«Es ist eine Sucht – im positiven Sinn»

Kunst & Baukultur

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Junge Sprayer wünschen sich mehr legale Flächen. Der Kanton sieht wenig Handlungsbedarf dabei war Zug früher noch Vorreiter in der Graffiti-Kultur.

  • Hätte gern mehr Wände, die die Sprayer legal verzieren könnten: Sprayer Senz. (Bild Stefan Kaiser)
    Hätte gern mehr Wände, die die Sprayer legal verzieren könnten: Sprayer Senz. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – «Es gibt nur zwei Orte in Zug, wo man legal sprayen darf beim Kulturzentrum Galvanik, im Treppenhaus und auf dem Dach sowie beim Jugendkulturzentrum Industrie 45.» Senz (Künstlername) ist Teil einer legalen Sprayer-Szene in Zug und erklärt: «Auf jeden Fall wünsche ich mir mehr Flächen, um meine Kunst zu repräsentieren.» Denselben Wunsch hegten die anderen legalen Sprayer, rund zehn an der Zahl. Grosse Wände stehen auf der Wunschliste ganz oben. Senz nennt als Beispiele «die Aussenseite der Lärmschutzwand der Autobahn in Steinhausen, die Bahnunterführung beim Hirsgarten in Cham, die Katastrophenbucht in Zug oder die grosse Betonwand Zug Bahnhof beim Siemens-Parkplatz».

In anderen Städten mehr Flächen

Der Sprayer erzählt: «Da die freigegebenen Flächen so klein und versteckt sind, gehe ich oft nach Luzern, Zürich, Basel und in den Aargau, um legal zu malen. Die Wände sind dort um einiges grösser es gibt überdachte, offene, sonnige und schattige Plätze, deshalb nehme ich den Weg auf mich.» Nichts gegen mehr legale Flächen einzuwenden hätte die Kulturbeauftragte der Stadt Zug. Jacqueline Falk ist der Ansicht: «Graffiti-Künstler haben einen spannenden Blick auf die Stadt – ihre Kunst ist eine Bereicherung.» 2014 lanciere die Stadt Zug ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum namens «Herrliche Zeiten!». Von Ende März bis Ende November setze sich dieses Projekt mit der Lebensqualität von Plätzen auseinander – für die Kulturbeauftragte ist es durchaus vorstellbar, «die Street Art da miteinzubeziehen». Generell findet Falk: «Ein offener Dialog ist wichtig. Graffiti-Künstler können auf Stadt und Private mit ihren Wünschen zugehen.»

Ob der Dialog zum Ziel führt, sei dahingestellt. Auf Anfrage dieser Zeitung teilte die Leitung Sicherheit der Stadt Zug mit, dass derzeit keine Flächen von stadteigenen Gebäuden für Graffiti zur Verfügung stünden. Beim Kanton verwies Baudirektor Heinz Tännler darauf, dass «die Freigabe von Flächen Sache der Grundeigentümer ist. Neben der öffentlichen Hand können auch Private ein entsprechendes Angebot machen.» Gefragt, was der Kanton davon halte, mit mehr legalen Flächen illegales Sprayen in genehmigte Bahnen zu lenken, antwortet Heinz Tännler: «Die Erfahrung mit freigegebenen Flächen zeigt, dass das Angebot wohl genutzt wird, aber kaum dazu beiträgt, das Sprayen in Bahnen zu lenken.» Denn: Bei legal und illegal Sprayenden handle es sich um weitgehend unabhängige Kreise. «Illegal Sprayende verstehen sich in der Regel als Teil einer Szene, die das Verbotene sucht.»

Anzeigen wegen Graffiti verdoppelt

Was diese Sprayer teuer zu stehen kommen kann: Erwachsenen, die illegal sprayen, drohen mehrjährige Freiheitsstrafen oder Geldstrafen (wir berichteten aktuell). Und: Die Zahl der Anzeigen wegen Graffiti im Kanton hat sich in den letzten drei Jahren verdoppelt. Handeln täte also durchaus not, geht man davon aus, dass der Wunsch nach legalen Flächen grösser ist als der Reiz des Verbotenen. Graffiti-Künstler Senz sagt: «Wer legal sprayt, will keinen Stress mit der Polizei, der will grillieren, Musik hören, ein gutes Bild malen, sich im Style weiterentwickeln.» Gibt aber zu: Oft fange man jung an, sehe Graffiti an der Zuglinie, sei inspiriert. Irgendwann versuche man, sich illegal den Kick zu holen. «Da gibt es schon eine gewisse Rebellion, seinen Namen zu verbreiten und dabei nicht erwischt zu werden.» Bussgelder und Haftstrafen seien der Preis. Die meisten Sprayer würden sich bald für den legalen Weg entscheiden: «Zusammen mit anderen Konzepte erstellen oder für sich alleine was Schönes sprayen macht richtig Spass es ist eine Sucht, im positiven Sinn.»

Pirmin Breu, Künstler und ehemaliger Leiter des Singisenforums Muri, denkt gerne an das Zug der Neunziger zurück: «Zug war Vorzeigebeispiel dafür, wie man Graffiti legal und sozialtauglich machen kann. Über mehrere Sommer gab es die ‹Graffiti Art Zug› am See wurde am helllichten Tag auf Leinwand gesprayt und das Geschaffene dann auch verkauft.» Über Jahre reibungslos funktioniert habe zudem das Sprayen bei der «Hall of Fame», der legalen Wand beim Bahnhof. Pirmin Breu findet: «Man kann der Problematik nur gerecht werden, wenn beide Seiten versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden.» Er selbst kläre an Schulen über Graffiti auf: über Geschichte, Technik, Legalität und Illegalität. «Es bleibt immer eine spezielle und freie Kunstrichtung, die man auf der Strasse lernt – aber auch bei Graffiti gilt respektvolles Verhalten.»

Die Wand beim Bahnhof übrigens ist heute laut SBB feste Kunst und darf weder übermalt noch übersprayt werden. Woran sich alle halten. Und auch an der Galvanik werden laut Geschäftsleiterin Eila Bredehöft die Regeln ganz klar eingehalten. «Front- und Rückfassade sind tabu, Dach und Treppenhaus werden stets neu übersprayt manchmal täglich, das Interesse ist riesig.» Bredehöft erinnert noch ans jährlich stattfindende «Rock the docks», bei dem auch diesen Sommer wieder Wände zum Sprayen aufgestellt werden. In der Industrie 45 gibt es gleichfalls einen Event inklusive Graffiti.

Im Mai darf gesprayt werden

Wie Veranstaltungsleiter Etienne Schorro mitteilt, darf am 24. Mai beim «Tribute to Hip-Hop» gesprayt werden, begleitet von DJs und auf eine Extrawand, die abends bei den Konzerten als Bühnenbild dient. Etienne Schorro sagt: «Wir schauen zu den Sprayern, es gibt da einigen Nachwuchs drei bis vier Gruppen bis zu zehn Leuten, aus Cham, Steinhausen, Zug, Baar und Hünenberg.» (Susanne Holz)