Kino im Blut

Film & Multimedia

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Seit 100 Jahren betreibt die Familie Hürlimann die Zuger Kinos. Trotz schwierigen Zeiten entwickeln die Erben und Brüder Alban und Adrian Hürlimann noch immer Zukunftsvisionen.

  • Die Zuger Kinos werden 100 - und blicken auf spannende Zeiten zurück. (Bild: PD)
    Die Zuger Kinos werden 100 - und blicken auf spannende Zeiten zurück. (Bild: PD)

Zug – Dieser Artikel ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den weiteren Artikeln. 

 

«Wann waren Sie zum letzten Mal bei uns?», fragt Alban Hürlimann fast argwöhnisch, als wir das Kino Gotthard betreten. Er und sein Bruder Adrian empfangen uns im Foyer und führen kurz durch die Räumlichkeiten des Arthouse-Filmtheaters. Hier, gleich neben dem Zuger Bahnhof, eröffnete 1923 das Grand Cinema Zug. Jetzt feiern die Zuger Kinos ihr 100-Jahr-Jubi­läum. 
Wir setzen uns gemeinsam an einen Tisch im Mezzanin. «Die 100 Jahre Zuger Kinos machen uns unsere Verantwortung für diesen Betrieb bewusst», sagt Alban Hürlimann. Er lehnt sich in seinem Stuhl so weit zurück, sodass sich dessen vorderen Beine vom Boden abheben. «Es zeigt einfach, wie gewaltig die Geschichte dieser Kinos ist.» Eine Geschichte, geprägt von Mut, Durchhaltevermögen und einer grossen Portion Idealismus.

Eine «grande dame» gründet Zuger Kinos
Gründerin der Zuger Kinos war Alban und Adrians Grossmutter Veronika Hürlimann-Schwei­kher, geboren 1891 und Filmliebhaberin der ersten Stunde. Gemeinsam mit dem Badener Filmpianisten und Kinobesitzer René Marchal eröffnete sie 1923 das Grand Cinema Zug und erfüllte sich damit einen grossen Traum.
Der erste Film, der über die Leinwand flimmerte, war «Die Elektrifikation der Bundesbahnen». Bereits ein Jahr später übernahm Hürlimann-Schweikher nach einem Streit über intransparente Rechnungsführung die Anteile von Marchal und führte von da das Kino allein. Sie sollte das ganze 51 Jahre lang tun. In die Zeit der «grande dame» fielen die wilden 20er, die Erfindung des Tonfilms 1929, des Farbfilms 1935, der Zweite Weltkrieg sowie die Zeit des grossen Filmbooms danach. Das Geschäft lief, weitere Standorte kamen zum Grand Cinema hinzu: Etwa übernahm sie ab 1929 den Filmbetrieb im Zuger Hotel Ochsen und betrieb ihn bis 1948, auch betrieb sie zwischen 1937 und 1966 das Capitol in Baar, welches als Revolverküche bekannt war. 

Zum Start ein Skandal
Zwei Kinos bestehen dabei bis heute: das Zuger Seehof und das Cinéma Lux in Baar. «Unsere Grossmutter konnte sich kaum vorstellen, dass jemand anderes als sie selbst einst die Geschicke der Häuser leiten könnte», erzählt Alban Hürlimann. Es gab jedoch eine Ausnahme: Bruno Ulrich. Ab 1976, nach dem Tod von Veronika Hürlimann-Schweikher, pachtete er die Kinos. «Über ihn sprach Grossmutter immer wohlwollend. Sie wollte, dass er den Betrieb übernimmt», sagt Alban Hürlimann heute. Ulrichs Start war jedoch kein einfacher: 1977 löste er einen Skandal aus, als er beschloss, den französischen Film «Emmanuelle» zu zeigen. Die Romanverfilmung mit der holländischen Schauspielerin Sylvia Kristel ist ein erotisches Drama, in dem die Protagonistin nach Bangkok reist, um erotische Abenteuer zu erleben. In Zug führte die Ankündigung der öffentlichen Vorführungen einen Sturm der Entrüstung aus, es folgte gar eine Gerichtsverhandlung gegen Ulrich. 1978 folgte der Freispruch. «Emmanuelle» sei zwar «nach heutigem Empfinden in einzelnen Szenen der Grenze des Tolerierbaren nahe, im Ganzen aber nicht unzüchtig».

Das Kino lief immer mit
Auf schwierige Jahre folgten Blockbuster-Sommer. 1999 übernahm schliesslich mit Alban und Adrian Hürlimann die dritte Generation das Steuer. Alban Hürlimann sagt: «Die Kinos waren die Bedingung, die unsere Existenz immer umrahmt haben. Das Kino lief in unserem Leben immer mit.» 
Alban ist gelernter Goldschmied, Bruder Adrian studierte Deutsche Literatur und Publizistik, war Kulturredaktor bei «Zuger Zeitung» und der «Zuger Presse». Im Kinobetrieb mussten sie ihre Rollen zuerst finden. Heute sind diese klar verteilt: Alban ist eher der Handwerker, er leitet Umbauprojekte und technische Entwicklungsprojekte. Adrian hingegen ist der Filmliebhaber, er verfolgt das Angebot im Arthouse-Kino Gotthard mit Sorgfalt und tiefer Kenntnis der Filmgeschichte. Geholfen bei der Rollenverteilung habe Thomas Ulrich, Sohn des vorgängigen Pächters Bruno Ulrich. Seit der Übernahme vor 24 Jahren waltet er als Geschäftsführer. «Er ist die nüchterne Stimme und Sicht von aussen, die Adi und ich unbedingt brauchen», sagt Alban Hürlimann.
Dabei waren die vergangenen Jahre für die Zuger Kinos nicht einfach. Seit 2019 spielen die Betriebe Verlust ein. Sinkende Eintritte sind seit Längerem ein Problem, doch war es die Coronapandemie, welche die Kinos besonders hart traf. Nach drei Jahren mit einschneidenden Massnahmen kamen die Leute erst nur zögerlich zurück. Dafür brauchte es ein überwältigendes Blockbuster-Duo in diesem Sommer: «Barbie» und «Oppenheimer» bescherten auch den Zuger Kinos einen sorgenfrei(er)en Sommer. Alban Hürlimann sagt: «Es tat schon gut, nach so langer Zeit wieder einmal Filme zeigen zu können, die während Monaten die Säle füllen.»
Trotzdem: Heute wird das Defizit der Kinos dank der Vermietung von Räumlichkeiten in den Liegenschaften, in denen die Kinos operieren, ausgeglichen. «Die Mieteinnahmen erlauben es uns, die Kinos weiter zu betreiben. Und das wollen wir auch in Zukunft tun», sagt Adrian Hürlimann. Da seien sie Idealisten, Gewinn sei da zweitrangig. Deshalb gilt: «Ab einer Person wird bei uns gespielt.»

Den Studiofilm immer gefördert
Alban Hürlimann ist 70, Adrian 73 Jahre alt. Sie erlebten bahnbrechende Entwicklungen des Kinos hautnah mit: die sexuelle Revolution 1968, die skandalträchtigen 70er- und 80er-Jahre sowie der damit einhergehende Freiheitsgewinn der (Film-)Kunst. Sie erlebten aber auch die Eroberung des Kinomarkts durch Multiplexkinos, eine zunehmende Ideenlosigkeit aus Hollywoods Mainstreamproduktion und technologische Entwicklungen wie den 3D-Film und den Streamingmarkt.
Hürlimanns verstanden es dabei immer, mit der Zeit zu gehen und ihre Kinos zu modernisieren. Vor drei Jahren bauten sie das Kino Lux um und modernisierten die Anlage. Und erst kürzlich wurde das Kino Gotthard aus dem Inventar für schützenswerte Bauten entfernt. Auch hier ist nun ein Umbau möglich. 
Was genau hier entstehen soll, wissen die Brüder noch nicht. Man prüfe noch verschiedene Ideen. Vielleicht wird man «gesundschrumpfen» – was immer das bedeute. Auf jeden Fall sei es viel Arbeit, sagt Alban Hürlimann, aber die Energiereserven seien auch nach der Coronapandemie noch gefüllt. «Was immer wir machen, die Investition wird dreissig Jahre halten müssen, was sie verspricht.»

Studiofilme und Blockbuster
Was sicher ist: Filme werden auch im Gotthard weiterhin gezeigt und es wird Arthouse sein, sagt Adrian Hürlimann, der oft im Saal des ältesten ihrer Kinos anzutreffen ist. Aber aus unternehmerischer Sicht sei klar: Das Programm der Zuger Kinos braucht sowohl Studiofilme als auch Blockbuster. Da sei man pragmatisch, anders gehe es nicht. «Es geht immer um die Balance.» Neben der zweiten wichtigen Zutat: viel Idealismus.


Hier gehts zum Festivalstart: zugkultur.ch/BZXDNf

 

(Autor: Pascal Zeder)

 

Box: So feiern die Zuger Kinos. 

50 Filme an fünf Tagen, für jeweils fünf Franken Eintritt: Die Zuger Kinos feiern ihr Jubiläum gründlich. Das Programm sieht so aus: 

Freitag, 10. November: 
Nuovo Cinema Paradiso (1988), 
Kino Gotthard, 20.15 Uhr

Samstag, 11. November: 
Filmklassiker-Marathon Tag 1
Kino Seehof, Gotthard und Lux, ab 9.30 Uhr

Sonntag 12. November:
Filmklassiker-Marathon Tag 2
Kino Seehof, Gotthard und Lux, ab 9.30 Uhr

Montag, 13. November:
100 Jahre Kino Gotthard
Die Elektrifikation der Schweiz. Eisenbahnen (1921–26). Stummfilm mit Live-Begleitung. 
Kino Gotthard, 18 Uhr und 20.30 Uhr

Öffentlicher Apéro, Kino Seehof,
19.15 Uhr bis 20.15 Uhr

Dienstag, 14. November:
Zuger Filmtage «Award Night»
Kino Seehof, 18.30 Uhr

www.kinozug.ch