Klingende Steine in der Grotte
Musik
Simon Berz, der Gründer des Lernorts BADABUM für transdisziplinäre kreative Musikpädagogik, hat sich vor Jahren den Klängen der Natur zugewandt. Dafür geht er gerne auch unorthodoxe Wege.
Baar – Dieser Artikel ist in der Juli / August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.
Zwischen Indonesien, New Orleans und den Höllgrotten: Simon Berz ist wieder mal auf Achse. Und kommt zurück mit einem neuen Album. Getauft wird es mitten unter Tropfsteinen. Am 20. August verschlägt es Simon Berz unter die Erde respektive mitten in den Stein. Gemeinsam mit dem Tänzer Gabriel Obergfell zeigt der Klangkünstler die LP-Release-Show «Breath versus Beats» in den Höllgrotten in Baar.
Wie das alles zusammenpasst? «Meine Arbeit basiert auf Zuhören und Beobachten, auf Klang- und Materialforschung, Umsetzung experimenteller Formate und deren ästhetischer Vermittlung», erzählt der Klangkünstler Simon Berz. Neben Konzertsälen, Clubs und Galerien tritt er mit Vorliebe auch in Offspaces sowie im öffentlichen Räumen auf. Die Musik und die Klänge, die der Perkussionskünstler mit Naturinstrumenten und insbesondere Steinen macht, wollen eingebettet werden in ihre Umgebung, sind sie doch Teil der Natur. «Eigentlich spiele ich Mutter Erde, und das wird mega gefeiert.»
Das klingt nun etwas abstrakt. Berz, der Gründer der Musikschule Badabum in Zug, erklärt: «Als ich einst mit dem Velo über die französischen Alpen fuhr, hatte ich plötzlich den Steve Reich unter meinen Rädern. Die Steine unter mir klangen wie die Musik des Komponisten.»
Beladen mit dreissig Kilo dieses Sedimentgesteins, kehrte Berz in die Schweiz zurück und baute sich sein erstes Lithofon, also ein Xylofon, bei dem die Steine, die in Schwingung versetzt werden, als Klangkörper dienen. «Diese spezifischen Steine sind 220 Millionen Jahre alt und stammen ursprünglich aus dem Mittelmeer. Ohne sie gäbe es die Alpen, gäbe es die Schweiz gar nicht.» Bloss: Stein an sich tönt nicht. «Erst wenn ich mit ihnen in Kontakt trete, dann klingt es. Es handelt sich um eine Manifestierung in der Natur. Ich erfinde ein neues Instrument und werde gleichzeitig Teil des grossen Ganzen.»
Damit einher gehen würden auch immer philosophische Fragen. Etwa: «Wie interpretiere ich die Welt?» Für die Klanginstallation «TROPF», bei welcher Berz Wassertropfen auf einzelne Steine fallen liess, wodurch wiederum faszinierende Klänge und komplexe Beats entstanden, erhielt er unter anderem die Werkjahr-Auszeichnung 2011 des Kantons Zug.
Um die Steine zum Klingen zu bringen, nutzt der Kunstschaffende gerne auch unorthodoxe Methoden. Neben Kontaktmikrofonen und weiteren Sounddesign-Elementen nutzte Berz in der Vergangenheit etwa die Vibrationen elektronischer Zahnbürsten. Diese wurden mittlerweile durch ein weit effizienteres Werkzeug erweitert. «Letzthin habe ich einen Vibrator gekauft. Dieser verfügt über zwanzig Vibrationsstufen und eignet sich wunderbar, um den Stein zu vibrieren, sodass verschiedenste Intensitäten Klänge verursachen und sogar ein Technobeat möglich wird.»
Offene Ohren in der Ferne
Oft reist Berz für seine Projekte in andere Länder. «Die Schweiz allein ist zu klein für diese Musik. Anders ist das in New Orleans oder in Indonesien. Dort stosse ich auf offene Ohren. Das Feedback, das ich erhalte, ist unheimlich.» Er erzählt: «Jazz findet in New Orleans auf der Strasse statt und ist eigentlich eine Mischung aus traditioneller afrikanischer Musik, aus Schamanismus und aus europäischer Marschmusik. Entsprechend offen sind die Leute.»
Dasselbe gelte für die Musik in Bali. «Beim Gamelan, also den traditionellen dortigen Mu- sikensembles, begegnet man meiner Klang- kunst auf Augenhöhe und ist ihr gegenüber völlig offen. Man lässt mich so klingen, wie ich bin.»
«Die hiesige Idee von Jazz ist hingegen stark vom Populismus geprägt.» Zug werde als Veranstaltungsort grundsätzlich kaum wahrgenommen, findet der Klangkünstler. «Auch wenn es mittlerweile ein paar Interpretationsgruppen wie beispielsweise Winkelzug gibt. Es lohnt sich, hier zu sein und durchzuhalten.»
Der Klang der Farbstifte
Schon früh hat Berz die Freude an der Musik, an Klängen und am Rhythmus gefunden. «Es kam vor, dass ich, anstatt ein Bild für die Schule auszumalen, mit den Farbstiften auf meiner Ständerlampe herumgespielt habe.» Dennoch bezeichnet Berz seine jugendliche Musikkarriere als traurig.
«Ich war bei der Jugendmusik in Wettingen, habe zuerst Flöte gespielt und dann Trommelunterricht erhalten. Wettingen ist ein konservatives Klosterdorf, entsprechend rigide und populistisch war meine Musikerziehung.» Er spielte zwar gern im Orchester, habe sich jedoch stets wie ein Alien gefühlt. «Ich war als Fünfjähriger bereits durch meinen Bruder geprägt worden, der mir Jimmy Hendrix und Deep Purple gezeigt hatte. Schon da spürte ich, dass diese Musik tief in meinem Genmaterial steckt.» Später habe er durch seinen Lehrer Chris Von Hofmann die amerikanische Musik und insbesondere den Jazz kennen gelernt, «was das Spiel in der Jugendmusik zusätzlich erschwerte».
Bisschen Punk für die Jugendmusik
Schmunzelnd erzählt Berz: «Das Gefühl des Nichthineinpassens äusserte sich dann jeweils an den Jahreskonzerten in Wettingen.» 300 bis 400 Gäste sassen im Publikum. Und anstatt am Ende des Konzerts aufzuhören, spielten die zwei Schlagzeuger einfach weiter. «Wir brachten eine Spur Punk in das Ganze.» Er lacht und sagt: «Unser Solo war denn auch das, was in der Zeitung jeweils als Höhepunkt des Konzerts bezeichnet wurde.»
Nach einer Lehrerausbildung am Kollegium St. Michael und den Schlagzeugausbildungen, etwa am Drummers Collective in New York, eröffnete Berz die Musikschule Badabum in Zug. Dort wollte er es bewusst ganz anders machen, als er es selbst in seiner Jugend gelernt hatte. «Ich wollte eine kreative, transdisziplinäre Musikpädagogik entwickeln und den Menschen ernst nehmen, so wie er klingt. Selbst wenn es falsch tönt.» Sein Konzept funktionierte und tut es noch immer.
Im Zusammenspiel mit der Natur
Und nun gibt es dieses neue Album. «Die Platte hatte ich vor der Pandemie mit dem japanischen Trompeter Toshinori Kondo aufgenommen, der mittlerweile leider verstorben ist.» Berz weiter: «Die Musik, gerade im Zusammenspiel mit der Natur, hat uns beide stark verbunden. So spielten wir gerne an speziellen Konzertlokalen, etwa in einer Wüste, ohne Zuhörer ausser den Insekten um uns.»
Weiter wirkte Bill Laswell als Produzent und Bassist an der LP mit. «Für mich war das eine riesige Ehre, diese LP mit dem New Yorker Produzenten, der mehrere mit dem Grammy ausgezeichnete Alben veröffentlichte, zu vollenden.» Was vom Auftritt in den Höllgrotten zu erwarten ist? Kurz gefasst: «Ein moderiertes Konzert mit Remo Hegglin, die Uraufführung des Videos ‹Water› von Andi Hofmann und eine Performance in den Höllgrotten mit Tanz, Atem, Stein, Schlagzeug und Elektronik.»
Bewusst verzichtet Berz darauf, eine Memorialtour für Toshinori Kondo zu machen. «Der Mensch ist nicht mehr da, und ich will mich nicht mit den Federn eines verstorbenen Musikers schmücken.» Darum beschränkt sich Simon Berz auf die Performance in der Tropfsteinhöhle und auf die Vernissage seiner Einzelausstellung im Kunstraum Aarau am 25. August 2023.
Arbeit hat Simon Berz dennoch genug. Etwa mit der Organisation des grossen Badabum-Festivals, das von 9. bis 14. Oktober über die Bühne geht. Eigentlich hätte es im Jahr 2020 zum 20-Jahr-Jubiläum der Musikschule durchgeführt werden sollen. Eine Woche lang werden Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durchgeführt, an denen Do-it-yourself-Instrumente und Kostüme geschaffen werden. Natürlich inklusive Konzert am Schluss. Man kann davon ausgehen, dass ein unerwartetes DIY-Schlagzeug-Solo durchaus Platz hat und gefeiert wird.
(Autorin: Valeria Wieser)
Hier geht es zur Veranstaltung.
Zwischen Indonesien, New Orleans und den Höllgrotten: Simon Berz ist wieder mal auf Achse. Und kommt zurück mit einem neuen Album. Getauft wird es mitten unter Tropfsteinen. Am 20. August verschlägt es Simon Berz unter die Erde respektive mitten in den Stein. Gemeinsam mit dem Tänzer Gabriel Obergfell zeigt der Klangkünstler die LP-Release-Show «Breath versus Beats» in den Höllgrotten in Baar.
Wie das alles zusammenpasst? «Meine Arbeit basiert auf Zuhören und Beobachten, auf Klang- und Materialforschung, Umsetzung experimenteller Formate und deren ästhetischer Vermittlung», erzählt der Klangkünstler Simon Berz. Neben Konzertsälen, Clubs und Galerien tritt er mit Vorliebe auch in Offspaces sowie im öffentlichen Räumen auf. Die Musik und die Klänge, die der Perkussionskünstler mit Naturinstrumenten und insbesondere Steinen macht, wollen eingebettet werden in ihre Umgebung, sind sie doch Teil der Natur. «Eigentlich spiele ich Mutter Erde, und das wird mega gefeiert.»
Das klingt nun etwas abstrakt. Berz, der Gründer der Musikschule Badabum in Zug, erklärt: «Als ich einst mit dem Velo über die französischen Alpen fuhr, hatte ich plötzlich den Steve Reich unter meinen Rädern. Die Steine unter mir klangen wie die Musik des Komponisten.»
Beladen mit dreissig Kilo dieses Sedimentgesteins, kehrte Berz in die Schweiz zurück und baute sich sein erstes Lithofon, also ein Xylofon, bei dem die Steine, die in Schwingung versetzt werden, als Klangkörper dienen. «Diese spezifischen Steine sind 220 Millionen Jahre alt und stammen ursprünglich aus dem Mittelmeer. Ohne sie gäbe es die Alpen, gäbe es die Schweiz gar nicht.» Bloss: Stein an sich tönt nicht. «Erst wenn ich mit ihnen in Kontakt trete, dann klingt es. Es handelt sich um eine Manifestierung in der Natur. Ich erfinde ein neues Instrument und werde gleichzeitig Teil des grossen Ganzen.»
Damit einher gehen würden auch immer philosophische Fragen. Etwa: «Wie interpretiere ich die Welt?» Für die Klanginstallation «TROPF», bei welcher Berz Wassertropfen auf einzelne Steine fallen liess, wodurch wiederum faszinierende Klänge und komplexe Beats entstanden, erhielt er unter anderem die Werkjahr-Auszeichnung 2011 des Kantons Zug.
Um die Steine zum Klingen zu bringen, nutzt der Kunstschaffende gerne auch unorthodoxe Methoden. Neben Kontaktmikrofonen und weiteren Sounddesign-Elementen nutzte Berz in der Vergangenheit etwa die Vibrationen elektronischer Zahnbürsten. Diese wurden mittlerweile durch ein weit effizienteres Werkzeug erweitert. «Letzthin habe ich einen Vibrator gekauft. Dieser verfügt über zwanzig Vibrationsstufen und eignet sich wunderbar, um den Stein zu vibrieren, sodass verschiedenste Intensitäten Klänge verursachen und sogar ein Technobeat möglich wird.»
Offene Ohren in der Ferne
Oft reist Berz für seine Projekte in andere Länder. «Die Schweiz allein ist zu klein für diese Musik. Anders ist das in New Orleans oder in Indonesien. Dort stosse ich auf offene Ohren. Das Feedback, das ich erhalte, ist unheimlich.» Er erzählt: «Jazz findet in New Orleans auf der Strasse statt und ist eigentlich eine Mischung aus traditioneller afrikanischer Musik, aus Schamanismus und aus europäischer Marschmusik. Entsprechend offen sind die Leute.»
Dasselbe gelte für die Musik in Bali. «Beim Gamelan, also den traditionellen dortigen Mu- sikensembles, begegnet man meiner Klang- kunst auf Augenhöhe und ist ihr gegenüber völlig offen. Man lässt mich so klingen, wie ich bin.»
«Die hiesige Idee von Jazz ist hingegen stark vom Populismus geprägt.» Zug werde als Veranstaltungsort grundsätzlich kaum wahrgenommen, findet der Klangkünstler. «Auch wenn es mittlerweile ein paar Interpretationsgruppen wie beispielsweise Winkelzug gibt. Es lohnt sich, hier zu sein und durchzuhalten.»
Der Klang der Farbstifte
Schon früh hat Berz die Freude an der Musik, an Klängen und am Rhythmus gefunden. «Es kam vor, dass ich, anstatt ein Bild für die Schule auszumalen, mit den Farbstiften auf meiner Ständerlampe herumgespielt habe.» Dennoch bezeichnet Berz seine jugendliche Musikkarriere als traurig.
«Ich war bei der Jugendmusik in Wettingen, habe zuerst Flöte gespielt und dann Trommelunterricht erhalten. Wettingen ist ein konservatives Klosterdorf, entsprechend rigide und populistisch war meine Musikerziehung.» Er spielte zwar gern im Orchester, habe sich jedoch stets wie ein Alien gefühlt. «Ich war als Fünfjähriger bereits durch meinen Bruder geprägt worden, der mir Jimmy Hendrix und Deep Purple gezeigt hatte. Schon da spürte ich, dass diese Musik tief in meinem Genmaterial steckt.» Später habe er durch seinen Lehrer Chris Von Hofmann die amerikanische Musik und insbesondere den Jazz kennen gelernt, «was das Spiel in der Jugendmusik zusätzlich erschwerte».
Bisschen Punk für die Jugendmusik
Schmunzelnd erzählt Berz: «Das Gefühl des Nichthineinpassens äusserte sich dann jeweils an den Jahreskonzerten in Wettingen.» 300 bis 400 Gäste sassen im Publikum. Und anstatt am Ende des Konzerts aufzuhören, spielten die zwei Schlagzeuger einfach weiter. «Wir brachten eine Spur Punk in das Ganze.» Er lacht und sagt: «Unser Solo war denn auch das, was in der Zeitung jeweils als Höhepunkt des Konzerts bezeichnet wurde.»
Nach einer Lehrerausbildung am Kollegium St. Michael und den Schlagzeugausbildungen, etwa am Drummers Collective in New York, eröffnete Berz die Musikschule Badabum in Zug. Dort wollte er es bewusst ganz anders machen, als er es selbst in seiner Jugend gelernt hatte. «Ich wollte eine kreative, transdisziplinäre Musikpädagogik entwickeln und den Menschen ernst nehmen, so wie er klingt. Selbst wenn es falsch tönt.» Sein Konzept funktionierte und tut es noch immer.
Im Zusammenspiel mit der Natur
Und nun gibt es dieses neue Album. «Die Platte hatte ich vor der Pandemie mit dem japanischen Trompeter Toshinori Kondo aufgenommen, der mittlerweile leider verstorben ist.» Berz weiter: «Die Musik, gerade im Zusammenspiel mit der Natur, hat uns beide stark verbunden. So spielten wir gerne an speziellen Konzertlokalen, etwa in einer Wüste, ohne Zuhörer ausser den Insekten um uns.»
Weiter wirkte Bill Laswell als Produzent und Bassist an der LP mit. «Für mich war das eine riesige Ehre, diese LP mit dem New Yorker Produzenten, der mehrere mit dem Grammy ausgezeichnete Alben veröffentlichte, zu vollenden.» Was vom Auftritt in den Höllgrotten zu erwarten ist? Kurz gefasst: «Ein moderiertes Konzert mit Remo Hegglin, die Uraufführung des Videos ‹Water› von Andi Hofmann und eine Performance in den Höllgrotten mit Tanz, Atem, Stein, Schlagzeug und Elektronik.»
Bewusst verzichtet Berz darauf, eine Memorialtour für Toshinori Kondo zu machen. «Der Mensch ist nicht mehr da, und ich will mich nicht mit den Federn eines verstorbenen Musikers schmücken.» Darum beschränkt sich Simon Berz auf die Performance in der Tropfsteinhöhle und auf die Vernissage seiner Einzelausstellung im Kunstraum Aarau am 25. August 2023.
Arbeit hat Simon Berz dennoch genug. Etwa mit der Organisation des grossen Badabum-Festivals, das von 9. bis 14. Oktober über die Bühne geht. Eigentlich hätte es im Jahr 2020 zum 20-Jahr-Jubiläum der Musikschule durchgeführt werden sollen. Eine Woche lang werden Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durchgeführt, an denen Do-it-yourself-Instrumente und Kostüme geschaffen werden. Natürlich inklusive Konzert am Schluss. Man kann davon ausgehen, dass ein unerwartetes DIY-Schlagzeug-Solo durchaus Platz hat und gefeiert wird.
(Autorin: Valeria Wieser)
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