Auf in die Schatzkammer

Brauchtum & Geschichte

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Das Museum für Urgeschichte(n) nutzt seine letzte Sonderausstellung im alten Haus für einen Blick in verschiedene Vergangenheiten – auch in die eigene.

  • Objekte, die gleich zwei Geschichten erzählen - eine von vor Tausenden von Jahren, und eine bei ihrer Entdeckung im 19. Jahrhundert. (Biulder: Thierry B. Burgherr)
    Objekte, die gleich zwei Geschichten erzählen - eine von vor Tausenden von Jahren, und eine bei ihrer Entdeckung im 19. Jahrhundert. (Biulder: Thierry B. Burgherr)
  • Auch ein Münzschatz darf in der Schatzkammer nicht fehlen.
    Auch ein Münzschatz darf in der Schatzkammer nicht fehlen.
  • Wie wohl das Leben dieses frühmittelalterlichen Menschen in Baar war? Was hat ihn wohl bewegt? Wie ist es ihm wohl ergangen? Das Museum erlaubt eine Berührung mit unserer Vergangenheit.
    Wie wohl das Leben dieses frühmittelalterlichen Menschen in Baar war? Was hat ihn wohl bewegt? Wie ist es ihm wohl ergangen? Das Museum erlaubt eine Berührung mit unserer Vergangenheit.
Zug – Dieser Artikel ist in unserer Dezemberausgabe erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Unter dem Beton, unter den Kellern, unter der dünnen Schicht an hektischem Alltag, da liegen die Schätze vergraben. Schätze, die man nur findet, wenn man den Bagger, die Schaufel, den Metalldetektor in die Hand nimmt. Schätze, die  tausende Jahre lang schlummern, vielleicht versteckt in der Not und dann nie mehr gefunden. Der Boden unter unseren Füssen ist eine Zeitmaschine.
Wir tauchen in die Erde, graben uns in den Humus, wühlen durch den Gletscherkies, lassen die letzten hundert, zweihundert, tausend und zweitausend Jahre an uns vorbeiziehen. Und da sind sie: Knochen von Menschen, die hier im Gebiet des heutigen Kantons Zug lebten, zu einer Zeit, als das römische Reich erstmals seine Fühler hierhin ausstreckte, fünfzig, hundert Jahre v.  Chr. Menschen, die dachten, fühlten, handelten wie wir. Und die gerne, wenn sie auf ­Wanderschaft waren, ein paar Münzen spendeten – dem Wegheiligtum zum Beispiel. Und nun liegen diese Münzen im Sonderausstellungsraum des Museums für Urgeschichte(n).
Wenn der Boden unter unseren Füssen eine Zeitmaschine ist, ist das Museum für Urgeschichte(n) das Glasbodenboot, mit dem wir durch diese Vergangenheit fahren dürfen. Es ist ein Schaufenster der Arbeit der Zuger Archäologinnen und Archäologen, und gleichzeitig eine Schatzkammer für die Artefakte, die uns der ­Boden nach all den Jahren wieder ausgehändigt hat. Mit der neuen Sonderausstellung «Zug – eine Schatzkammer der Archäologie» will das Haus dieser Geschichte gerecht werden: Es ist eine Schau auf die prägendsten Momente in der Geschichte der Zuger Archäologie. Und sie fängt an mit dem Anfängergeist der ersten Hobby-Archäologen.

Dinge, die gleich zwei Geschichten erzählen
«Am Anfang waren das einige prägende Menschen, die angefangen hatten, nach Altertümern zu graben und Dinge zu finden», sagt Ulrich Eberli, der Museumsleiter. «Besonders bei der Vorstadtkatastrophe 1887 kamen viele Artefakte zum Vorschein», ergänzt Dorothea Hintermann. Mit den Funden der Pfahlbauersiedlungen entstand auch eine Sammelleidenschaft – und so etwas wie ein Hype für Archäologie. In der Vitrine liegen Steinbeile, die von den Findern mit Inschriften verziert wurden – und mit ironischen Sprüchen über die geschätzten Konkurrent:innen bei der Artefaktsuche.
Diese Dinge erzählen gleich zwei Geschichten: Hergestellt und genutzt von Menschen in einer Zeit vor dem Metall, gefunden in einer Epoche des bürgerlichen Erwachens und kreativ weitergestaltet. Und nun Teil des historischen Erbes, kleine Zeugen einer Zeit, in der Archäologie etwas war, was man als Hobby mit einer Schaufel in der Hand selber betreiben konnte. Damals ging auch viel verloren und kaputt – die Sammlerinnen und Sammler wollten nur die schönsten Stücke behalten. «Heute wird das anders gemacht», sagt Hintermann, «heute werden der Kontext, die Scherben, die Schlacke und die Knochenreste als genauso interessant erachtet, einfach weil sie so spannende Geschichten erzählen.» Grämen muss man sich über die ruppigen Anfänge der Archäologie aber nicht. «Das waren Menschen, die ein kleines Loch mit einer Schaufel gegraben haben», sagt Eberli. «Heute wird mit jeder Baggerschaufel viel mehr unwiederbringlich zerstört.»
Die damals gefundenen «Celtensteine» legten gleichzeitig den Grundstein für das Museum für Urgeschichte(n): 1930 wurde die erste Version des prähistorischen Museums eröffnet.

Eine Grundlage für Veränderung
Ausgrabungen als Hobby, das geht heute nicht mehr, sagt Hintermann und lacht, «aber auch heute lässt sich die Faszination mit den Menschen teilen: Indem wir miteinander hier im  useum Artefakte nachbauen oder Techniken ausprobieren.» Und Geschichten erzählen. «Das ist unsere Aufgabe, die Puzzlestücke zusammenzufügen und herauszufinden, welche Geschichten dahinterstecken könnten», sagt ­Eberli.
Mit der Ausstellung will das Museum noch eine weitere Geschichte erzählen, nämlich die eigene. «Wir wollten zeigen, was in den letzten Jahrzehnten hier an wertvollen Einblicken in die Vergangenheit gezeigt werden konnte», sagt Eberli. Das ist auch ein politisches Argument – immerhin steht fürs Museum Veränderung an. Mit dem Umbau des Gebäudes wird auch das Museum neu gedacht werden müssen. «Damit wir das auf einer guten Grundlage tun können, wollten wir die Geschichte des Museums greifbar machen», sagt Eberli.
Denn immer, wenn das gelingt, wird die Qualität des Museums sofort spürbar. So war’s auch bei den Funden aus Steinhausen Chollerpark – Holzteile einer abgebrannten Siedlung, Balken und Bretter, Schindeln, Zapfen und Schlitzverbindungen, wie sie auch heute noch an zimmermännisch hergestellten Holzbauten zu sehen sind. Bernhard Bigler, der Sammlungskurator des Museums, sagt: «Diese Funde waren für das Museum entscheidend.»

Politik reagierte prompt
Obwohl die Holzteile einfach anmuten, waren sie beim Publikum ein voller Erfolg. Es hat etwas Verbindendes, wenn man hier sehen kann: Auch vor 3000 Jahren, gegen Ende der Bronzezeit, schufen Handwerker mit denselben Überlegungen tragende Verbindungen, wie das Handwerker heute noch tun. Es ist einer der wichtigsten Funde – nicht wegen der Pfahlbauersiedlungen, die von der Unesco als Welterbe anerkannt und damit auf eine Stufe mit Pyramiden und der Chinesischen Mauer gestellt wurden, in Bezug auf das Verständnis der menschlichen Entwicklung. Sondern auch ganz konkret für das Museum. Denn es war klar: Diese Funde müssen ausgestellt werden können. Die Politik reagierte prompt und der Kantonsrat entschied einstimmig, dem Museum einen neuen Raum zur Verfügung zu stellen. Es ist dieser Raum der Sonderausstellungen, in dem wir uns gerade befinden. Die Schatzkammer des Museums.

Ein Brauch, der noch lebt
Eine Schatzkammer wäre aber nicht komplett ohne haufenweise Münzen. 12 Schatzfunde sind im Kanton gemacht worden. Fünf davon sind hier ausgestellt. Gefunden wurden sie von spezialisierten Personen mit Metalldetektoren – ­einige wenige erhalten vom Kanton die Erlaubnis und den Auftrag, sich auf die Suche zu machen. Mit Erfolg. «Die grossen Münzen stammen von Wegheiligtümern», sagt Hintermann – sie waren quasi das Kleingeld der damaligen Zeit, das man einem Wegheiligtum zuwarf und um eine gute Wanderung bat. «Das ist im Grunde derselbe Brauch, wie wenn wir heute Münzen in den Trevi-Brunnen in Rom werfen.»
Die kleinen Silbermünzen wiederum stellen einen hohen Wert dar, sie wurden wohl versteckt. Das Geld erzählt seine eigene Geschichte. «Diese Funde stammen aus einer Zeit, in der die römische Besiedelung gerade erst in den Anfängen war», sagt Eberli, «und Menschen hier durchreisten, die das römische Geld bereits bei sich hatten.» Was diese Menschen vorhatten, mit wem sie unterwegs waren, welche Ideen sie mitbrachten, das bleibt im Dunkeln. Trotzdem wird spürbar, dass sie da waren. Und in der Ausstellung wird das auch ganz konkret. Ein Grabfund aus Baar wird ausgestellt: Das Skelett eines Menschen, mitsamt Schwert, liegt in einem Holzkasten. Bigler hat eine Nachbildung des Schwertes neben dem Kasten aufgehängt. «Aber Achtung, die ist scharf», sagt er und lacht. «Deshalb hängt sie etwas ausser Reichweite. Diesen Fund hier wollten wir auch deshalb ausstellen, weil die Ausgrabungen damals in Baar in der Bevölkerung viel Resonanz auslösten.» Die Menschen kämen heute noch und erzählten davon, ergänzt Hintermann. «1998 wurde Tag und Nacht gegraben, mitten im Dorf.» Ein zweiter Friedhof mit rund 200 Gräbern wurde 2 Jahre später freigelegt, die einzelnen Grabstellen teilweise en bloc abtransportiert und dann im Labor geborgen.

Für Familien
Die Sonderausstellung beleuchtet einzelne Meilensteine, ist aber auch selber einer: Sie wird wohl die letzte Sonderausstellung im derzeitigen Museum vor dem Umbau sein. «Wir möchten mit ihr alle Archäologie-interessierten Personen ansprechen», sagt Eberli, auch besonders Familien mit Kindern: Durch die ganze Ausstellung zieht sich eine Schatzsuche für Kinder, und in der Werkstatt lassen sich auf eigene Faust Fibeln und Steinzeitschmuck herstellen. Was die Zukunft fürs Museum bringen wird, ist noch unklar. Das Museumsteam hat das Haus für den Wechsel mit der Sonderausstellung bereit gemacht. Denn erst wenn man weiss, woher man kommt, kann man wirklich frei entscheiden, wo man hin möchte.

Hier gehts zur Ausstellung: zugkultur.ch/BjBfYA


(Text: Falco Meyer)