«Unterwasser-Zeitskulptur» fordert das Auge

Kunst & Baukultur

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Ein versunkenes Kajak im Zugersee bei der Rössliwiese ist bewusst an seinem Ort auf dem Seegrund platziert worden. Sehen kann man das eigenwillige Kunstwerk nur, wenn man besonders aufmerksam ist.

  • Roman Signers «Seesicht» in Zug ist 2015 eröffnet worden. Bild: Andreas Faessler (4. 6. 2024)
    Roman Signers «Seesicht» in Zug ist 2015 eröffnet worden. Bild: Andreas Faessler (4. 6. 2024)
  • Tauchaufnahme des Kajaks auf dem Seegrund. Der Künstler Roman Signer hat es 2015 hier kentern lassen. Bild: Marco Grzybeck (Zug, 17. 12. 2023)
    Tauchaufnahme des Kajaks auf dem Seegrund. Der Künstler Roman Signer hat es 2015 hier kentern lassen. Bild: Marco Grzybeck (Zug, 17. 12. 2023)

Zug – Wer sie noch nicht kennt, mag die so genannte «Seesicht» an der Quaimauer bei der Zuger Rössliwiese vielleicht mit einer zur städtischen Infrastruktur gehörenden Einrichtung verwechseln. Das hochrechteckige Kabäuschen findet seeseitig eine bauliche Fortsetzung – diese führt hinab zum Wasser und verschwindet vollständig unter dessen Oberfläche.

Die Kabine aus dickwan­digem Stahl birgt hinter der Eingangstür mit Ochsenauge eine Treppe. 21 Stufen sind es bis zum tief unter dem Wasser liegenden Boden hinab, wo man vor einem grossen Glasfenster steht, das den Blick ins «Innere» des Zugersees freigibt. Dieses präsentiert sich ganz unterschiedlich und stets variierend, je nach Tageslicht, Witterung, Trüb- und Klarheit des Wassers.

Die 17 Tonnen schwere Installation «Seesicht» ist ein Entwurf des Ostschweizer Konzeptkünstlers Roman Signer (* 1938). Das Kunstwerk ist 2015 ent­standen anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Kunsthauses Zug, welches über eine umfangreiche Werksammlung Signers verfügt. Seither gehört «Seesicht» mit dem Kunsthaus als Eigentü­merin zu den besonderen Attrak­tionen im öffentlichen Raum der Stadt Zug.

Im Zuge der Installation von «Seesicht» jedoch hat sich der Künstler noch etwas Zusätzliches einfallen lassen, was vielen Besucherinnen und Besuchern des Unterwasserfensters kaum auffallen dürfte beim Blick durch das Glas: Direkt unterhalb des Fensters ist bei guten Lichtverhältnissen etwas erkennbar, was sich im ersten Moment als Steinbrocken missdeuten lässt. Doch beim genaueren Hinsehen stellt man fest, dass es zu gleichmässig geformt und zudem vertäut ist.

Eine Aktion ist zugleich Skulptur

Es handelt sich um ein Kajak. Und das ist nicht etwa bei einem Unfall gekentert, sondern gehört genau dort hin. Anlässlich der Eröffnung von «Seesicht» hat Roman Signer das Einmannboot im Beisein des Publikums an Ort und Stelle eigenhändig versenkt. Nach Auffassung Signers ist eine Aktion, eine Performance zugleich Skulptur, eine mit einer zeitlichen Dimension. Diese ist als Metapher für Veränderungen, Vergänglichkeit oder auch Zeitlosigkeit zu verstehen.

Das Kajak als Objekt findet sich seit Jahrzehnten in Signers Kunstschaffen und wird in unterschiedliche Prozesse mit eingebunden. Seine Aktionen respektive Zeitskulpturen sind nur so weit selbsterklärend, dass sie die Fantasie der Betrachterinnen und Betrachter anregen und entsprechend auch Raum für persönliche Interpretation lassen.

So auch beim willentlich gekenterten Kajak unter der «Seesicht», das mittlerweile eine dicke Schicht an Algenwuchs angesetzt hat – und so zu einem neuen Lebensraum für die Seefauna geworden ist. (Text von Andreas Faessler)