Ensemble Chamäleon taucht in die Romantik ein

Musik

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In der Zuger Gewürzmühle erklang das traditionelle Herbstkonzert des Ensembles.

  • Tobias Steymans an der Violine. (Bild Maria Schmid)
    Tobias Steymans an der Violine. (Bild Maria Schmid)

Zug – Die Tage werden kürzer, und am ersten Tag nach der Zeitumstellung war es in der Konzertpause bereits Nacht. Dazu passte die Wiedergabe von drei Werken überwiegend in Moll. Die Wahl des Tongeschlechts hatte aber bei allen drei Komponisten auch mit Lebenskrisen zu tun.

Das Konzertmotto «Grosse Gefühle» bezog sich bei Michail Glinka (1804–1857) auf 1832 gleichzeitig aufgetretene Liebes- und Gesundheitsprobleme. Ernest Chausson (1855–1899) haderte 1881 über das Scheitern seiner Bewerbung für den begehrten Rompreis. Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) hatte sich 1923 bei einem Kuraufenthalt auf der Krim als bloss 17-Jähriger auf eine für sein Umfeld unpassende Weise verliebt.

Energiegeladene Madeleine Nussbaumer

Nicht nur nach der Entstehungszeit stand das Trio in g-Moll, Opus 3, von Chausson im Mittelpunkt. Unter berufener Hand zeigte es alle Eigenheiten des romantischen Klaviertrios. Vor allem in den Ecksätzen lagen praktisch alle schnellen Tonwechsel beim Klavier, und die beiden Streicher brachten in länger gehaltenen Tönen den Hauptteil der Thematik, bei opulentem Klaviersatz manchmal zur Erhaltung des klanglichen Gleichgewichts in Oktavparallelen. Nur an wenigen Stellen des abschliessenden «Allegro con Spirito» wechselten für dynamische Höhepunkte die schnellen Läufe auch in die Streicherstimmen.

Neben dem Wohlklang der Streicher bewunderte das Publikum ein weiteres Mal die nimmermüde Energie der Pianistin Madeleine Nussbaumer für die Vorbereitung des anspruchsvollen Notentexts. Gerade in diesem Part spürte man auch Einflüsse aus den vielschichtigen Orgelwerken seines Lehrers César Franck (1822–1890).

Eine eigentümliche Form brachte der zweite Satz, bei welchem die Struktur des Scherzo nach einem fragmentierten Trio gleich in den dritten Satz überleitete. Aus zeitlicher Distanz gilt heute Chausson mit solchen Eigentümlichkeiten ebenfalls als Wegbereiter des Impressionismus. Ihn verband übrigens mit dessen Hauptvertreter Claude Debussy (1862–1918) eine persönliche Freundschaft. Glinka war der erste bedeutende russische Komponist, welcher die westeuropäische Kammermusiktradition aufnahm und durch eigenständige Werke bereicherte. Bei einem mehrjährigen Italien-Aufenthalt fand er besonders guten Zugang zum früh verstorbenen Opernkomponisten Vincenzo Bellini (1801–1835), dessen Kompositionsstil ihn möglicherweise veranlasste, für das eigene «Trio pathétique» statt der Streicher zuerst Klarinette und Fagott zu wählen.

Schostakowitsch’ Schritt aus der Romantik

Durch den ähnlichen Tonumfang der Instrumente brauchte es für die Wiedergabe mit zwei Streicherstimmen keine grossen Anpassungen am Notentext. Die langen Passagen in hoher Tonlage innerhalb des ersten Satzes wirkten mit der Violine ausgeführt sogar natürlicher und abgerundeter als das Original.

Die Wiedergabe durch Madeleine Nussbaumer, Tobias Steymans und Luzius Gartmann fügte die drei ersten Sätze eng aneinander, unterstützt durch eine sehr freie Tempowahl. Erst vor dem kurzen Schluss, der nochmals die Themen der vorangegangenen Sätze aufgriff, erfolgte eine deutliche Lücke.

Schostakowitsch hatte mit seinem Klaviertrio Opus 8 in c-Moll die Romantik definitiv verlassen. Schon das Frühwerk zeigte im Wesentlichen die typischen Merkmale seines späteren Kompositionsstils. Die nur wenig erweiterte und manchmal sogar strikt konventionelle Tonalität paarte sich mit einer klaren und leicht nachvollziehbaren rhythmischen Struktur.

Gegenüber den Romantikern erschien der Klavierpart deutlich abgespeckt und teilweise sogar etwas karg. Trotz zweier Satzbezeichnungen war es ein klar einsätziges Werk. Man begann eindeutig im Andante; aber nach dem lückenlosen Übergang ins Allegro folgten auch immer wieder ruhigere Passagen, die sich als Andante verstehen liessen. (Text von Jürg Röthlisberger)