar nicht nützen müssen, dass dann jedoch Konsequenzen drohen.» Mathis sagt: «Das trifft nicht nur auf das Thema Behinderung zu, sondern auf alle Angebote. Ist das Interesse an einer neuen Jazz-Reihe nur klein, wird sie aus dem Programm genommen.»
Anspruchsvoll ist das Thema Inklusion insbesondere deshalb, weil Hör- und Sehbehinderte sowie mobilitätseingeschränkte Menschen sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Auch funktioniere nicht jede Kleinkunstform in inklusiven Angeboten für alle Menschen mit Beeinträchtigung gleich gut. Die Co-Theaterleiterin sagt: «Stand-up-Comedy lebt sehr stark von Wortspielen. Wird ein Auftritt mittels Gebärden übersetzt, geht durch die Übersetzung oft der Witz verloren. Wir haben ein Stand-up-Programm einst simultan übersetzen lassen. Das hat überhaupt nicht funktioniert.»
Das Vertrauen zurückgewinnen
Aktuell gibt es jährlich vier bis fünf Veranstaltungen mit Gebärdenübersetzung. Weiter bietet das Kleintheater Luzern etwa Theaterstücke an, an denen die Bühne vorgängig taktil begangen werden kann.
Obwohl Jahn Graf in Zug aufgewachsen ist und noch immer im Kanton lebt, ist sein kultureller Fokus auf Luzern gerichtet. «Ich ging in Luzern zur Schule und habe dort als Jugendlicher bereits viel Zeit verbracht. Sicherlich kommt dazu, dass das Thema Inklusion in Zug Anfang der 2000er-Jahre bei den Zuger Kulturhäusern nicht so aktuell war wie heute.» Er gibt zu bedenken: «Wenn ein Betrieb früher für mich nicht zugänglich war, komme ich auch heute nicht auf die Idee, dort hinzugehen. Dieses Vertrauen muss von den Kulturhäusern zurückerobert werden.»
Dass Inklusion im Kulturbereich eine anspruchsvolle Aufgabe ist, wissen auch die Verantwortlichen der Galvanik in Zug, die sich des Themas in den vergangenen Jahren stärker angenommen haben. Die architektonischen Hürden: Wer in den Raucherbereich oder in den Konzertraum möchte, muss Stufen überwinden. Seit einigen Jahren gibt es deshalb eine mobile Rampe zum Konzertsaal, die bei Bedarf montiert werden kann. Ebenfalls finden in der Galvanik regelmässig Partys für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung statt. Dort ist neben der Rollstuhlgängigkeit etwa auch der Verzicht auf Stroboskoplicht gewährleistet.
Ein langsamer Prozess
«Wichtig ist uns, dass alle die Möglichkeit erhalten, diese Räume zu nützen. Egal ob an einer inklusiven Party oder an einer regulären Veranstaltung», sagt Galvanik-Geschäftsleiter Dino Sabanovic. Auch wenn die Verantwortlichen zwischendurch kreativ sein müssen, um Inklusion zu ermöglichen. «Menschen im Rollstuhl sitzen bei Konzerten direkt vor der Bühne», so Sabanovic. Das bedinge jedoch, dass sie bereits früh vor Ort seien. «Letzthin kam jemand im Rollstuhl erst kurz vor einem Konzert an. Der Konzertsaal war bereits derart voll, dass er keine Chance hatte, bis vor die Bühne zu gelangen. Kurzerhand öffneten wir die Tür seitlich der Bühne, sodass er das Konzert von dort mitverfolgen konnte. Das hat er sehr geschätzt.»
Fabienne Mathis nickt und ergänzt: «Es lohnt sich, Leute zu fragen, die selbst betroffen sind. Schliesslich leben sie mit ihrer Behinderung und haben oft gute Ideen.» Jahn Graf ergänzt: «Das Thema Behinderung ist schwer stigmatisiert und wird als mühsam empfunden. Doch man kann es auch spielerisch angehen. Über die eigene Haltung und kleine Schritte kann man bereits grosse Awareness schaffen.» Graf und Mathis sprechen aus eigener Erfahrung. Und die teilen sie auch gern.
Den Prozess, wie das Kleintheater Luzern zu einem inklusiveren Gastspielhaus wurde, hat dieses mit der Kamera begleitet. Daraus entstanden ist der Dokumentarfilm «Alle inklusive – Ein Kleintheater will mehr», der aktuell in verschiedenen Schweizer Städten gezeigt wird. Mathis dazu: «Ich finde, der Dokumentarfilm zeigt sehr gut auf, wie man in Sachen Inklusion vorwärtskommt, ohne dass sich alles von heute auf morgen ändert.» Sie erhofft sich, dass der Film ein Sensibilisierungstool für verschiedene Anspruchsgruppen wird: «Von Förderinstitutionen bis zu Politiker*innen kommen alle zu Wort. Dabei wird auch aufgezeigt, was sie anders machen könnten», sagt Mathis.
Text: Valeria Wieser