Meisterwerke der Spätgotik aus Oberägeri

Kunst & Baukultur

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Aus der mittelalterlichen Pfarrkirche von Oberägeri haben sich kostbare Tafelbilder erhalten, die sich heute im Fundus des Landesmuseums befinden. Der unbekannte Maler hatte sich wohl von einem bedeutenden Zeitgenossen inspirieren lassen.

  • Zwei der vier grossen Tafelgemälde aus Oberägeri. Sie zeigen Szenen aus dem Marienleben. Links die Weihnachtsszene, rechts die Anbetung der drei Könige (Epiphanie). Bilder: Landesmuseum Zürich
    Zwei der vier grossen Tafelgemälde aus Oberägeri. Sie zeigen Szenen aus dem Marienleben. Links die Weihnachtsszene, rechts die Anbetung der drei Könige (Epiphanie). Bilder: Landesmuseum Zürich

Oberägeri – Die Geschichte der Pfarrkirche von Oberägeri reicht vermutlich bis ins 9. Jahrhundert zurück. Es dürfte somit – neben Cham und Baar – eine der ältesten Kirchengründungen des heutigen Kantons Zug sein. Die Mauern des Turmfusses stammen vom zweiten Kirchenbau von 1226. Ein Lamm-Gottes-Relief aus dieser Zeit hat sich erhalten und ist im Inneren der heutigen Kirche in die Wand eingelassen.

Um 1492/93 ist ein spätgotischer Neu- respektive Umbau der Kirche dokumentiert.

Dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst

In den folgenden Jahrhunderten erfuhr die Kirchenausstattung einen wiederholten Wandel und wurde dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst – auf barocke Veränderungen im 17. Jahrhundert folgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die aufkommende Neogotik. 1905 wurde schliesslich die gesamte Kirche, mit Ausnahme des Turmes, nach Plänen von August Hardegger im nachahmenden Stil der Spätgotik neu errichtet, teils unter Verwendung alter Bauelemente. Die heute noch immer mittelalterlich anmutende Oberägerer Pfarrkirche ist demnach «erst» knapp 120 Jahre alt. Von der historischen Ausstattung des 15. Jahrhunderts hat sich jedoch das eine oder andere erhalten, darunter das Sakramentshäuschen, der Taufstein und einiges an Figurenschmuck.

Ebenfalls erhalten haben sich zudem vier bedeutende Tafelbilder des mittelalterlichen Hochaltars von 1492. Es handelte sich um einen zeittypischen Flügelaltar, geweiht der allerheiligsten Dreifaltigkeit sowie den Kirchenpatronen Peter und Paul. Im 17. Jahrhundert wurde der Oberbau des Altars jedoch durch ein barockes Retabel ersetzt. Jemand Kunstsinniges muss offenbar dafür gesorgt haben, dass die beiden 2 mal 1,5 Meter grossen Altarflügel mit den kostbaren Tafelgemälden gerettet wurden.

Noch im 19. Jahrhundert befanden sie sich im Oberägerer Beinhaus. Um 1892 sind die Tafeln im Zürcher Helmhaus respektive in der Sammlung der Wasserkirche nachgewiesen, von wo aus sie schliesslich in die Sammlung des Schweizerischen Landesmuseums gekommen sind und somit als abgewandertes Oberägerer Kulturgut einen festen Platz gefunden haben.

Der Urheber der Bilder ist nicht bekannt, im Museumsinventar ist er sinngemäss schlicht als «Meister des Oberägerer Altars» ausgewiesen. Dass es sich womöglich um einen Handwerker aus der Zentralschweiz gehandelt haben könnte, legt ein Vergleichsstück im Sarner Kollegium dar, welches exakt dieselbe Handschrift trägt. Ebenso ein vermutlich aus der Kapelle St. Wolfgang in Hünenberg stammendes Tafelfragment, das später ebenfalls ins Landesmuseum gekommen ist. Der bekannte Einsiedler Kunsthistoriker Linus Birchler (1893–1967) vermutet den Maler entweder in Zug oder Luzern, allenfalls auch in Zürich. Er sieht die Tafeln von Martin Schongauer inspiriert, dem bedeutenden elsässisch-deutschen Maler der Gotik, welcher bis kurz vor Entstehung der Oberägerer Tafeln gelebt hat.

«Trocken aufgefasstes» Marienleben

Die vier Gemälde des ehemaligen Hochaltars der Pfarrkirche Oberägeri zeigen Szenen aus dem Marienleben: Auf der Aussenseite des linken Flügels ist die Verkündigungsszene dargestellt, innenseitig die Geburt Jesu (Weihnachtsszene). Der rechte Flügel zeigt aussen die Anbetung der Könige (Epiphanie) und innen den Tod Mariens.

Die wertvollen Oberägerer Tafelgemälde sind bedeutendes Zeugnis des Schweizer Kunsthandwerkes der Spätgotik, auch wenn sie gemäss Linus Birchler etwas «trocken aufgefasst» wirken. Diese qualitative Würdigung lässt sich individuell auslegen. (Text: Andreas Faessler)