Wem gehört mein Leben und mein Tod?
Theater & Tanz
Mit dem Stück «GOTT» des Juristen, Dramatikers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach brachten das Theater Casino Zug und die Chollerhalle die ethisch umstrittene Thematik des assistierten Suizids auf die Bühne. Das Publikum wurde dabei gefordert.
Zug – Die Publikumsränge in der Chollerhalle umrahmen die einfache Bühne von drei Seiten. Das Haus ist ausverkauft, der Andrang zur Stück-Einführung im Foyer war gross. Das angesagte Thema scheint unter den Nägeln zu brennen.
Zentral in der Mitte eine Art Laufsteg. Dahinter gruppiert sich ein fiktionaler Ethikrat, präsidiert von einer Vorsitzenden (Tonia Maria Zindel). Zuvorderst, im Zentrum, die 78-jährige Elisabeth Gärtner (Heidi Maria Glössner), um deren Anliegen es geht. Nach dem Tod ihres langjährigen Ehepartners Richard möchte sie nicht mehr weiterleben: «Alles hat sich seitdem verändert. Er fehlt mir bei allem, was ich tue». Sie hat ihre Ärztin Brandt (Rebecca Indermaur) um das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital gebeten.
Frau Gärtner ist gesund und nicht depressiv, nur traurig und lebenssatt, und sie möchte einst nicht sterben wie ihr Mann: langsam und qualvoll, weil die Ärzte nicht bereit waren, ihn von schwerer Krankheit zu erlösen. Befragt von ihrem Anwalt Biegler (Manuel Herwig), steigt Gärtner auf den Steg zwischen den Zuschauern und legt engagiert dar, was sie bewegt: das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. «Mein Suizid soll über mich hinausweisen», er soll die Botschaft aussenden, dass ihr Sterbewunsch weder amoralisch noch krank sei. Sondern Ausdruck des freien Willens. Sie hat sehr lange darüber nachgedacht und ist bereit zu gesellschaftlicher Auseinandersetzung.
Erörterung eines Sterbewunschs
Und darum geht es in den folgenden zwei Stunden im Stück «GOTT» von Ferdinand von Schirach – um Leben und Sterben und die persönliche Entscheidung darüber. Da der Einzelmensch aber sozial eingebettet ist, ergeben sich Konflikte mit der Umwelt: medizinische, ethische, theologische, juristische. Diese sind personifiziert in weiteren Figuren des Ethikrates: der Juristin Litten (Vera Bommer), dem Arzt und FMH-Vertreter Sperling (Marco Luca Castelli) und dem Bischof Thiel als Mitglied der Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz (Kurt Grünenfelder). Der Jurist Keller (Nikolaus Schmid), rechts platziert, nimmt die Gegenposition zu Gärtners Verteidiger Biegler ein.
In einer Art Gerichtsverhandlung mit etwa 10 Stationen (unterbrochen durch das Cello-Spiel von Bernadette Köbele) wird Frau Gärtners Sterbewunsch von allen Seiten erörtert, wobei der jeweils Plädierende vom Mittelsteg aus ins Publikum spricht. Die Figuren fühlen sich gegenseitig auf den Zahn, entlarven dabei Widersprüche und Spitzfindigkeiten.
«GOTT» ist ein Stück, das an das Publikum hohe Anforderungen stellt – es muss komplex mitdenken, widersprüchlichste Positionen nebeneinanderhalten und – am Ende per Knopfdruck entscheiden. Inszeniert hat das Stück für Zug Barbara-David Brüesch, bekannte Schweizer Regisseurin und Schauspieldirektorin am Theater St. Gallen. Bereits 2020 wurde «GOTT» unter der Regie von Oliver Berben mit prominenter Besetzung verfilmt, übers Fernsehen ORF, ARD und SRF ausgestrahlt und von einem Millionenpublikum verfolgt. Brüesch hat das Stück in Zusammenarbeit mit Jonas Bernetta auf die spezielle Situation der Schweiz angepasst und aktualisiert.
Auch in der Chollerhalle prallen die unterschiedlichsten Haltungen aufeinander. Während in der Schweiz weder der Suizid noch die Hilfe dazu unter klar vorgegebenen Richtlinien (gemäss Exit: Urteilsfähigkeit, Wohlerwogenheit, Konstanz und Autonomie des Suizidwunsches, eigenhändige Ausführung) juristisch verboten sind oder strafverfolgt werden, schlagen sich Ärzte noch immer mit dem hippokratischen Eid herum, der unter allen Umständen Leben erhalten soll. Und die Figur des Bischofs verficht – mühsam historisch hergeleitet – weiterhin eisern das biblisch-christliche Tötungstabu.
Konträre Auffassungen
Am Ende fassen die beiden Rechtsanwälte Keller und Biegler die konträren Auffassungen zusammen. Einerseits der Mensch als soziales Wesen: Ist Suizid nicht oft an Einsamkeit gekoppelt, wäre nicht mehr Solidarität, mehr Ermutigung zum Leben, mehr Begleitung, Therapie und Palliative Care gefordert? Auf der anderen Seite die bohrenden Fragen des Individuums: Muss ich – angesichts eines gigantischen lebenserhaltenden Medizinapparates – nicht sowieso selbstständig über mein Ende bestimmen? Wem gehört mein Leben und mein Tod: einem Gott als einer unverfügbaren überindividuellen Instanz, meiner Familie, meinen Freunden, der Gesellschaft oder – mir, nur mir allein?
«Halten Sie es für richtig, dass Frau Gärtner Natrium-Pentobarbital bekommt, um sich zu töten?», so lautete am Ende die Frage ans Publikum. Es stimmte ab: mit 74,33 Prozent Ja gegen 25,67 Prozent Nein. (Text ; Dorotea Bitterli)