Tanz zwischen Sturz und Neuanfang

Theater & Tanz

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Das Sturzballett bricht mit gewohnten Theaterkonventionen und fordert das Publikum heraus, über Scheitern und Neuanfang nachzudenken. Die Uraufführung des Tanztheaters fand in der Chollerhalle in Zug statt.

  • Bananenkostüme und Pizzaschachteln – eine groteske Szene des Sturzballetts. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 4.10.2024)
    Bananenkostüme und Pizzaschachteln – eine groteske Szene des Sturzballetts. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 4.10.2024)

Zug – Bereits in den ersten Sekunden im Stück wird dem Zuschauer am Samstagabend in der Chollerhalle klar, dass dieses Theaterstück mit den herkömmlichen Sehgewohnheiten bricht. Der Schauspieler ist nicht mehr nur einfach Sender und der Zuschauer nicht mehr nur Empfänger, wie das meistens im Theater üblich ist. Stattdessen wird das Publikum aufgefordert, sich aktiv mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen. Was passiert auf der Bühne? Das Ensemble tritt in Bananenkostümen auf und trägt Pizzaschachteln – eine groteske und zugleich befremdliche Szenerie. Wozu? Warum? Weshalb? In der hintersten Reihe applaudiert ein vermeintlicher Zuschauer und steigt auf die Bühne. Es stellt sich heraus, dass auch er Teil des Ensembles ist. Doch was genau zeigt diese Gruppe?

Mit «Falling in Life» fordert das Sturzballett seine Zuschauer heraus, gewohnte Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Das Stück spielt mit Erwartungen, bricht mit Konventionen und lädt das Publikum ein, sich zu fragen: Was bedeutet es, zu scheitern? Was bedeutet es, nicht den Normen zu entsprechen?

Die grotesken Bananenkostüme und Pizzaschachteln wirken im ersten Moment wie ein surrealer Witz, doch hinter dieser Absurdität verbirgt sich eine tiefere Bedeutung. «Wir wollen mit den Erwartungen spielen und zeigen, dass im Leben nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint», erklärt Fanny Zihlmann. Sie hat zusammen mit Daniel Korber das Projekt Sturzballett ins Leben gerufen

Der Sturz als Metapher für das Leben

Im Zentrum der Aufführung steht der Sturz – nicht als Moment des Scheiterns, sondern als Beginn eines Neuanfangs. «Was passiert, wenn wir fallen?», fragt Co- Leiter Daniel Korber. «Der Sturz ist unvermeidlich im Leben, aber er ist nicht das Ende.» Diese Idee zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Inszenierung. Das Ensemble – bestehend aus Menschen mit und ohne körperliche Einschränkungen – nutzt den Tanz, um die Frage nach dem Umgang mit Rückschlägen und unerwarteten Wendungen zu stellen. Was geschieht zwischen den ersten Schritten im Leben und dem finalen Sprung? Und vor allem: Wie meistern wir den unvermeidlichen Fall? In dieser Inszenierung wird der Sturz nicht als Versagen, sondern als Chance zur Veränderung inszeniert. Dies geschieht spannend, unkonventionell, aber niemals moralinsauer.

Beeindruckend ist die körperliche Vielfalt auf der Bühne. Menschen mit und ohne Behinderungen tanzen Seite an Seite, dabei verschwinden ihre Unterschiede zusehends. «Inklusion und Beeinträchtigung sind hier nicht das Thema», betont Zihlmann. Stattdessen geht es darum, das Potenzial jedes Einzelnen zu zeigen – unabhängig von physischen Grenzen. Die Künstlerinnen und Künstler nutzen ihre individuellen Möglichkeiten, um eine kollektive, kraftvolle Darbietung zu schaffen.Der Sturz als Metapher für das Leben ist hier nicht nur eine narrative Idee, sondern eine physische Realität. Die Tänzerinnen und Tänzer stürzen, stehen wieder auf, rutschen aus und finden neue Wege, sich auszudrücken. «Wir wollen zeigen, dass Kreativität keine Grenzen kennt – weder körperlich noch geistig», sagt Korber.

Ein Ende ohne Antwort

Am Ende des Abends bleibt vieles offen. Die Fragen, die aufgeworfen wurden – Was passiert, wenn wir fallen? Wie gehen wir mit Rückschlägen um? – finden keine klaren Antworten. «Es gibt keine zentrale Botschaft», sagt Zihlmann. «Jeder soll das für sich herauspicken, was ihn oder sie am meisten bewegt.»

Die Aufführung fordert dazu auf, das Leben in all seinen Unsicherheiten und Stürzen zu akzeptieren – und sich gleichzeitig die Freiheit zu nehmen, wieder aufzustehen. Das Publikum verlässt die Chollerhalle vielleicht mit einem Gefühl des Unbehagens, vielleicht auch mit einem Schmunzeln auf den Lippen, aber es verlässt die Aufführung auf jeden Fall mit der Erkenntnis, dass jeder Sturz eine Chance birgt. Der letzte Applaus hallt nach – als Echo der Stille, in der sich die wahren Fragen des Lebens verbergen.

Hinweis

Sturzballett: «Falling in Life»: zu sehen am 18. und 19. Oktober in Winterthur (Theater am Gleis) und am 25. Oktober in Bern (Heitere Fahne). Weitere Infos gibt es unter: www.sturzballett.com.


(Text: Haymo Empl)