Jacken mieten statt kaufen
Kunst & Baukultur, Dies & Das, Brauchtum & Geschichte
Die Designerinnen Nadja Zürcher und Sara Liz Marty haben ihr Projekt in der Zuger Altstadthalle vorgestellt.
Zug – Die Kleiderkästen sind voll, trotzdem kaufen wir immer Neues dazu. Hier setzt das nachhaltige Projekt Common Goods (Gemeinschaftsgüter) der beiden Zuger Textildesignerinnen Nadja Zürcher und Sara Liz Marty an. Wie sie am vergangenen Samstag in der Altstadthalle den zahlreichen Besuchenden berichten, sind sie vor rund zwei Jahren durch ihre gemeinsame Leidenschaft für Textilien, Handwerk und kooperative Projekte auf ein Schweizer Kulturerbe gestossen – den Tessiner Blaudruck.
Die alte Textildrucktechnik, bei der mit Holzmodeln und einer Paste aus Pigmenten der Pflanze Indigofera tinctoria Leinenstoffe gefärbt werden, wird noch heute in einem mehrmonatigen Verfahren vom Tessiner Matteo Gehringer angewandt. Bei ihm hatten sie einen Kurs gebucht – und waren fasziniert. Der zeitlich aufwendige und somit teure Herstellungsprozess habe sie auf die Idee gebracht, dass die von ihnen bedruckten Textilien, eine Serie von acht Jacken, nicht verkauft, sondern – gegen ein kleines Entgelt – für jeweils zwei Monate ausgeliehen werden sollen.
Zum Nachdenken anregen
Ein Film zeigt die Entwicklung des Jackenprojektes und die Neuinterpretation eines alten Handwerkes von simpler Schönheit, das die beiden Initiantinnen mit einem zeitgemässen Design verbinden. Für die Jacken verwenden sie alte Leinenstoffe, die im Dorf von Matteo Gehringer – einem der letzten Tessiner Blaudrucker – von Hand gewoben worden sind.
So sagt Nadja Zürcher: «Mit unserem Projekt wollen wir zum Nachdenken anregen.» Sara Liz Marty ergänzt: «Wir müssen unseren Kleiderkonsum hinterfragen und Verantwortung übernehmen. Darum möchten wir, dass die Jacken mehrmals getragen werden. Man kann sie nicht besitzen, es sind Wanderobjekte. Ein Besucher kommentiert spontan: «Das tönt spannend und schön.»
Die blauen Jacken aus Leinen, jede mit einem anderen Muster bedruckt, hängen beim Eingang auf Bügeln bereit. Sie dürfen probiert und für die Ausleihe ab November reserviert werden. Die Erste, die sich eine Jacke mit einem Jugendstildesign auswählt, ist Antje Nova aus Zug; begeistert sagt sie: «Am liebsten würde ich sie grad mitnehmen.» Doch sie muss sich gedulden. Nach der Tragzeit darf sie sich auf dem Label verewigen und in ein Logbuch eintragen, bevor sie die Jacke an die nächste Trägerin weitersendet.
Gegenüber unserer Zeitung sagt Sara Liz Marty: «Wir hatten keine Lust auf ein Fashion- oder Massenprojekt, sondern wollten mit Common Goods etwas Spezielles entwickeln – ein in die Zukunft gerichtetes Projekt zwischen traditionellem Handwerk, Design und Kunst.»
Dokumentation auf Filmen und Fotos
So wurde am Samstagabend die Vorpremiere des Films «Il miracolo blu» von Loris Ciresa über den Tessiner Blaudruck mit Matteo Gehringer präsentiert. Bereichert wurde die Ausstellung durch die Fotoserie von Aline d’Auria und Nici Jost. Zudem bestand am Sonntag die Möglichkeit, unter der Leitung von Matteo Gehringer an einem Druckworkshop teilzunehmen. Hier konnte mit einem modernen Blaudruckverfahren ein eigenes Tuch gestaltet werden.
Auf die Frage, warum er sich am Projekt der beiden Designerinnen beteiligt, sagt Matteo Gehringer, Weber, Färber und Forschungsdoktor der Kunstgeschichte: «Ich habe den Gedanken der Nachhaltigkeit geschätzt.» Denn das ist auch für ihn ein wichtiges Thema. «Ich habe das Handwerk des Webens und Blaudrucks von meinen Grosseltern und den Vorfahren gelernt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Blaudruck im Tessin nicht mehr ausgeführt. Durch eine Recherche vor über 15 Jahren habe ich mich mit dem Prozess wieder intensiv befasst. Die alten Rezepte waren aber nicht mehr brauchbar, ich habe eine Lösung ohne Giftstoffe gesucht.»
Heute pflanzt Gehringer sein Leinen selber an und webt die Stoffe, bevor er sie mit den alten Holzformen in der uralten Technik färbt. Er gibt Kurse und vermittelt sein Wissen gerne allen nachhaltig interessierten Menschen. (Text von Monika Wegmann)
Hinweis
Das Projekt Common Goods wird an weiteren Designmessen vorgestellt, so etwa vom 20. bis zum 22. September in Zürich.