Aus dem Körper heraus

Kunst & Baukultur

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Sara Masüger hat sich als Installations- und Skulpturenkünstlerin international einen Namen gemacht. Nun steht eine Ausstellung im Zuger Kunsthaus an.

  • Sara Masüger bei der Arbeit (Bild: Katalin Deér)
    Sara Masüger bei der Arbeit (Bild: Katalin Deér)

Zug – Dieser Artikel erschien in der Oktober-Ausgabe 2024. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

Schon als Kind faszinierten Sara Masüger die Sterne. Welche Geschichten es dazu zu erzählen gibt und wie man sich an ihnen orientieren kann. Im Hundertseelendorf Finstersee, wo sie aufwuchs, suchte sie das Siebengestirn der Plejaden im dunklen Himmel. 
Heute, an einem kalten Mittwochnachmittag im Zürcher Letzigraben, scheinen ein paar verirrte Sonnenstrahlen durch die grossen Fenster in ihrem Atelier. Sie beleuchten die sieben Skulpturen, an welchen die Künstlerin für die kommende Ausstellung im Zuger Kunsthaus arbeitet – inspiriert vom Sternenbild der Plejaden. Von Sternen, die über Jahrtausende einer Vielzahl von Kulturen zur zeitlichen und örtlichen Orientierung dienten, etwa bei Ackerbau oder Seefahrt, und über die zahlreiche Geschichten und Mythen existieren: Menschen, die zu Sternen werden, Felsen, die zu Himmelsleitern wachsen. 


Raum und Körper 
Ab Ende Oktober 2024 wird Sara Masüger ihre neuste Werkgruppe gemeinsam neben Claudia Kübler und Jonas Burkhalter im Rahmen von «Turning Tide» im Zuger Kunsthaus ausstellen. Mit zwei Künstler*innen, die sie vor der anstehenden gemeinsamen Ausstellung nur flüchtig kannte. Durch die Kuratorin Jana Bruggmann verbunden, trafen sie sich erstmals für die Planung und es passte sofort, sagt Sara Masüger. 
Die Künstlerin wuchs in Finstersee auf und später in Baar, in einem kreativen Elternhaus – was ganz offensichtlich seine Spuren hinterlassen hat. Der Vater Weinhändler, die Mutter Bibliothekarin, wurde aus den drei Masüger-Schwestern eine Musikerin, eine Schauspielerin und aktuelle Co-Leiterin des Zuger Burgbachkellers sowie eine bildende Künstlerin. 
Sara Masüger gilt heute als eine der vielversprechendsten Schweizer Bildhauerinnen der jüngeren Generation. Mehrfach wurde sie für ihre Arbeiten ausgezeichnet, so zum Beispiel 2004 und 2006 mit dem Förderbeitrag des Kantons Zug oder 2015 mit einem Cahier d’artistes der Kulturstiftung Pro Helvetia. Nun steht die Gruppenausstellung im Zuger Kunsthaus an und nächstes Jahr eine grosse Solo-Ausstellung in der Lokremise St. Gallen. 
Ihre Ausbildung begann die heute 45-Jährige im Jahr 1997 an der Schule für Gestaltung in Bern, wo sie bis 2000 Freie Kunst studierte. Im Jahr darauf war sie eine von 30 ausgewählten jungen Künstler*innen, die von über 1000 Bewerbungen an der Rijksakademie für bildende Kunst in Amsterdam aufgenommen wurden. Eine Ausbildung, die mit finanzieller Unterstützung und einem eigenen Atelier mehr mit einer Residency als mit einem Studium gemein hat. Zusammen mit einem Künstler aus Indien und einer Künstlerin aus Argentinien studierte und lebte sie zwei Jahre in Holland – eine prägende Zeit für Masüger als Künstlerin. 
Ein grosser Schritt in ihrer Karriere sei jedoch das Zuger Werkjahr 2014 gewesen. Mit 50 000 Franken dotiert war es der Preis, der ihr durch den Betrag ganz neue Möglichkeiten eröffnete. «Ich konnte damit grösser denken, ich konnte mehr Material kaufen, konnte einen Assistenten bezahlen – damit wurde viel mehr machbar.» Sara Masüger kaufte sich 2,5 Tonnen Gips und schuf ihre erste raumnehmende Tunnel-Installation. Es folgten weitere Tunnel- und Grotten-Konstruktionen – weiss und ausgekleidet wie Tropfsteinhöhlen oder spiegelschwarz glänzend. Im Kunstmuseum Solothurn, im Kunstmuseum Chur. «Das Werkjahr war dementsprechend prägend für mich. Die Möglichkeit, in grösseren Dimensionen zu denken und zu arbeiten, führte dazu, dass ich von grösseren Institutionen und auch international wahrgenommen wurde», erzählt Masüger. Es entstanden neue Kontakte und es folgten Ausstellungen unter anderem in Helsinki und Stockholm. «Der Preis war ein riesiger Vertrauensvorschuss. Ich bin sehr dankbar, dass meine Arbeit so grosszügig unterstützt wurde.» 


Formen und Giessen 
Sich eine Assistenz leisten zu können, mache als Skulpturenkünstlerin einen sehr grossen Unterschied, so Masüger: «Es ist eine extrem physische, schwere Arbeit. Wenn ich installiere, bin ich manchmal zehn Stunden auf einer Leiter, halte, bohre, streiche. Da ist man irgendwann am Limit.» Normalerweise mache sie Yoga und Rückentraining, um sich für die Arbeit fitzuhalten. «Aber wenn ich über einen längeren Zeitraum an einer grossen Installation arbeite, lasse ich das Training jeweils wochenlang schleifen», sagt sie und lacht. 
Ihre neuen Figuren formt Sara Masüger aus Tonerde. «Es ist eine sehr physischer Prozess, es entwickelt sich ein Austausch beinahe wie mit einem Gegenüber.» Anschliessend baut sie eine Gussform und giesst darin ein Wachspositiv, mit dem anschliessend in der Kunstgiesserei St. Gallen mit Tombak – einer bronzeähnlichen Kupferlegierung – und einer Schamottform die Skulptur gegossen wird. 


Umziehen und Transformieren 
Bei Sara Masüger sind Leben und Arbeit eng verbunden. Besonders nachdem sie vor 19 Jahren Mutter geworden ist. Auch heute wohnt sie noch direkt über ihrem Atelier. «Früher habe ich meist nachts gearbeitet, damit ich Ruhe hatte und wirklich eintauchen konnte in die Arbeit, was tagsüber mit einem Kind oft schwierig war.» Dass sie mit ihrem Atelier in früheren Jahren oft umzog, habe sich auch auf ihre Kunst ausgewirkt. «Der Atelierraum beeinflusst die entstehenden Skulpturen stark. Die räumlichen Wechsel brachten mich jedoch dazu, die Skulpturen autonomer vom Raum zu denken und zu entwickeln. Die Skulpturen wurden kleiner, der Fokus vom Raum ging mehr zum Körper hin, dem einzigen Raum eigentlich, den man immer mitnimmt, in dem man sich immer befindet», sagt sie. Seit 2010 finden so zunehmend Fragmente von Körperteilen Einzug in ihre Objekte. Und immer stärker beginnt Sara Masüger, ihren eigenen Körper als Ausgangspunkt zu nutzen. Vor allem Hände oder Teile des Kopfes verbinden sich in ihrer Arbeit zu abstrakten, teils apokalyptisch und unheimlich anmutenden Objekten und Landschaften. Schafft Sinnbilder für körperliche Erinnerung, Transformation und Vergänglichkeit. Und doch sind ihre Arbeit und besonders die Präsentation stark vom Raum abhängig geblieben. «Ich beende meine Arbeiten immer im Raum. Für die finalen Entscheidungen ist er sehr wichtig», sagt Masüger. 
So auch in ihren neusten Skulpturen, die im Kunsthaus wie das Sternenbild angeordnet werden. Neben diesen wird sie bei der Ausstellung auch zwei bestehende Werkgruppen zeigen. Zum einen «Kinetic replacement», bei der sie Bewegung in Skulpturen übersetzte, und eine, die sich «Halbsatz zur Schwerkraft» nennt. 


Felsen und Grotten 
«Bei den Plejaden interessiert mich besonders, die ungewöhnlichen matriarchalen Erzählungen aus den unterschiedlichsten Kulturen skulptural neu zu denken», erklärt Masüger. Besonders spannend sei für sie dabei die Geschichte des indigenen nordamerikanischen Volksstamms der Kiowa, die zum einen von den Plejaden handelt, zum andern von der Entstehung des berühmten Felsens Tree Rock. Die Geschichte erzählt von sieben Mädchen, die ausserhalb des Dorfes spielten, von Bären angefallen wurden, auf einen Felsen kletterten und diesen darum baten, zu wachsen, um sie vor den Bären zu retten. 
Der Felsen wuchs in die Höhe, immer weiter und höher, und schliesslich sprangen die sieben Mädchen in den Himmel hinauf, um zu Sternen und gemeinsam zu den Plejaden zu werden. Eine Geschichte, die nicht nur mit Felsen, Grotten und Steinen spielt, die ganz zentral für Sara Masügers skulpturales Schaffen sind, sondern auch eine Verwandlung, eine Transformation beschreibt, die bei ihr immer wieder eine wichtige Rolle spielt. 

 

Text: Jana Avanzini