«Ich gebe Einblicke, die es sonst nicht gibt»
Musik
Die junge Geigerin Esther Abrami ist ein Klassikstar auch auf Social Media. Und sagt vor ihrem Konzert in Unterägeri, wie das zusammen geht.
Unterägeri – Sie arbeiten mit verschiedenen Marken zusammen, haben eine grosse Followerschaft online und sind gleichzeitig aktive klassische Musikerin. Wie gehen Sie mit dieser Doppelbelastung um?
Esther Abrami: Ich gebe mein Bestes, aber es lastet tatsächlich sehr viel Druck auf mir. Gerade jetzt, wo mein neues Album erschienen ist. Zum Üben, Konzerte-Spielen und Content-Produzieren kommen derzeit noch Auftritte in Fernsehshows und Interviews. Es ist viel, aber ich versuche ans Ende dieser intensiven Zeit zu schauen, wenn es ein bisschen ruhiger wird. Aber natürlich gibt mir das, was jetzt passiert, auch wieder Content, den ich später verwenden kann.
Wenn Sie Konzerte geben, dann ist Ihre Präsenz begrenzt. Das Social-Media-Publikum ist Präsenz rund um die Uhr gewohnt. Wie bringen Sie diese beiden Welten unter einen Hut?
Viele Leute verstehen nicht wirklich, wie das Leben als klassische Musikerin ist. Wenn man selbst nicht dieses Leben führt oder mit klassischen Musikern als Eltern aufgewachsen ist, gibt es kaum eine Möglichkeit, in diese Realität Einblick zu erhalten. Die Opfer, die man bringen muss, die ungeheure Arbeit, bis man überhaupt gehört werden will, der stressige Alltag. Gerade das will ich auf Social Media zeigen. Ich nehme Übevideos auf, ich mache Videologs und dokumentiere meine Reisetage. Ich gebe Einblicke, die es sonst nicht gibt.
Warum gibt es diese Einblicke Ihrer Ansicht nach so wenig?
Es gibt kaum klassische Musiker, die offen damit umgehen, welches Leben mit ihrer Karriere einhergeht. Sich so vollständig zu zeigen, auch neben der Bühne, ist nicht die Norm. Es gibt eine viel zu grosse Barriere zwischen dem Publikum und dem Künstler. Man geht eher für Stücke, die aufgeführt werden, ins Konzert, als für den Künstler. Doch dieses Vorwissen und Interesse haben logischerweise nur eine limitierte Anzahl von Personen.
Und das ändert sich, wenn das Programm nicht klassische Musik ist?
Ja, komplett. Ich bin letzten November mit meinem Partner in Zürich aufgetreten, ein DJ-Set mit Violine in einem Club. Es macht einem bewusst, wie anders die Verbindung zum Publikum ist. Da animiere ich die Leute zum Klatschen, rede mit ihnen, interagiere den ganzen Abend. Nicht so bei klassischen Konzerten: Man spielt, man verbeugt sich, man geht. Da fehlt etwas. Ich verstehe, dass es traditionelle Konzerte gibt und auch in Zukunft geben wird, aber ich glaube, dass wir trotzdem eine Geschichte erzählen müssen mit unseren Programmen und vielleicht tatsächlich mit dem Publikum reden müssen, um es zu involvieren.
Sie wurden von verschiedener Seite für die Publikation von Ferienbildern auf Ihrem Instagramkanal kritisiert. Privates und Berufliches verschmilzt dabei. Wie gehen Sie damit um?
Wann immer man etwas Neues versucht – gerade in der Kunst – wird man kritisiert werden. Man hat Angst vor Erneuerung, Angst, etwas zu ändern, was seit Hunderten von Jahren auf eine bestimmte Weise gehandhabt wird. Was ich beitrage, ist neu und anders. Ich mag zum Beispiel Mode, darum zeige ich mich mit meinem Stil und arbeite mit Modemarken zusammen. Ich mag es, auch andere Seiten von mir zu zeigen. Aber ich wähle aus, was ich mit der Öffentlichkeit teilen will. Ich poste nur, was mich nicht stört, wenn es die Leute wissen.
Was ist Ihr Ziel mit Ihrem Social-Media-Auftritt?
Ich will klassische Musik einer breiteren Masse schmackhaft machen, sie kann genauso populär sein wie andere Genres. Viele Leute folgen online eher mir als Person und nicht als klassischer Musikerin. Dasselbe gilt für die Musik. Wir können nicht erwarten, dass jemand ohne Vorwissen eines Tages eine Eingebung erhält und plötzlich Beethoven hören gehen will. Es bedeutet dieser Person nichts. An einem Konzertabend will das Publikum auf eine Reise gehen, eine Geschichte erleben. Wenn wir einen Bezugspunkt bieten können – eine bekannte Persönlichkeit, ein Film, ein modischer Stil – wird sich auch ein grösseres Publikum für die Musik begeistern.
Es ist ein grosser Schritt vom Soundtrack einer Videospiel-Verfilmung auf Ihrer neusten CD zu Ralph Vaughan Williams’ Violinkonzert «The Lark Ascending», das Sie am Dienstag in der Ägerihalle spielen. Welche Geschichte wollen Sie da erzählen?
Die Stücke auf meinem Album haben bereits eine Hintergrundgeschichte. Die meisten stammen aus einem Film oder einer Serie, die Leute verbinden ihre eigenen Emotionen damit. So kann man sie abholen. Zu «The Lark Ascending» habe ich eine persönliche Verbindung. Damit hatte ich letztes Jahr mein Debüt in der Royal Albert Hall in London mit dem London Philharmonic Orchestra. Ich will das Publikum an dieser Verbindung teilhaben lassen.
Und was ist der Hintergrund des restlichen Programms?
Es sind viele Komponistinnen dabei. Jede von ihnen hat ein faszinierendes Leben geführt. Im Konzert beschäftigen wir uns selten mit den Hintergründen, mit dem Leben der Komponisten, gerade bei Frauen. Ich werde ihre Geschichte zwischen den Stücken erzählen. Ich setze mich dafür ein, dass Frauen in der klassischen Musik mehr Platz einnehmen, auch mit meinem Podcast, in dem ich klassische Musikerinnen interviewe.
Also «Women in Classical Music» und Crossover-Projekte?
Genau, das sind wohl meine zwei grossen Kämpfe, wenn ich das so sagen darf. Ich will die Klassik weiterentwickeln, in sich, aber auch ausserhalb. Ich will Brücken bauen, genau dafür habe ich meine Social-Media-Präsenz. (Interview: Diana Sonja Tobler)
Konzerthinweis Esther Abrami, Violine, und Rose McLachlan, Klavier: Di, 3. Oktober, 19.30, Ägerihalle, Unterägeri. Weitere Informa_tionen und Tickets unter www.keresztesartists.ch