Mit Musik zur Erinnerung

Dies & Das

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Demenz kann Angst machen. Doch die Krankheit wird in unserer älter werdenden Gesellschaft stetig präsenter. Die Konzertreihe «Souvenir» der Kammer Solisten Zug schlägt hier eine Brücke.

  • Setzt sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Organisator ein: Stefan Buri. (Bild: zVg)
    Setzt sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Organisator ein: Stefan Buri. (Bild: zVg)

Zug – Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Tanzen und Singen ist gut für die Gesundheit – Musik an sich –, das ist mittlerweile bekannt und unumstritten. Man weiss, dass Musik Freude bringt, dass sie Erinnerungen und Gefühle weckt und dass sie gerade auch bei Menschen mit Demenz sehr aktivierend sein kann. Ein Konzert zu besuchen, ist für Menschen mit Demenz und ihr Umfeld aber oft kaum mehr möglich. Zu viele Hürden bietet der Anlass, zu gross sind die Herausforderungen und oft auch die Angst, dort negativ aufzufallen. 
In Zug jedoch existiert ein Angebot, eine Konzertreihe, die neben dem geübten Konzertpublikum spezifisch für Menschen mit Demenz und für ihr Umfeld konzipiert wurde: «Souvenir», ein Projekt der Kammer Solisten Zug, beendet im April seine zweite Saison und zieht ein positives Resümee – mit ein paar Ausnahmen. 

Flexibles Format 
Bei «Souvenir» kann man live an den Konzerten teilnehmen oder per Livestream von zu Hause aus. Die «Souvenir-Banda», bestehend aus Gesang, Violine, Fagott, Klavier und jeweils einem Gast, spielt bekannte Melodien und Musikstücke. 
Eine kreative Moderation verbindet das stündige Konzert, das vom Organisatorischen über die Musik bis hin zu immer neuen Einfällen genau auf das Zielpublikum zugeschnitten ist. Man darf mitmachen und mitsingen, das eine Mal wird live beim Konzert gemalt, ein andermal mit Blumen gearbeitet, und dann ist da plötzlich auch noch ein Therapiehund mit auf der Bühne. Ins Leben gerufen hat dieses vielfältige Format Stefan Buri, Künstlerischer Leiter des Vereins Kammer Solisten Zug. Der 63-jährige Musiker ist in Zug geboren, studierte in Zürich und Salzburg und war unter anderem über 30 Jahre als Fagottist beim Sinfonieorchester Basel beschäftigt. In dieser langjährigen Tätigkeit als Orchestermitglied seien ihm immer wieder spannende Vermittlungsprojekte und neue, innovative Veranstaltungsreihen begegnet. «Durch dieses direkte Miterleben wurde mir klar, dass ich solche Projekte auch selbst angehen möchte.» Seither lancierte er in Zug unter anderem Familienkonzerte mit dem «Kater Caruso» oder auch Angebote für die Kleinsten der Kleinsten unter dem Titel «Mini-Mozart». 
Woher schliesslich sein Interesse an der Thematik Demenz herkam, könne er gar nicht sagen. In seiner Familie sei er damit nicht konfrontiert, sagt Buri: «Aber ich sehe, wie sehr wir als Gesellschaft damit umgehen müssen. Und wie gleichzeitig ein enormes Defizit im Wissen um die Krankheit existiert.» 
Aufgefallen sei ihm das relativ schnell durch die aktive Distanzierung einiger Leute von der Konzertreihe. Durch irritierende Aussagen, die eindeutig mit Ängsten und Stigmatisierung zu tun haben. «Leute haben mir direkt gesagt, dass sie nicht zu diesem Konzert kommen werden, weil andere Menschen sonst ja denken könnten, sie seien dement.» Auch nachdem seine Mutter für das erste Plakat Modell gestanden sei, sei sie anstrengend häufig gefragt worden, ob sie denn nun Demenz habe. «Viele Leute wollen nichts damit zu tun haben, nicht persönlich mit Demenz in Verbindung gebracht werden. Das ist wirklich traurig», sagt Buri. Das Thema brauche gerade deswegen mehr Öffentlichkeit, ist er überzeugt. 
Es sei wichtig, solche Konzerte nicht einfach in Pflegeheimen zu veranstalten, sondern in öffentlicheren Räumen. «Wir wollen, dass eine Durchmischung stattfindet, in einem offiziellen Konzertsaal. Denn Inklusion bedeutet auch Sichtbarkeit.» So werden die Konzerte auch ganz klar für Menschen «mit und ohne Demenz» beworben. 

Weiterhirnen 
Für die Konzertreihe arbeiten die Kammer Solisten Zug mit der Alzheimer-Vereinigung zusammen. Zuerst seien sie hauptsächlich auf Heime zugegangen. Doch bald wurde klar, dass demenzkranke Menschen in Heimen oft bereits in einer sehr hohen Pflegestufe seien und deshalb auch kaum noch mobil. «Die Alzheimer-Vereinigung hingegen ist eine der ersten Anlaufstellen für Betroffene und auch Angehörige. Besonders für Alltagsfragen», erklärt Buri. Hier erreichten sie ihr Publikum. 
Seit der ersten Durchführung im November 2023 hat sich am Format aber noch einiges mehr verändert und weiterentwickelt. Nachdem zu Beginn Herbert Lippert auf der Bühne live gemalt hat, wird bei einer kommenden Ausgabe eine Floristin auf die Bühne geholt, deren Arbeit, das Arrangieren der Blumen auf der Leinwand, übertragen wird. Auch die Idee, ein tanzendes Paar auf die Bühne zu holen, steht. «Ich hirne gerne weiter an dem Format herum – im Verein, aber auch zu Hause mit meiner Frau. Dazu, welche Möglichkeiten es noch gebe, welche Ergänzungen.» So wird das Projekt wohl weiterhin wachsen und sich verändern. 
Dabei bedient sich Buri auch gerne bei «der Konkurrenz», sagt er. «Ich besuche regelmässig schweizweit unterschiedliche Konzerte und neue Formate. Das ist leider bei Musikerinnen und Musikern wenig verbreitet. Das ist schade, denn es gibt so viel Spannendes zu sehen.» Er halte deshalb nichts davon, dass überall jedes Mal das Rad neu erfunden werde. Es sei wichtig und richtig, sich von anderen Projekten inspirieren zu lassen und das Bestehende weiterzuentwickeln. «Unbedingt soll man dabei auch bei mir klauen. Das würde mich sehr freuen», so Buri. 

Attraktiv für die Begleitpersonen 
Verändert hat sich seit Projektbeginn auch der Anspruch an die musikalische Vielfalt und Qualität der Konzerte. Dies, da klar wurde, wie viele Zielpublika gleichzeitig angesprochen werden. «Wir wollen diesen Konzerten einen Rahmen geben, dass geübte Konzertbesucherinnen und -besucher, aber auch demenzerkrankte Menschen und ihre Begleitungen ein festliches, kulturelles Erlebnis geniessen können», erklärt Stefan Buri. Es sei konzeptuell vergleichbar mit Kindertheater – «auch da muss man ein Stück so bringen, dass es primär die Kinder anspricht, aber auch für die Eltern oder Begleitpersonen amüsant und spannend ist.» 
Nun mischen sich im Programm bekannte Kompositionen mit Volksliedern. Denn diese geläufigen Melodien wecken Erinnerungen. Und sie holen die Leute ab, mitzumachen. «Man vergisst manchmal, dass es sich hier um Generationen handelt, die über einen riesigen Liederschatz verfügen, auf den man zurückgreifen kann», sagt Buri. Das sei einerseits musikalisch spannend, als Kulturgut. Es sei andererseits auch für die Begleitpersonen eine tolle Erfahrung – wenn es plötzlich sprudelt. 
Stefan Buri betont, er habe viel gelernt seit Beginn des Projekts. «Die erste Erkenntnis war: Wir als Gesellschaft haben ein Problem mit dem Thema Demenz.» Die zweite Erkenntnis sei fruchtbarer gewesen: «Die Realisation, dass die Krankheit auch für das Umfeld der Betroffenen extrem fordernd ist.» Und weiter sei ihm die Wirkung von Musik nochmals anders bewusst geworden. Musik bedient andere Kanäle und mit einer anderen Kraft als Sprache allein. Man erreicht die Leute nochmals anders. «Ich wusste, dass Musik andere Kanäle bedient als die Sprache und die Menschen anders erreicht. Aber diese Kraft hat meine Vorstellung weit übertroffen.» 

 

Text: Jana Avanzini